Dem Geheimnis auf der Spur:Zu eigensinnig

Dem Geheimnis auf der Spur: Enrico Mattei vor seinem Privatflugzeug. Im Oktober 1962 stürzte er damit ab.

Enrico Mattei vor seinem Privatflugzeug. Im Oktober 1962 stürzte er damit ab.

(Foto: mauritius images / TopFoto)

Der italienische Manager Enrico Mattei legte sich mit mächtigen Erdölkonzernen an - bis er bei einem mysteriösen Flugzeugabsturz ums Leben kam.

Von Francesca Polistina

Die Geschichte Italiens seit der Nachkriegszeit ist voll von rätselhaften Kriminalfällen: von Menschen, die spurlos verschwinden und anderen, die grausam ermordet werden, von hartnäckigen Staatsanwälten und schweigenden Politikern, von kolossalen Ermittlungsfehlern und Ablenkungsmanövern des Staates. Oft werden die Ermittlungsakten zyklisch wieder geöffnet, die Wahrheit bleibt aber meistens eine Chimäre. Auch der Fall Mattei wird wahrscheinlich im Dunkeln bleiben, obwohl die meisten Experten sich mittlerweile einig sind: Es war kein tragischer Unfall, der den berühmten Manager das Leben kostete, sondern ein Attentat.

Enrico Mattei, Gründer und Chef des italienischen Energiekonzerns Eni und in der Nachkriegszeit einer der mächtigsten Menschen des Landes, starb im Oktober 1962, mit nur 56 Jahren, bei einem mysteriösen Flugzeugabsturz. Er war auf dem Weg von Sizilien nach Mailand, als kurz vor der Landung seine kleine Maschine verunglückte und alle drei Insassen - neben Mattei auch der erfahrene Pilot Irnerio Bertuzzi und der amerikanische Journalist William McHale - ums Leben kamen.

Geboren wurde Mattei 1906 in Mittelitalien als Sohn einer einfachen Familie. Mit zwanzig tat er das, was schon damals viele Jugendliche taten: Er zog nach Mailand, in die wichtigste Industriestadt des Landes, wo er zunächst als Handlungsreisender arbeitete. Er machte bald Karriere, Anfang der Dreißigerjahre gründete er eine kleine chemische Fabrik, die schnell erfolgreich wurde und auch die italienische Armee belieferte. Als sich Italien 1943 aus dem Bündnis mit dem Dritten Reich löste, schloss sich Mattei, in jungen Jahren noch ein Faschist, nun der Resistenza an und wurde ein bekannter Vertreter der katholischen Widerstandsbewegung. Nach dem Krieg wurde er Chef des Erdölkonzerns Agip: Eigentlich wollte man das Unternehmen abwickeln, doch Mattei arbeitete hart daran, es zu einem großen staatlichen Konzern zu machen. Mit Erfolg - die deutschen Eni-Tankstellen werden bis heute unter dem Markennamen Agip geführt.

Im Algerienkrieg unterstützte er die Unabhängigkeitsbewegung

Enrico Mattei wollte die Position Italiens auf dem internationalen Gas- und Ölmarkt stärken und dem Land eigene Quellen erschließen. Es waren die Jahre des Wirtschaftsbooms: Italien wandelte sich zu einem modernen Staat, die Industrie verbrauchte große Mengen Gas und Öl, immer mehr Menschen kauften Autos. Mattei ließ Bohrungen in der Po-Ebene und in Sizilien durchführen, obwohl die ersehnten Vorkommen sich als eher klein erwiesen, und knüpfte neue Beziehungen in andere Länder - etwa mit Ölproduzenten im Nahen und Mittleren Osten.

Wer mit Erdöl und Gas handelt, der macht nicht nur Wirtschafts-, sondern auch Außenpolitik. Ende der Fünfzigerjahre schloss Mattei, mittlerweile Chef des 1953 vom Staat gegründeten Energiekonzerns Eni, wichtige Verträge mit Ägypten und Iran, dann auch mit Libyen, Tunesien und der Sowjetunion. Im Algerienkrieg unterstützte er (oder finanzierte sogar, aber das ist nicht bewiesen) die Unabhängigkeitsbewegung gegen das kolonialistische Frankreich, was dem Nachbarland nicht besonders gut gefallen haben dürfte. "Das Wichtigste für ein Land, die politische Unabhängigkeit, hat keinen Wert, hat kein Gewicht, wenn es keine wirtschaftliche Unabhängigkeit gibt", sagte er einmal. Das klingt idealistisch, aber vor allem sehr pragmatisch. Denn es war klar, dass Mattei nicht von Utopien, sondern von wirtschaftlichen Interessen angetrieben wurde - und dafür war er bereit, sich auch gegen das Öl-Oligopol, das den Markt dominierte, zu stellen.

Dieses Oligopol bestand damals aus den sogenannten "Seven Sisters", wie Mattei sie bezeichnete: sieben Ölkonzerne wie die heutigen BP, Shell, Chevron und ExxonMobil, denen die internationalen Ambitionen der ENI und vor allem die Haltung ihres Managers ein Dorn im Auge waren. Mattei führte zum Beispiel das Prinzip ein, nach dem die Länder, welche die Ölvorkommen besaßen, 75 Prozent der Gewinne (und nicht mehr nur 50 Prozent wie vorher) aus der Ausbeutung der Felder erhalten mussten. So versuchte er, das Vertrauen dieser Länder - oder besser: ihr Erdöl und Gas - für sich zu gewinnen und somit den etablierten Ölkonzernen Konkurrenz zu machen.

Ließen italienische Politiker eine Bombe an Bord platzieren?

War das der Grund für seine Ermordung? Laut Aussagen von Mafia-Kronzeugen wurde Matteis Flugzeug von der sizilianischen Mafia sabotiert, die wiederum auf Wunsch der amerikanischen Cosa Nostra handelte - wahrscheinlich, so die Theorie, um den amerikanischen Energiekonzernen einen Gefallen zu tun. Der Journalist Mauro De Mauro, der in dem Fall recherchierte, wurde 1970 von der Mafia getötet, was den Fall noch rätselhafter und grausamer macht. Einer anderen Theorie zufolge wurde Mattei von rechtsextremen Gruppen aus Frankreich wegen seiner Verwicklung in den Algerienkrieg ermordet. Oder waren es eher hochrangige italienische Politiker und Staatsmänner, die eine Bombe an Bord platzieren ließen?

Die ersten Ermittlungen kamen zu dem Schluss, dass es sich um einen Unfall gehandelt hatte. Aber das Urteil überzeugte viele nicht. Einige Augenzeugen hatten zunächst von "vom Himmel fallenden Flammen" erzählt, außerdem ließen die verstreuten Wrackreste vermuten, dass die Explosion in der Luft und nicht erst nach dem Bodenkontakt stattgefunden hatte. 1994 wurden die Ermittlungen wieder aufgenommen und zehn Jahre später fallen gelassen, erst 2012 wurde die Anschlag-Hypothese beim Verfahren um den getöteten Journalisten Mauro De Mauro bestätigt. Die Frage nach den Auftraggebern bleibt allerdings offen, eine endgültige Aufklärung in diesem wichtigen Fall wird es wahrscheinlich nie geben.

Mattei hat die Energiepolitik Italiens der Fünfziger- und Sechzigerjahre stark beeinflusst, manche Aspekte - wie die intensiven wirtschaftlichen Beziehungen mit Algerien - sind noch heute zu spüren. Seit Putins Angriff auf die Ukraine will die italienische Regierung die Lieferungen aus Moskau reduzieren und die Importe aus Ländern wie Libyen, Aserbaidschan und vor allem aus Algerien erhöhen. Aus dem nordafrikanischen Land importiert Italien bereits knapp 30 Prozent seines Erdgases, es wird durch die sogenannte Transmed-Leitung geliefert. Diese Gasleitung verbindet seit den Achtzigerjahren Algerien, Tunesien und Italien, bekannt ist sie übrigens auch unter einem anderen Namen: als Pipeline "Enrico Mattei".

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