"The Tragedy of Macbeth" im Kino und bei Apple TV+:Schall und Wahn

Lesezeit: 4 min

Dann eben mit Gewalt: Denzel Washington und Frances McDormand schmieden finstere Pläne in "The Tragedy of Macbeth". (Foto: Alison Cohen Rosa/A24)

William Shakespeare hat geschafft, was sonst keinem gelang: die Coen-Brüder auseinanderzubringen. Im Soloeinsatz schuf Joel eine streng reduzierte und klarsichtige Version von "Macbeth" mit Denzel Washington und Frances McDormand.

Von Nicolas Freund

Raben, so heißt es, unterhalten eine enge Beziehung zum Reich der Toten. Mit dreien dieser Aasfresser, nicht mit den berühmten Hexen, beginnt Joel Coen seine Verfilmung von "The Tragedy of Macbeth", einem der kürzesten und blutigsten Werke William Shakespeares. Die schwarzen Vögel kreisen langsam über einem Schlachtfeld, das in tiefen, weißen Nebel gehüllt ist wie in ein gnädiges Leichentuch. Die berühmten Zeilen der Hexen sind nur aus dem Off zu hören, wie flüsternde Gespenster.

Langsam schleppt sich ein humpelnder, blutender Soldat in dem weißen Nichts heran. Er hat Nachricht für Duncan, König von Schottland, der in schwerer Ledermontur mit einer Entourage vor einem mittelalterlichen Zeltlager steht, wie ein Standbild aus einer alten Wagner-Inszenierung. Macbeth war siegreich, berichtet der Soldat, er hat die Rebellen geschlagen, ja geradezu massakriert. Auch der Verräter, der Thane von Cawdor, ist besiegt, weiß Ross, ein anderer Vasall, zu berichten. "Große Freude!", ruft Malcolm, der Königssohn, selbstvergessen aus. Freude scheint Duncan aber keine zu verspüren, er reagiert besonnen und ernennt Macbeth in Abwesenheit zum neuen Thane. Als er sich abwendet, geht sein Blick zum verhangenen Himmel, in dessen Dunst gerade die Raben verschwinden.

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Der Blick zu den Raben wäre in einem Theater nur schwer umsetzbar gewesen, und doch ist sofort klar: Was man hier sieht, ist nicht nur Film, sondern auch Bühne. Eine Bühne, auf der Shakespeares Stück aufgeführt wird, nah am Text, mit naturalistischer Theaterausstattung. Kaum eine Figur, die nicht in einem groben Lederwams steckt und mit Schwertern herumfuchtelt, als wären es die Salzburger Festspiele und das Jahr 1968, wenn nicht noch früher. Die Bilder sind schwarz-weiß, das Format fast quadratisch wie im frühen Kino. Sogar der Titel-Schriftzug ist seltsam verschachtelt, verschnörkelt und mit einem Blättchen verziert, als habe ihn der Märchenkönig persönlich in seiner schlosseigenen Druckerpresse angefertigt.

Das wirkt auf den ersten Blick wahnsinnig altbacken, aber davon darf man sich nicht täuschen lassen, denn dies ist ein Coen-Film. Obwohl Joel Coen hier das erste Mal ohne seinen Bruder Ethan Regie führt, ist rückwärtsgewandte Nostalgie das Letzte, was ihn treibt. Die Bilder wie von Ingmar Bergman oder Carl Theodor Dreyer und die Bühnengesten der Vorkriegszeit sollen verfremden und verunsichern, einen neuen Blick provozieren auf den Königsmörder und Geisterseher Macbeth - und Shakespeare doch vollständig beim Wort nehmen.

Die Drehbuchversion und ihre filmische Umsetzung sind mit einer fast akademischen Akribie entstanden. Neben den sprichwörtlich gewordenen Zeilen, die natürlich in keiner Inszenierung fehlen dürfen, wurden viele der oft sehr subtilen Motive im Originaltext filmisch übersetzt. So sind die Hexen (die auch manchmal nur als eine in drei Stimmen sprechende verrunzelte, alte Frau auftreten) mit Raben assoziiert, mit dunklen Schwingen und krächzenden Stimmen, und daher doch zu Beginn schon präsent. Manche Figuren wurden zusammengelegt oder ihre Verse anderen zugeordnet, aber meist aus den Hinweisen des Stücks selbst heraus, dass es da eine Verbindung zwischen den Figuren geben könnte.

Und dieser zugleich altmodische und moderne Stil sieht einfach fantastisch aus: Forres, das Schloss der Macbeths, wirkt aus kantigem Beton und mit scharfen Lichteinfällen wie ein Albtraum Edward Hoppers oder eine größenwahnsinnige Bauhaus-Fantasie. Die Kontraste sind so groß, dass aus den Gesichtern der Figuren jedes Haar, jede Falte und jeder schiefe Zahn wie ein Dolch hervorsticht, wenn sie den Text aufsagen, den Coen gekürzt und umgestellt, im Wesentlichen aber originalgetreu belassen hat.

Scharf leuchtet die Sprache die seelischen Landschaften aus

Die Einfachheit der Bilder gibt der Sprache viel Raum, und in ihrer Schärfe werden die seelischen Landschaften der Figuren bis ins letzte Detail ausgeleuchtet. Macbeth ist eine komplexe Studie in Wahnsinn und Bosheit, Egoismus und Größenwahn, nicht als Warnung vor bösen Taten - dafür werden die Abgründe der Figuren viel zu sehr ausgekostet -, sondern als Auslotung der Möglichkeiten. Macbeth ist böse, intrigant und verschlagen, damit wir es nicht sein müssen.

Und vielleicht liegt darin der Reiz, den so viele Regisseure in dem Stück gerade sehen. In Deutschland wird es derzeit in vielen Theatern gespielt, an der Mailänder Scala hatte gerade Anna Netrebko mit der Opernversion des Stücks von Giuseppe Verdi Premiere, und nächstes Jahr wird Ex-Bond Daniel Craig den Macbeth am Broadway geben. Wirkt passend zu einer Zeit, in der schon kleine egoistische Verstöße gegen pandemische Hygieneregeln das Potenzial haben, den Tod für einen selbst und für andere nach sich zu ziehen.

Schlacht und Nebel: Kathryn Hunter als Hexe in "The Tragedy of Macbeth". (Foto: Alison Cohen Rosa/A24)

Der Macbeth bei Joel Coen wird gespielt von Denzel Washington, der sich immer mehr in dem Netz aus Intrigen, Verrat und Blutvergießen verstrickt, nachdem die Hexen ihm die Krone vorhergesagt haben und er dieser Prophezeiung mit einem Dolch nachgeholfen hat. Der gutmütige Blick und Ton Washingtons kontrastiert irritierend mit dem nah am Rande des Wahnsinns taumelnden Krieger und gibt der Gewalt und Hinterlist etwas Fremdartiges.

Das Fremde hat sich in diesen Mann eingeschlichen, der eigentlich leicht seine Mitmenschen gewinnt, wie der dicke Nebel oder ein langsam wirkendes Gift. Den Anstoß zu Mord und Gewalt gibt ja ohnehin Lady Macbeth, die auf eine Art Rache an der Welt sinnt und ihren neuen Mann mit Verweis auf dessen Potenz herausfordert, sich an die Spitze des Staates zu setzen. Wenn es geht, gerne auch mit Gewalt. Frances McDormand spielt das mit einer selbstverständlichen Grausamkeit, als würde sie auf Schloss Forres Inventur machen und nicht einen Mord nach dem anderen anzetteln. Eine Frau, die nichts zu verlieren hat, weil sie nichts mehr erwartet, eine Figur wie eine Drohung.

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Beide, McDormand und Washington, brechen ihr Spiel immer wieder mit rezitativen Momenten, in denen klar wird: Obwohl hier zwei Hollywood-Stars agieren, ist das noch immer Shakespeare und sein Text soll Raum zur Wirkung haben, auch wenn er von Oscarpreisträgern vorgetragen wird. Das unterläuft dann manche Sehgewohnheit, weil man mehr zuhören als sehen muss, um mitzukommen, mehr mitfühlen als sich berieseln lassen. In der Kinomaschinerie der Gegenwart, die nichts dem Zufall oder gar dem Zuschauer überlassen möchte, ist das schon fast eine Provokation.

Wie die bewusst altmodische und künstliche Inszenierung, die genau das nicht macht, was Filme sonst meistens versuchen: eine Welt zeigen, die möglichst echt aussieht. Alles wirkt so gemacht, so inszeniert, weil die Figuren die Welt eben so wahrnehmen: eine schale Imitation dessen, was einmal war, und gut war, aber nicht mehr ist. "It is a tale / told by an idiot, full of sound and fury, / signifying nothing." Es ist eine Geschichte, erzählt von einem Idioten, voller Schall und Wahn, die nichts bedeutet, heißt es in einem der berühmten Monologe Macbeths. Gewalt hat diese Welt zu dem gemacht, was sie ist. Joel Coens Macbeth und seine Lady nehmen an ihr Rache, weil sie hohl und leer geworden ist, flüchtig, wie Raben im Nebel.

The Tragedy of Macbeth , USA 2021 - Regie: Joel Coen. Buch: Joel Coen nach William Shakespeare. Kamera: Bruno Delbonnel. Mit: Denzel Washington, Frances McDormand, Bertie Carvel. 105 Minuten. Kinostart: 26. 12. 2021. Von 14.01.2021 an bei Apple TV+.

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