Pixar-Animationsfilm "Rot" bei Disney+:Wütend wie ein Pandabär

Lesezeit: 3 min

Im Bild ein 13-jähriges Mädchen, das sich zu sehr aufgeregt hat. Passiert halt in dem Alter - Szene aus dem Pixar-Film "Rot". (Foto: Pixar/Disney)

Selbstermächtigung, Pixar-Style: In "Rot", dem neuen Animationsabenteuer von Domee Shi, wird ein pubertierendes Mädchen zum Riesenknuddeltier.

Von Josef Grübl

Wut tut gut, schon klar. Aber könnten wir uns jetzt bitte alle einmal abregen? Deeskalation ist das Gebot der Stunde; wer Wüteriche sehen will, kann immer noch ins Kino gehen. Warum aber dort ausgerechnet der größte aller Ausraster, Ausflipper und Aus-der-Haut-Fahrer vom Scheitel bis zur Sohle grün sein muss, verstehen wohl nur Marvel-Geeks, die einem etwas von Chloroplasten in der Haut des Hulks erzählen und dass diese den wutrasenden Superhelden noch stärker machen. Als Hobby-Farbpsychologe fragt man sich dagegen: Steht nicht Rot für Gefühle wie Wut, Zorn oder Gefahr?

Zumindest die Filmmagier von Pixar scheinen das verinnerlicht zu haben: Ihre dauereskalierende Superheldenfamilie Incredible steckt in roten Anzügen, ihre ungestüme Schottenprinzessin Merida trägt eine feuerrote Lockenmähne - und natürlich erkennt man auch in "Inside Out" den Hitzkopf namens Wut sofort an seiner Farbe. Jetzt sieht eine weitere Pixar-Heldin rot: In "Rot", dem 25. Spielfilm des Animationsstudios, steht ein 13-jähriges Mädchen im Mittelpunkt, das zu einem Roten Panda wird.

Und zwar immer dann, wenn sie wütend wird, ihre Gefühle verrücktspielen oder sie sich zu sehr aufregt - was in diesem Alter ungefähr alle zwanzig Sekunden vorkommt. Man bekommt also jede Menge Panda-Action zu sehen. Dabei ist Mei Lee eigentlich die Vorzeigetochter einer Vorzeigefamilie, ihre Eltern kommen aus China und leben mit ihrer einzigen Tochter im kanadischen Toronto. Dass über der Familie ein seltsamer Panda-Fluch liegt, verschweigen sie ihr aber lieber: Mei Lee wird nach chinesischen Vorstellungen erzogen, sie darf den Eltern niemals widersprechen, fegt jeden Tag den Familientempel und soll in der Schule immer und überall die Beste sein.

Das weckt Erinnerungen an die "Tiger Mom" Amy Chua, die vor einigen Jahren westliche Mütter mit einem Erziehungsratgeber schockierte, der bei der Aufzucht der lieben Kleinen auf Druck, Drill und Disziplinarmaßnahmen setzte. Wie ein Erziehungsopfer wirkt Mei Lee trotzdem nicht, eher wie ein verpeiltes Mädchen in der Pubertät. Erst als ihre Mutter sie vor einem Jungen blamiert und an der Schule für die Peinlichkeit des Jahres sorgt, wird es Mei Lee zu viel: Während die Frau Mama vor der ganzen Klasse mit einer Packung Binden für die erste Periode ihrer Tochter herumwedelt, verwandelt diese sich mit einem Plopp in einen riesigen Roten Panda. Und mit einem weiteren Plopp zurück.

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Was aus mindestens zwei Gründen bemerkenswert ist: Wird hier tatsächlich das Menstruationsthema in einem Familienfilm verhandelt? Und wieso ausgerechnet ein Panda, der ja nicht unbedingt als besonders aktives oder gar angriffslustiges Tier gilt? Mit den im Südwesten Chinas und im Himalaja lebenden Roten Pandas (auch Kleine Pandas oder Katzenbären genannt) hat die Bärenversion von Mei Lee wenig gemeinsam, aber der Film ist ja keine Naturdokumentation, sondern ein Animationsabenteuer samt plüschigem Merchandising.

Generationswechsel bei Pixar: Das Studio wird internationaler, jünger, diverser

Dass dieses Unternehmen trotzdem Herz, Hirn und Humor hat, liegt an seiner Macherin: "Turning Red" ist das Spielfilmdebüt der in China geborenen und in Toronto aufgewachsenen Drehbuchautorin und Regisseurin Domee Shi, die seit 2011 für Pixar als Storyboard-Künstlerin arbeitet und 2019 für ihren Kurzfilm "Bao" einen Oscar gewann. Für Pixar geht damit der Generationswechsel weiter, der sich bereits letztes Jahr mit Enrico Casarosas Debütfilm "Luca" abzeichnete: Während Pixar-Urgesteine wie John Lasseter oder Lee Unkrich (teils nicht ganz freiwillig) die Firma verlassen haben, ist das Studio heute internationaler, jünger, diverser.

Das sieht man auch diesem Film an, der ursprünglich ins Kino kommen sollte, nun aber pandemiebedingt beim Streamingdienst Disney+ startet. Er wurde von Frauen gemacht und stellt weibliche Charaktere ins Zentrum; er verpackt Pädagogik mit Pop und vermischt fernöstliche Mystik mit westlichem Pragmatismus. So erzählt "Turning Red" nicht nur eine Coming-of-Age-Geschichte von Aufbruch und Veränderung, sondern beruft sich auch auf asiatische Monster-Movies, "Sailor Moon", Mangas und Manhuas. Und da Domee Shi im Jahr 2002 (dem Zeitpunkt der Filmhandlung) wie ihre jugendliche Heldin 13 Jahre alt war, kann man davon ausgehen, dass eigene Kindheitserfahrungen mit in ihr Drehbuch eingeflossen sind.

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Beispielsweise die Begeisterung für Boygroups: Mei Lee und ihre drei besten Freundinnen schwärmen für eine fiktive Band namens 4*Town (die seltsamerweise fünf Mitglieder hat). "Das wird unser erster Schritt zum Frausein", sagen die vier Mädchen und meinen damit das Konzert ihrer Lieblingsband, das sie entgegen dem Willen ihrer Mütter besuchen wollen. Mit der von Mei Lees Familie geplanten Rückverwandlungszeremonie verträgt sich das nicht wirklich, mit den Vorstellungen einer Tiger Mom (und einer umso strengeren Tiger Grandmom) noch viel weniger.

Spätestens bei der Auflösung des Ganzen merkt man, dass manche Wendung zu bemüht wirkt und einige Elemente nicht ganz zusammenpassen wollen. Mit der erzählerischen Raffinesse und Eleganz von Pixar-Meisterwerken wie "The Incredibles", "Inside Out" oder "Up" kann dieses Filmdebüt nicht mithalten, dafür will es zu viel auf einmal. Mit Mei Lee hat es aber eine hinreißende Heldin, die irgendwann sogar zur Kämpferin für feministische Selbstbestimmungsrechte wird: "My Panda, my Choice!"

Turning Red , USA 2022 - Regie und Drehbuch: Domee Shi. Mit den Originalstimmen von: Rosalie Chiang, Sandra Oh, Ava Morse, 99 Minuten. Disney+, Streamingstart 11. März 2022.

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