"Zettl" im Kino:Dietls Albtraum der Berliner Republik

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Kein Tempo, keine Pointen, witzlos: Helmut Dietl hat mit seinem lange erwarteten Film "Zettl" einen Schmarrn fabriziert, der grotesker kaum sein könnte. Dem Ur-Münchner Dietl muss es vor Berlin so gegraust haben, dass er der Stadt und seinen Finanziers sein Missvergnügen nur mehr vor die Füße knallen wollte. Da kann ein Staraufgebot mit Bully Herbig und Götz George auch nichts mehr retten.

Willi Winkler

Wenn "Zettl" nur der schlechteste Film des noch jungen Jahres wäre, dann wäre er gar nicht der Rede wert. Er stammt aber von Helmut Dietl, der einige der besten Sachen gemacht hat, die je im deutschen Fernsehen liefen, dem Dietl, der die "Münchner Geschichten" erzählte und vom Monaco Franze, der Towje Kleiner in den "Ganz normalen Wahnsinn" trieb, der in "Kir Royal" Mario Adorf das Münchner Nacht-Geschwerl mit Geld zuscheißen ließ.

Bully Herbig ist ideal als spinnerter Chauffeur, aber als schlawinernder Intrigant nicht einmal ein Witz. (Foto: dpa)

Es ist jener Dietl, der nach "Schtonk!" (1992), nach der Farce über die Hitler-Tagebücher, den Anspruch erheben konnte, der einzige legitime Nachfolger Ernst Lubitschs zu sein. Doch bei einer Vorführung in der vergangenen Woche wehte der Eishauch aus der Kühlkammer, in der der bereits gestorbene Bundeskanzler (Götz George) bis zur Klärung der Nachfolge frischgehalten werden soll, von der Leinwand geradewegs in den Saal, die Raumtemperatur fiel, ein sprachloses, aber immerhin gemeinschaftsstiftendes Entsetzen befiel die versammelten Kritiker.

Das war doch nicht möglich, was Dietl und sein Co-Autor Benjamin von Stuckrad-Barre da angerichtet hatten: ein Chauffeur Max Zettl (Bully Herbig) mandelt sich gewaltig auf und bringt es innerhalb einer Woche zum Chefredakteur (Dienstporsche und Sonnenbrille inklusive) eines Online-Magazins, das beziehungsreich doof The New Berliner heißt und unbekümmert um Anzeigenkunden, Redaktion, Recherche und Konkurrenz zur Sensation wird.

Rosa Luxemburg, Sloterdijk und das Deutschlandlied

Ein Schweizer Verleger, dessen Hubschrauber völlig sinnlos an der Spree landet, macht als klemmschwule Charge (Ulrich Tukur) den Finanzier, die Bürgermeisterin ist in Wirklichkeit ein Mann, lässt sich dann aber umschneiden und erreicht die erhofften Sympathiewerte, weil sie die Operation als Fehlgeburt ausgibt und sich per Live-Übertragung in eine Talkshow von Zettl als dessen verlorene Mutter wiederfinden lässt. Dazu übt ein Rosa-Luxemburg-Ballett, wird Peter Sloterdijks Abgreifer-Buch "Du musst dein Leben ändern" ins Bild gehalten, und erklingt, da es doch um Politik, ja, um die sogenannte Berliner Republik geht, bis in die Schlusstitel hinein immer wieder das Deutschlandlied.

Der normale Hausverstand kann sich diesen Schmarrn nur so erklären: Helmut Dietl, dieses Ur-Münchner Gewächs, hatte einen Albtraum, in dem er nach Berlin verpflanzt wurde mit dem Auftrag, dort ein noch größeres, noch schöneres, noch gemeineres, noch münchnerischeres "Kir Royal" zu drehen. Der Name - der Titel "Zettl" erinnert an Dietl - ist vielleicht auch ein bescheidenes Wortspiel, weil der aufstrebende Chauffeur seinen Erfolg mit einem papierlosen Magazin erreicht. Zettel (Bottom the Weaver) ist aber vor allem eine Figur in Shakespeares "Mittsommernachtstraum", die auf wundersame Weise in einen Esel verwandelt wird. Das ist nicht schlimm, denn der Gute erholt sich bald wieder von seiner unschönen Verzauberung; der "Mittsommernachtstraum" ist eine Komödie.

Bottom oder Zettel erwacht wie aus einem Traum und vermag nicht zu singen und zu sagen, wie ihm geschehen ist: "Ich hab' ein äußerst rares Gesicht gehabt! Ich hatt' 'nen Traum - 's geht über Menschenwitz, zu sagen, was es für ein Traum war." Da träumte ihm, die schöne Titania herzte und koste und karessierte ihn, aber eben nicht Zettel, sondern den Esel, in den er doch verwandelt war.

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Dietls Albtraum ist weit schlimmer. Er wusste nichts von Berlin, es interessierte ihn auch nicht. Vielleicht hätte die Stadt zu Zeiten von Will Tremper und Harald Juhnke mehr hergegeben, aber Friedbert Pflüger als Kandidat mit spätentdeckter Liebe im Osten? Die balkanischen Finanzgeschäfte eines Herrn, der netterweise auch noch Tilo Berlin heißt? Nicht mal mit seiner Armut kann Berlin noch protzen.

In "Kir Royal" war Patrick Süskind noch als Co-Autor dabei, Franz Xaver Kroetz spielte den Klatschreporter Baby Schimmerlos und Senta Berger seine Geliebte. Das waren selige Zeiten. (Foto: dpa)

Patrick Süskind, der Dietls Münchner Reigen einst die subtile Gemeinheit verliehen hatte, hatte offensichtlich auch keine Lust, sich auf das disparate Berlin umzugewöhnen. Benjamin von Stuckrad-Barre wurde gefunden, der ein grandioser Reporter ist, aber noch weniger Interesse an Berlin zu haben scheint als Dietl.

Der Albtraum nahm also Gestalt an, Franz Xaver Kroetz, der in "Kir Royal" den Baby Schimmerlos gespielt hatte, wollte nicht mehr, der Klatschreporter musste deshalb schnell sterben. Bully Herbig ist ideal als spinnerter Chauffeur, aber als schlawinernder Intrigant nicht einmal ein Witz. Das fällt aber gar nicht auf, weil der ganze "Zettl" trotz seiner Groteskerien fast klinisch witzfrei geworden ist. Dem Film fehlt nicht nur jede Subtilität, es gibt keine Indizien dafür, dass bei den Dreharbeiten ein Regisseur dabei war, der auf Tempo, auf Pointe oder auch nur auf Anschlüsse geachtet hätte. Dietl muss es vor Berlin so gegraust haben, dass er der Stadt und seinen Finanziers nur mehr sein Missvergnügen vor die Füße knallen wollte.

Für Dietls Albtraum von Berlin werden leider einige der besten deutschen Schauspieler durch die bescheidenen Kulissen getrieben. Sunnyi Melles strebt ins Fach der durchgeknallten Gloria Swanson, die auf die Großaufnahme wartet. Hanns Zischler, der endlich sein herbes Fränkisch ausspielen darf, steht unbeschäftigt in der Szene. Götz George nuschelt schlimmer als zu Schimanskis besten Zeiten. Dagmar Manzel scheint sich dauerhaft vor ihrer Rolle als umoperierte Bürgermeisterin zu ekeln. Harald Schmidt chargiert auf einsamer Höhe, muss mit seinem Dorfhonoratioren-Schwäbisch aber ausgerechnet den mecklenburgischen Ministerpräsidenten spielen. Gert Voss bringt seine ganze dämonische Theaterpräsenz mit und muss sie ohne Sinn und Verstand als Plastischer Chirurg vernutzen.

Dietl will nicht mehr

Zu Dietls Albtraum gehört das Künstlerpech, dass er mit seiner verkrampften Journalistenhetz ausgerechnet dann herauskommt, wenn tatsächlich eine Schlacht in den Medien tobt, wenn es einer Boulevardzeitung gelingt, über Wochen den Bundespräsidenten nach dem Lehrbuch zu jagen, das Heinrich Böll 1974 unter dem Titel "Die verlorene Ehre der Katharina Blum" veröffentlicht hat. "Zettl" hat dafür Hoden-Scherze.

Die einzige wahre Szene, die "Zettl" anzubieten hat, reicht zurück in die seligen Tage von "Kir Royal", als Süskind noch dabei und Kroetz der Schimmerlos war. Senta Berger gelingt es, die bereits beerdigte Asche ihres Mannes zu exhumieren. Senta Berger, da gibt es keinen Zweifel, spielt die einzige erkennbare Schlüsselrolle in diesem Film: Helmut Dietl. Sie spielt ihn als aufgehörten Star, als einen, den alles ankotzt (in diesem Fall: den Dauervortrag angeblicher Volksmusik), jemand, der nicht mehr mittun will und deshalb alles stehen und liegen lässt und abhaut. Glücklich lächelnd sitzt sie im Flugzeug nach München, neben sich, gut angeschnallt und mit liebevollen Blicken bedacht, die Urne mit der Asche von ihrem Baby. Es ist die einzige Liebesszene, zu der sich der ständig heißlaufende "Zettl" aufrafft.

Der Film ist bald aus, und der Albtraum vorbei. Senta Berger leuchtet, München auch.

ZETTL, D 2012 - Regie: Helmut Dietl. Drehbuch: Dietl, Benjamin von Stuckrad-Barre. Mit Michael Herbig, Karoline Herfurth, Dagmar Manzel, Ulrich Tukur, Hanns Zischler, Harald Schmidt, Götz George, Senta Berger, Dieter Hildebrandt. Verleih: Warner, 109 Minuten.

© SZ vom 01.02.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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