"Tanz der Unschuldigen" bei Netflix:Der Teufel möglicherweise

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Wer ist hier der Dämon? Ana (Amaia Aberasturi) und der Inquisitor (Alex Brendemühl). (Foto: Foto: Netflix)

Pablo Agüero erzählt in "Tanz der Unschuldigen" aus feministischer Perspektive von den Hexenverfolgungen im 17. Jahrhundert im Baskenland.

Von Martina Knoben

Tanzende Frauen sind gefährlich, so erzählt es der Inquisitor, am gefährlichsten seien die Tänze, die in den Wäldern stattfinden. Es ist das Jahr 1609, ein Richter der Inquisition (Alex Brendemühl) ist im Auftrag der spanischen Krone im Baskenland unterwegs, um das Land von Aberglauben und Gottlosigkeit zu säubern. In den Fischerdörfern findet er wehrlose Opfer - die Männer sind auf See, ihre Frauen und Töchter alleine zurückgeblieben.

In einem der Dörfer werden Ana (Amaia Aberasturi) und einige andere junge Mädchen der Hexerei beschuldigt. Sie haben, erfährt man später, auf einer Lichtung im Wald gefeiert und getanzt, Apfelmost getrunken und von berauschenden Pilzen gegessen. Wenn man die jungen Frauen am Anfang des Films singend durch den Wald laufen sieht, erinnert das an die flirrend sommerliche Atmosphäre voll sinnlicher Verheißung (und Bedrohung) in Peter Weirs "Picknick am Valentinstag" (1975) - ein Versprechen, das allerdings in die Irre führt. "Tanz der Unschuldigen" ist nicht so rätselhaft und so hypnotisch wie Weirs Filmklassiker.

Pablo Agüero inszeniert die historische Hexenverfolgung als "Me Too"-Moment mit - trotz des Apfelweins und der Pilze - unschuldigen weiblichen Opfern. Den feministischen Zugriff auf die Geschichte unterstreicht schon der erste Dialog zwischen den Mädchen, wenn eine meint, dass Frauen nicht segeln könnten, eine andere aber energisch betont: "Doch, können sie!" Kurz darauf wird den vorwitzigen jungen Weberinnen auch schon ein Sack über den Kopf gestülpt, sie werden in eine Zelle gesteckt, und ihnen werden die Kleider weggenommen. Zwar werden die Frauen zunächst nicht körperlich gefoltert, aber die Verhöre sind perfide. Jeder Satz wird verdreht und gegen sie gewendet, das Urteil steht von Anfang an fest.

Dämonen, Verführung, das Spiel mit der Macht - das sind die Fantasien von Männern

Es ist ein Terror der Worte und Blicke, den die Männer ausüben. Während die Mädchen gezwungen sind, die Augen zu senken, oder in der Zelle mit dem Gesicht zur Wand stehen müssen, glotzen sie die Männer ungeniert an. Es ist ein ureigenes Thema des Kinos: dass der Blick die Welt vereinnahmt, sie kolonialisiert und penetriert - aber auch diejenigen, die angesehen werden, eine verhexende Macht haben. Im Kampf um ihr Leben und das ihrer Mitgefangenen bindet Ana den Inquisitor mit dessen lüsternen Blicken, ihren Worten und seinen Fantasien an sich. Sie erzählt, was er hören will, wie Scheherazade, um ihre Hinrichtung aufzuschieben: vom Hexensabbat, dem Trinken und Tanzen, dem Beischlaf mit Dämonen, die als Rauch (von hinten!) in sie eingedrungen seien, und dem Glied des Teufels, dessen Größe sie in ihrer Unschuld zunächst als ziemlich klein angibt.

Dass das Ganze nicht zum lustigen Schelmenstück wird, dafür sorgen Momente blanken Terrors. Als ein anderes Mädchen den Inquisitoren eine geile Hexe vorspielt, hören ihre Freundinnen in der Zelle, wie deren vorgebliches Luststöhnen (es klingt wie eine Pornoparodie) in die fürchterlichen Schmerzensschreie einer Gefolterten übergeht. Und auch Ana selbst erfährt einen grausamen "Hexentest". Die kurzen Momente realer Gewalt sind so schrecklich, dass die Nerven auch der Zuschauer blank liegen.

Leider wiederholt Pablo Agüero den Voyeurismus der Männer im Film, wenn er unnötigerweise eine Nacktszene mit Ana einbaut und so die feministische Botschaft des Films unterläuft. Überhaupt ist "Tanz der Unschuldigen" für den Schrecken, von dem er erzählt, zu süffig und folkloristisch inszeniert. Die meisten Szenen spielen im Schein von Feuer oder brennenden Kerzen, was verführerisch gut aussieht, aber auch kunstgewerblich wirkt. Und wenn nach der Erzählung des Inquisitors über die Gefährlichkeit tanzender Frauen ein Becher mit Wein umkippt, der sich ausbreitet wie eine Blutlache, dann ist das purer Kitsch.

Reizvoll sind die Gesänge der Frauen in baskischem Dialekt

Interessant ist dagegen die Ansiedelung der Geschichte im Baskenland (auch der Originaltitel ist Baskisch und meint "Hexentreffen"). Die Vertreter der spanischen Krone schimpfen, selbst widerlich schmatzend, über das lokale Essen und die kulturlose Region. Und Anas Hexensabbat-Erzählungen spiegeln nicht nur die (erotischen) Fantasien des Inquisitors, sondern werden auch angereichert mit lokalen Bräuchen. So wird das Drama in immer noch aktuellen politischen Konflikten verwurzelt. Die folkloristische Anmutung ist womöglich eine Reaktion darauf, Feier und Verteidigung einer eigenwilligen und widerständigen Region. Einen besonderen Reiz haben auch die Gesänge der Frauen im baskischen Dialekt, mit denen sie sich im Kerker Mut machen. Die Spanier lauschen fasziniert - fremdartigen Klängen, die sie für Beschwörungen des Teufels halten.

Akelarre , Spanien, Argentinien, Frankreich 2020 - Regie: Pablo Agüero. Buch: P. Agüero, Katell Guillou. Kamera: Javier Agirre. Musik: Maite Arrotajauregi, Aránzazu Calleja. Mit: Amaia Aberasturi, Alex Brendemühl, Daniel Fanego. Netflix, 92 Minuten.

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