Debatte um Selbstbestimmungsgesetz:Freiheit, die für alle gilt

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Am 31. März gingen zum internationalen Transgender Day of Visibility die Menschen für mehr Rechte auf die Straße, auch in Nizza. (Foto: Valery Hache/AFP)

Wer sein Geschlecht ändern lassen will, dem soll das unbürokratisch möglich sein, fordern einige Parteien. Doch welche Konsequenzen hätte das für Menschen, die nicht trans sind?

Von Susan Vahabzadeh

In Deutschland wird gerade viel darüber diskutiert, in welchem Alter ein Mensch reif genug für die Entscheidung ist, sein körperliches Geschlecht zu wechseln. Eine Entscheidung, die das ganze Leben verändern wird und im Falle entsprechender Eingriffe eine lebenslange medizinische Weiterversorgung erfordert. Es wird darüber gestritten, ob man sich auch irren kann in seinem Gefühl, im falschen Körper zu stecken. Darüber, ob man die Entscheidung mit 14 Jahren treffen können soll, wie es die Grünen wollen. Wie lang man sich Zeit nehmen sollte für den Entschluss. Und darüber, dass sich laut statistischem Bundesamt die Geschlechtsangleichungen zwischen 2012 und 2019 mehr als verdoppelt haben.

Im Grundsatzprogramm der Grünen steht: "Alle Menschen haben ausschließlich selbst das Recht, ihr Geschlecht zu definieren. Inter*, trans* und nichtbinäre Menschen haben das Recht, dass ihr selbst definiertes Geschlecht ohne bürokratische oder medizinische Hürden offiziell anerkannt wird." Menschen sollen also das Recht haben, selbst zu bestimmen, welchem Geschlecht sie sich zugehörig fühlen. Soweit, so prima. Aber was aber bedeutet eigentlich hürdenlos?

Was sich die Grünen vorstellen, lässt sich so zusammenfassen: Künftig soll man den Eintrag einfach ändern lassen können, mit einem Gang zum Standesamt und einer mündlichen Absichtserklärung, eine Angabe von Gründen ist nicht erforderlich. Nach einem Jahr darf man eine neue Änderung vornehmen, theoretisch so oft man mag. Das frühere Geschlecht eines anderen auszuforschen, soll mit einer Geldstrafe belegt werden.

Eine Änderung des Geschlechtseintrags ist in Deutschland viel zu kompliziert, das sieht auch das Bundesverfassungsgericht so

Eine große und auch überfällige Erleichterung für Transpersonen, wäre das, keine Frage. Welche Folgen aber hat das für Menschen, die nicht trans sind - für Frauen, beispielsweise?

Diese Woche standen das grüne Selbstbestimmungsgesetz und ein ähnlicher Entwurf der FDP zur Abstimmung. Es wurde am Mittwochabend, wie bereits schon einmal im Sommer, abgelehnt. Der Grünen-Gesetzentwurf hatte 118 Befürworter, 456 Gegenstimmen, 79 Enthaltungen. Die CDU/CSU ist dagegen, die SPD hätte auch gern eine andere Lösung. Aber das Thema ist damit längst nicht vom Tisch, im Herbst ist Bundestagswahl, und Mehrheiten könnten sich ändern.

Bislang gilt in Deutschland das Transsexuellengesetz, das vom Bundesverfassungsgericht immer wieder zurecht beanstandet worden ist. Eben weil einer Änderung des Geschlechtseintrags auf dem Standesamt hierzulande erhebliche, entwürdigende Hürden vorangestellt sind, oft eine jahrelange Odyssee. Bisher muss selbst für die Änderung des Vornamens ein Verfahren angestrengt werden, für die Geschlechtsänderung auf dem Papier verlangt das Gericht für eine Entscheidung zwei unabhängige Gutachten, laut Innenministerium soll "mit hoher Wahrscheinlichkeit anzunehmen sein, dass sich sein Zugehörigkeitsempfinden zum anderen Geschlecht nicht mehr ändern wird." Und das ist ja nur der amtliche Teil: Selbst wenn die amtliche Bescheinigung da ist, bleibt ja immer noch der Körper.

Im alltäglichen Justiz-Betrieb hat dieses Selbstbestimmungsrecht allerdings das Potential, für reichlich Probleme zu sorgen. Christian Steinberger, Fachanwalt für Strafrecht in München, hätte dazu ein paar sehr konkrete Fragen: "Was sage ich denn einem Mandanten, der sich umgemeldet hat und seine sechs Jahre Strafe wegen Vergewaltigung jetzt im Frauengefängnis absitzen will?" Ob in einem Dax-Vorstand, der eine Quote erfüllen soll, jemand seinen Rauswurf verhindern kann, indem er seinen Personenstandseintrag ändert? Kann ein Vorstand die Geschlechterquote erfüllen, indem sich einfach zwei Männer als Frau eintragen lassen? Insgesamt aber ist Steinberger skeptisch, dass ein solches Gesetz einer verfassungsrechtlichen Überprüfung überhaupt standhielte. Weiter gedacht heißt das: Wie kann man sicher gehen, dass ein mögliches Selbstbestimmungsgesetz, gerade, wenn es so niedrigschwellig funktioniert, nicht für falsche Zwecke missbraucht wird?

Einwände gegen das Gesetz gelten schnell als transphob, deshalb wird es kaum diskutiert

Steinbergers Fragen und ähnliche Argumente tauchen selten auf in der Debatte, womöglich mitunter, weil Einwände gegen das Selbstbestimmungsgesetz sehr schnell als transphob abgekanzelt werden, wie man eindrücklich in den sozialen Netzwerken beobachten kann. Auch in der Debatte am Mittwoch kam nichts davon zur Sprache. Sven Lehmann, Bundestagsabgeordneter der Grünen, machte recht deutlich, dass jeder der nicht für ihn stimmt, auch nicht auf der Seite von Transpersonen stehe. Bettina Wiesmann, CDU, sagte zwar, das Gesetz schieße weit über sein Ziel hinaus, aber sie sagt nicht warum, Beatrix von Storch, AfD, brüllte "genderpolitischer Wahnsinn" und "Sie gehören in Behandlung!".

Einzig der CDU-Abgeordnete Marc Henrichmann sprach an, dass es auch Frauenrechtsorganisationen gibt, die dem Gesetzentwurf mehr als besorgt gegenüberstehen. Beispielweise, weil seit einigen Jahren der Anteil der Mädchen, die eine Angleichung wollen, zugenommen habe, es aber keine Studien gibt, die untersuchen, warum. Und weil Schutzmechanismen und Schutzräume für Frauen schwer aufrechtzuerhalten sein dürften, wenn sich jeder unbürokratisch zur Frau ummelden kann.

Es gebe "kaum noch rechtliche Konsequenzen aus dem Geschlechtseintrag", sagte der Abgeordnete Jens Brandenburg von der FDP, der für deren ähnlichen Gesetzesentwurf warb. Naja, das sieht man als Frau vielleicht nicht ganz so.

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