Debatte um Joe-Rogan-Podcast:Bis es weg ist

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Man weiß die Dinge erst zu schätzen, wenn sie weg sind: Joni Mitchell (2. v.l.) im Jahr 1975 mit Roger McGuinn, Richie Havens, Joan Baez und Bob Dylan (v.l.). (Foto: AP)

Nach Neil Young will auch Joni Mitchell ihre Musik von Spotify löschen. Könnte für den Streaming-Dienst langsam gefährlich werden.

Von Jakob Biazza

Bisschen plakativ, klar, aber Joni Mitchells Groß-Hit "Big Yellow Taxi" passt hier freilich sehr gut. In dem Song geht es zur sehr vergnügt geschrammelten Akustikgitarre um den Umgang der Menschen mit der Welt und einander. Das Paradies wird da zugepflastert - für einen Parkplatz. Statt im Wald stehen die Bäume plötzlich im Museum. Zu besichtigen für 1,50 Dollar. Und das große gelbe Taxi nimmt den Geliebten mit. Zentrale Zeile: "Don't it always seem to go / That you don't know what you've got, till it's gone." In der Regel weiß man die Dinge erst zu schätzen, wenn sie weg sind.

Ein Glück für Spotify, dass die Welt gerade eher nicht auf Popsongs hört, wenn sie Orientierung sucht.

Auch Mitchells Lieder dürften den schwedischen Streamingdienst nämlich demnächst verlassen - und damit denen von Neil Young folgen. Zumindest kündigte die Kanadierin das am Samstag an. "I Stand With Neil Young!", schrieb sie dazu auf ihrer Website. Ich bin auf Neil Youngs Seite. Menschen ohne Verantwortungsgefühl, so geht ihr Statement weiter, seien dabei, "Lügen, die Menschenleben kosten, zu verbreiten". Sie teilte außerdem einen offenen Brief von etwa 200 Experten aus Medizin und Wissenschaft, die darin bereits zum Jahreswechsel an Spotify appelliert hatten, einen Podcast zu löschen. Neil Young hatte, um die Forderung zu unterstützen, am vergangenen Mittwoch seinen gesamten Songkatalog bei Spotify löschen lassen.

100 Millionen für Verschwörungsmythen und einen kiffenden Tesla-Chef

"Joe Rogan Experience" heißt die Sendung, in der der rechtspopulistische Kampfsportmoderator sich mit recht lärmiger Attitüde mit berühmten Menschen unterhält, oder mit solchen, die er für Experten hält. Tesla-Chef Elon Musk kiffte live in der Show. Der Virologe Robert Malone verbreite, ganz auf Rogans Linie, Verschwörungsmythen über das Corona-Virus. Auf Twitter ist Malone gesperrt - unter anderem, weil er Parallelen zog, zwischen der Corona-Politik und dem Holocaust.

Etwa 100 Millionen Dollar hatte Spotify im vergangenen Jahr dafür gezahlt, die "Joe Rogan Experience" ins Programm nehmen zu dürfen. Mit gutem Grund. Es ist der bislang erfolgreichste Podcast, den das Portal ausstrahlt. Das Ganze ist außerdem Teil der langfristigen Strategie, die da heißt: "Audio first". Man will in der Zentrale in Stockholm nicht länger ein reiner Anbieter für Songs sein, sondern unter anderem mit Podcasts unabhängiger von der Musikindustrie werden.

Ein Glück für Spotify also, dass die Welt gerade sehr leidenschaftlich auf Podcasts hört, wenn sie Orientierung sucht. Noch.

Denn es ist schließlich auch so: Haltung hat die starke Tendenz, mehr Haltung anzuziehen. Dass Youngs sehr klare Positionierung einige - womöglich sogar viele, seriöse Zahlen gibt es bislang nicht - Menschen dazu inspiriert hat, ihr Spotify-Abo zu kündigen, wird man beim sehr einsam an der Spitze stehenden Marktführer verkraften. Der Aktienkurs gab vergangene Woche zwar um zwei Prozent nach, allerdings folgt das auch einem Trend in der Tech-Branche. Bei Mitchell wird es nun aber schon interessanter. Nicht so sehr wegen der eigenen Zugriffszahlen - 3,7 Millionen monatliche Hörer fallen für sich nicht ins Gewicht. Wohl aber wegen der möglichen Sogwirkung.

Was, wenn auch Drake geht und seine 53 Millionen Hörer mitnimmt?

Haltung kann schließlich auch ein Momentum kreieren. Die Menschen loggen sich bei kontroversen Themen zur Zeit ja wieder ganz gern bei einer der angebotenen Positionen ein - gerade, wenn sie so eindeutig erscheinen wie hier. Und wenn es so leicht geht. Was also, wenn ein paar der aktuellen Großstars dem Beispiel folgten? Womöglich sogar solche, die jünger als 70 sind? Was wenn, recht zufällig herausgegriffen, der Rapper Drake (53 Millionen monatliche Hörer) seine Leidenschaft für das Thema (oder den PR-Effekt) entdeckte? Wenn Jay-Z (26 Millionen) und Beyoncé (32 Millionen) die Chancen erkennen würden, Fans auf ihr eigenes Portal Tidal zu ziehen? Wenn die sehr woke Olivia Rodrigo (44 Millionen) ginge und ihre Hörer mitnähme und dazu womöglich noch Lady Gaga (37 Millionen) animierte, es ihr gleichzutun?

Große Konjunktiv-Reihe, klar. Aber nicht banal. Spotify mag gerade weniger auf Musik setzen, aber der Reiz des Anbieters besteht bislang in der Hauptsache darin, das größte, das kompletteste Angebot zu haben. Und es dürfte einen Kipppunkt geben, an dem die Hörer das Gefühl haben, woanders besser versorgt zu sein. Mit etwas Pech findet man in Schweden in den kommenden Wochen heraus, wo genau der liegt.

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Man müsse Haltung zeigen, heißt es überall. Aber was ist das eigentlich genau? Wie viel brauchen wir davon? Und, hier fangen die echten Probleme ja erst an: Von wem? Ein paar Gedanken - mit und ohne Neil Young.

Von Jakob Biazza

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