Im Sommer diesen Jahres bewegte eine Nachricht die Kunstwelt: Deutschland gibt die einst geraubten Benin-Bronzen an Nigeria zurück. Der jahrzehntelange Kampf, eine einmalige Restitution, enorm in Umfang und Bedeutung - ein wichtiges, brisantes Thema. Nur: Der Themenkomplex koloniale Raubkunst und Restitution drängt nicht unbedingt auf die Bühne. Wenig Handlung und Handelnde, viel Debatte, sehr heikel.
Regisseur Jan-Christoph Gockel und Choreograf Serge Aimé Coulibaly haben es trotzdem versucht. Die Münchner Kammerspiele und die Kultureinrichtung "La Fabrik" im togolesischen Lomé taten sich zusammen und entwickelten "Les statues rêvent aussi. Vision einer Rückkehr", das nun uraufgeführt wurde. Die Hälfte des Stücks spielt in München, die andere in Lomé, über Live-Video sind die beiden Orte und die Zuschauer miteinander verbunden. Mit Tanz, Marionetten, Gesang, Schauspiel und Videoschalten soll die Geschichte einer geraubten Statue erzählt werden, so die Ankündigung. Nicht nur technisch hätte da so einiges schiefgehen können.
Aber da geht kaum etwas schief. In knapp eineinhalb Stunden entwickelt sich ein kleines, bewegendes Spiel über die Suche nach Gerechtigkeit im Umgang mit kolonialer Raubkunst, fast nicht belehrend. Der Trick ist, dass Gockel und Coulibaly gar nicht erst versuchen, die hitzige Debatte in all ihrer Komplexität abzubilden. Aber sie wissen, wie man gutes Theater macht und nutzen ihre Mittel klug.
Der Abend bietet träumerische Lösungen für komplexe Probleme
Die Münchner befinden sich im Keller eines Völkerkundemuseums, in den Regalen stehen ungeöffnete Kisten, in denen sind noch Kunstschätze drin, erklärt der örtliche Restitutionsforscher, man komme ja gar nicht hinterher, die alle auszupacken, geschweige denn, herauszufinden, woher die Objekte stammen. Da erwacht eine Statue zum Leben, die von Yennenga, einer Kriegerprinzessin des mittelalterlichen Dagomba-Königreichs. Ihr Pferd klettert zur gleichen Zeit in Lomé aus seiner Kiste. Sie seien einst getrennt worden beim Raub, heißt es. Zwei Objekte bedeutet zweimal Geld. Pferd und Prinzessin sind zwei schöne Marionetten, gebaut von Puppenspieler Michael Pietsch. Buchstäblich recken sie sich nun, schauen herum, als suchten sie einander, trippeln zu ihrem Publikum.
Zwei Tänzerinnen, eine in München, eine in Lomé, bewegen sich dazu in Rage, als drückten sie als Vertreterinnen für die geraubten Statuen die Herabwürdigung durch die Kolonialnationen aus, die der afrikanischen Kunst mit Notizblock und Fotoapparat zu Leibe rückten: "Erst zerstören sie eine Kultur und verurteilen sie als primitiv und unmenschlich, dann rehabilitieren sie einige Aspekte, die als Beispiel für eine große Zivilisation stehen", heißt es über diese krude Logik. Man spürt den Schmerz, die Sehnsucht nach Gerechtigkeit und einer freundlichen Verbindung zu den Menschen in Togo am anderen Ende der Inszenierung.
Nur einmal kippt das Stück in Aktivismus, nämlich als Schauspieler Komi Togbonou auf die Straße vor den Kammerspielen stürmt und ruft: "Wir, die Völker Afrikas und Menschen afrikanischen Ursprungs fordern, dass unsere Kunstwerke unsere Zivilisation, unsere Religion und unsere Kultur sofort zurückgegeben werden." So wenig man da widersprechen kann, so unnötig pädagogisch ist das. Dann geht ein Beben durch den Raum, die Prinzessin fliegt davon, um, Überraschung, kurz darauf in Lomé bei ihrem Pferd aufzutauchen. Happy End.
Man kann dem Abend Kitsch vorwerfen, weil er träumerische Lösungen für sehr komplexe Probleme anbietet. Aber es steht ja auch "Vision einer Rückkehr" im Titel. Und wo, wenn nicht im Theater, darf man auch mal mit einer Utopie spielen?