"München - Im Angesicht des Krieges" bei Netflix:Die Welt am Abgrund

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Jannis Niewöhner, Liv Lisa Fries und George MacKay in "München". (Foto: Netflix/Frederic Batier)

Im Netflix-Drama "München" versuchen zwei junge Diplomaten den Zweiten Weltkrieg zu verhindern.

Von Fritz Göttler

Das Buch war nicht unbedingt als Roman geschrieben, von Robert Harris, dem Erfolgsautor des historischen Erzählens, eigentlich schon mal als Drehbuch gedacht, für einen Film. In dem dann sein Freund Jeremy Irons Neville Chamberlain spielen sollte, den umstrittenen britischen Premier, der im September 1938 das Abkommen von München durchdrückte, mit dem Großmächte in Europa das Schicksal der Tschechoslowakei entschieden, ohne dass der Staat dabei sein durfte bei den Verhandlungen, und der drohende Weltkrieg aufgeschoben wurde, noch einmal. Chamberlain ist ein tragischer Held, sagt Harris, er scheitert zwar, aber in seinen Bemühungen steckt Würde. Mit Irons hat er die Figur und die Rolle im Jahr 2016 vor dem Erscheinen des Romans diskutiert.

Das Abkommen ist nur symbolisch, das weiß Chamberlain, aber mit kindlicher Freude streckt er das Dokument bei der Rückkehr aus München auf dem Flugplatz den wartenden Journalisten entgegen. Jeremy Irons schaut sehr müde aus, aber er gibt sich cool und souverän. Wenn man mit Gangstern pokert, hat er zuvor mal erklärt, muss man ein Ass im Ärmel haben. Er weiß, dass der deutsche Gangster - in der englischen Fassung spricht Chamberlain immer von "Herr Hitler" - finstere Großmachtpläne hat und dafür den Krieg vorbereitet, seine Mitarbeiter haben es ihm eindeutig dokumentiert. Die irrationale Hartnäckigkeit seines Appeasement-Credos macht für Harris und in dieser Verfilmung seines Romans durch Christian Schwochow die Tragik der Figur und die Absurdität dieses Moments der Geschichte aus. Momente dieser Art wiederholen sich immer wieder, auch heute wieder, wenn das Verhalten von Großmächten einzuschätzen ist.

Ein Mann, Auge in Auge mit Hitler allein, eine Pistole in der Hand

Christian Schwochow inszeniert die Geschichte, deren Ausgang jeder kennt, als Chronik der Roaring Thirties, in Berlin, flirrend und mit Lust am Detail. Es geht um zwei junge Diplomaten, einer im deutschen, der andere im britischen Dienst, Jannis Niewöhner ( aus Schwochows vorigem Film "Je suis Karl") als Paul von Hartmann, George MacKay (aus "1917") als Hugh Legat. Sie haben beide in Oxford studiert, sind Freunde. Hugh wird nach Deutschland beordert, um in den Tagen der Konferenz ein Dokument zu erhalten, das Hitlers Expansionspläne zeigt. Sie waren zu jung, um am großen Krieg teilzunehmen, erklärt Chamberlain Hugh im Garten von Downing Street, und ich war zu alt ... Daher sein unbedingter Wille, einen neuen Weltkrieg zu verhindern! Aggressiv zupft er Brotbrocken und legt sie in ein Vogelhäuschen.

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Paul gehört im Jahr 1938 zu einer Widerstandsgruppe, die Hitler auszuschalten plant. Jannis Niewöhner wirkt erschreckend verletzlich, wenn er mal die strenge Brille mit der schwarzen Fassung ablegt. Ein Mann, Auge in Auge mit Hitler allein, eine Pistole in der Hand, das ist eine ultimative Form von surrealem Suspense. Einer der unmöglichen Momente der Geschichte. Hitler ist in diesem Film eine ungewöhnlich helle Figur, seine beige Uniform wirkt dezent, sein Grimassenspiel ist reduziert. Keine Hysterie, dafür eine kalte Einsamkeit. Ulrich Matthes spielt ihn als einen last man standing, keiner will die Angst mit ihm teilen, was die Zukunft Deutschlands angeht. Ich kann Menschen lesen, wie Wissenschaftler ihre Bücher lesen, sagt er und visiert Paul mit durchdringendem Blick. Für Deutschland bin ich zu jeder Unredlichkeit bereit, aber privat ... und er gibt die Armbanduhr zurück, die er sich von Paul geborgt hatte.

Munich: The Edge of War , 2021 - Regie: Christian Schwochow. Buch: Ben Power. Nach dem Roman von Robert Harris. Kamera: Frank Lamm. Schnitt: Jens Klüber. Musik: Isobel Waller-Bridge. Mit: Jeremy Irons, Ulrich Matthes, Jannis Niewöhner, George MacKay, Liv Lisa Fries, Jessica Brown Findlay, Sandra Hüller, August Diehl. Netflix, 123 Minuten.

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