Salzburger Festspiele:Jeder Tusch ein Treffer

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Im neuen "Jedermann" haben die Frauen die Hosen und Lars Eidinger die Unterhosen an. Eine runde Sache ist die Inszenierung aber nicht.

Von Christian Mayer

Salzburg im Festspielsommer ist immer auch ein Wetterwahnsinn, das bedeutet entweder drückende Hitze oder eine über dem Mönchsberg hängende Regenfront. Am Samstagabend aber schwillt der Niederschlag zu einem unerbittlichen Extremschauer an. Man wird komplett durchnässt, kehrt zurück, föhnt die Schuhe im Hotel und schafft es doch noch zur Vorstellung, die vom Domplatz ins Festspielhaus verlegt worden ist. Geht schon mal gut los, das Drama.

Jede neue Inszenierung des "Jedermann" wird seit jeher gierig erwartet, gerade weil Hofmannsthals Spiel vom Sterben des reichen Mannes so erwartbar ist, das immergleiche Erschrecken vor dem Tod, der hier mitten in die ausgelassene Festspielparty hineingrätscht und sich holt, was ihm zusteht. Völlig zu Recht erwartet sich das Publikum ein Star-Ensemble, nur die besten Theaterschauspieler sollen sich mit den hölzernen Versen herumquälen. In diesem Jahr aber ist die Spannung besonders, denn mit Lars Eidinger steht ein Extremdarsteller bereit, um im 101. Jahr nach der Salzburger Erstaufführung von 1920 mal so richtig aufzuräumen mit dem Mysterienmief. Wer Eidinger als Hamlet, Richard III. oder Peer Gynt kennt, freut sich auf dieses sehr bewegliche Riesenkind, das jetzt mit 45 so langsam erwachsen werden könnte.

Regisseur Michael Sturminger hatte seit 2017 eine eher konservative Inszenierung geboten, zuletzt mit Tobias Moretti als Jedermann in der Midlife-Crisis und Caroline Peters als distanzierte Buhlschaft in einem Ambiente, das fast ein Spiegel der Salzburger Festgesellschaft war, etwas zu distinguiert und für manche, die den Krawall mehr lieben als das Kammerspiel, sterbenslangweilig. Mit der Neuinszenierung, die jetzt eher zufällig im Laufe der Proben entstanden ist, will Sturminger das Ruder herumreißen. Allerdings gerät schon der Anfang etwas zu lärmig, einige Schauspieler sind kaum zu verstehen vor lauter Getrampel und Musik.

Verena Altenberger ist eine verblüffend selbstbewusste Buhlschaft

Eidingers Jedermann trägt dann seine Geliebte auf den Schultern, sie ist ganz obenauf, er unter ihrem roten Satin-Gewand gar nicht zu erkennen. Mit verblüffender Selbstsicherheit tritt die neue Buhlschaft Verena Altenberger ins Bild, und eigentlich ist sie es auch, die sich hier als Herrin der Geldsäcke und Immobilien präsentiert, zu Jedermanns Monolog über das schöne Luxusleben bewegt sie synchron die Lippen. Klar, wer hier die Hosen anhat und ein Interesse daran, dass die Armen bloß nicht übermütig werden; die von Jedermann eingeforderte Mildtätigkeit muss auf ein Minimum begrenzt werden, damit die Schwerkraft des kapitalistischen Oben-Unten-Schemas nicht aus den Fugen gerät.

So weiblich war der "Jedermann" noch nie, mit Mavie Hörbiger in der Doppelrolle als Gott und Teufel, Angela Winkler als Jedermanns Mutter, Edith Clever als Tod und Kathleen Morgeneyer als Glaube dominieren die Frauen das Geschehen. Und dann darf mit Verena Altenberger die erste Salzburgerin in der Festspielgeschichte überhaupt die Buhlschaft spielen. "Männlich dominante Denkmuster" will Sturminger aufbrechen, deshalb sind einige Figuren fast schon penetrant genderfluid, die Männer stöckeln mit hohen Absätzen lustvoll herum, während die Frauen über Leben und Tod entscheiden.

Bei seiner Mutter wird der Jedermann weich

Lars Eidinger ist klug genug, sich nicht völlig dem Spektakel hinzugeben und gelegentlich auf die Bremse zu steigen. Allerdings ist sein Jedermann anfangs bedrohlich nahe an der Farce: Wie ein nicht mehr ganz junger Glam-Rocker jagt er in einer senfgelben Schlaghose über die Bühne, immer auf der Suche nach dem nächsten Kick, dem nächsten Opfer. Grandios ist tatsächlich der Schaukampf, den er sich mit dem Schuldknecht (Mirco Kreibich) in einem hastig hingestellten Boxring liefert. Jeder Tusch ein Treffer, und das alles mit Mörderabsätzen - das Duell Eidinger vs. Kreibich ist von hinreißender, halsbrecherischer Komik.

Grandioser Boxkampf: Jedermann (Lars Eidinger) gegen den Schuldknecht (Mirco Kreibich). (Foto: SF/Matthias Horn)

Vorgeplänkel ist das alles nur, ein irres Anrennen gegen die Zeit. Ganz leise und poetisch dagegen der Auftritt von Angela Winkler als Jedermanns Mutter. Diese will ihren missratenen Sohn wieder auf den rechten Weg bringen - und für einen Moment sieht es wirklich so aus, als könnte das gelingen. Eidinger wird da ganz weich, das Großmaul zum Kleinkind, das immer seinen Willen bekommen hat, seit er aus dem Mutterschoß gekrochen ist, wo er jetzt wieder liegt.

Im zweiten Teil verliert die Inszenierung deutlich an Tempo und Kraft, aber es gibt ja den Tod: die unvergleichliche Edith Clever. Clever schaut, mit ihren nach oben drapierten Haarhörnern, ein wenig aus wie eine bedrohliche Fee aus einer Disney-Verfilmung. Aber deutlich und majestätisch ruhig klingen ihre Worte bis in die letzten Reihen im riesigen Schauspielhaus. Der Tod drängt, ein bisserl was geht ja doch immer noch, nicht gleich zum Aufbruch, er lässt dem Jedermann sein letztes Stündchen, damit er ein paar Dinge in Ordnung bringen kann.

Es folgen Jammern und Zähneklappern, das große Erschrecken über das baldige Ende, das ist der Wendepunkt in jeder Inszenierung. Ja, der Mann versteht sowohl was von kränkenden wie von gekränkten Männern, er beherrscht das Manische wie das Depressive. Von nun an übernehmen die Dämonen, die Plagegeister der Vergangenheit. Immerhin gewährt die Buhlschaft ihrem Liebhaber noch eine letzte Runde Narzissten-Sex, und allein dafür hat sich die Verpflichtung der beiden Hauptdarsteller gelohnt: Wie Altenberger ihren todgeweihten Lover in den Schwitzkasten nimmt, wie sie ihn noch einmal in bester Tantra-Manier zu Höchstleistungen treibt, wie sie ihn dann sitzen lässt in seiner roten Unterhose, die er fortan tragen wird - all das ist gar nicht mehr komisch, sondern ergreifend.

Den "Jedermann" zu einem würdevollen Ende zu geleiten, wäre eine Meisterleistung

Am Schluss wird's dann noch mal sehr katholisch, und die Inszenierung fällt endgültig auseinander. Die guten Werke sind belanglose Geister in weißen Gewändern, der Teufel (Mavie Hörbiger) wirkt wie aus einem Bully-Herbig-Film entliehen. Treulosigkeit, Verrat und dann plötzlich wieder Hoffnung, Läuterung: An dieser Klippe sind schon viele Theatermacher gescheitert. Eidinger scheint jetzt fast abwesend, er taumelt etwas zu märtyrerhaft dem Ende entgegen, die Unterhose hängt schwer durch. Den "Jedermann" zu einem würdevollen Ende zu geleiten, das wäre mal eine Meisterleistung.

Großer Jubel am Schluss, vereinzelte Buhs. Eine Salzburgerin regt sich fürchterlich auf, "so viel Kitsch an einem Abend, wie kann man den Jedermann so verhunzen". Ach Gott, so schlimm war's wirklich nicht.

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