Theater in Moskau:Flurbereinigung

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Aus Russland nimmt Müller BBM aktuell keine Aufträge mehr an. Die Sanierung des Moskauer Bolschoi-Theaters, hier mittig die Zarenloge, war eine Herausfordung für die Planegger Ingenieure. (Foto: Yoichi Hayashi/AP)

Das Moskauer Bolschoi sagt ein Ballett von Serebrennikov und eine Oper ab. Der Krieg ist die Gelegenheit, Unliebsames loszuwerden.

Von Dorion Weickmann

Eine offizielle Mitteilung gab es nicht, nur einen Post bei Telegram: "Statt der angekündigten Aufführungen des Balletts über Rudolf Nurejew wird 'Spartacus' gezeigt", ließ das Moskauer Bolschoi am vergangenen Sonntagabend wissen. Ohne Begründung. Allerdings spricht die Absage, von der auch die Oper "Don Pasquale" betroffen ist, Bände: Die Gunst der Kriegsstunde spielt all denen in die Hände, die unliebsame Inszenierungen und unliebsame Theaterleute schon lange von der Bühne verbannen wollen. Im Fall der Donizetti-Oper "Don Pasquale" trifft es den Regisseur Timofey Kulyabin, der sich mehrfach gegen die Ukraine-Offensive positioniert hat und inzwischen im Westen ist.

Bei "Nurejev" kommen mehrere Motive zusammen. Da ist zum einen der Regisseur und Regimegegner Kirill Serebrennikov, der das Auftragswerk gemeinsam mit dem Choreografen Yuri Possokhov 2017 nach monatelangen Querelen inklusive Premierenverschiebung uraufgeführt hat. Der Theatermacher, den der Putin-Staat über Jahre hinweg verfolgt und zuletzt zu einer Bewährungsstrafe verurteilt hat, hält sich derzeit im Westen auf und hat den Kreml-Kurs mehrfach scharf kritisiert. Zum anderen ist das "Nurejev"-Sujet - schwuler Tänzer, der sich in den Westen absetzt - vor dem Hintergrund der homophoben und bellizistischen Propaganda des russischen Machtapparats eine Provokation und Hardlinern seit der Premiere ein Dorn im Auge. "Spartacus", 1968 von Yuri Grigorovich am Bolschoi in Szene gesetzt, erzählt dagegen vom tapferen Anführer des antiken Sklavenaufstands: aus Kreml-Sicht eine PR-taugliche Heldensaga.

Auf Begründung für die Programmänderung wartet man vergebens

Auf den ersten Blick mag irritieren, dass Bolschoi-Generalintendant Wladimir Urin das Repertoire dergestalt neu justiert. Schließlich hatte der Fünfundsiebzigjährige gleich zu Beginn des Krieges im Schulterschluss mit zahlreichen Kollegen aus dem Kulturbereich einen Friedensappell lanciert. Indes revanchierte sich Wladimir Putin, indem er seinem treuen Gefolgsmann Valery Gergiev, Chef des Sankt Petersburger Mariinsky, auch die Verantwortung fürs Bolschoi antrug. Urin hat diese Drohgebärde offensichtlich verstanden und handelt danach. Zumal ihn der Exodus prominenter Tänzer bis hin zur Starballerina Olga Smirnova, die nach Amsterdam abgewandert ist, zusätzlich in Bedrängnis brachte.

Bolschoi-Intendant Wladimir Urin hatte bei Kriegsbeginn einen Friedensappell lanciert, jetzt folgt er den Wünschen des Kreml. (Foto: Pavel Golovkin/AP)

Der Mann an der Spitze des Bolschoi ist nunmehr bemüht, sein Haus samt 3400 Angestellten in Sicherheit zu bringen. Und das heißt: eine Flurbereinigung durchzuführen, die den Intentionen stramm nationalistischer bis chauvinistischer Kreise entgegenkommt. "Das Ende von Sodom", so bejubelte etwa der Oligarch und Vorsitzende der Tsargard Media Group, Konstantin Malofeev, die "Nurejev"-Absetzung via Telegram. Einige Ticketkäufer, die auf "Nurejev" verzichten und stattdessen "Spartacus" anschauen sollen, forderten auf dem gleichen Messenger-Dienst eine Begründung für die Programmänderung. Vergebens. Das Bolschoi blieb stumm.

Bereits Ende April hat Wladimir Urin die Öffentlichkeit in einem TASS-Interview wissen lassen, er nehme eine "Import-Substitution" vor, da die "aktuelle Lage solche Anpassungen" erfordere. Soll heißen: Der Spielplan wird auf einheimische Erzeugnisse verkürzt. Zugleich äußerte Urin die Hoffnung, dass geplante Koproduktionen und Gastspiele verschoben werden und die Kulturbrücken Richtung Westen nicht komplett einstürzen.

2023 soll das Bolschoi-Ensemble in Hamburg gastieren, als Highlight zum Abschied von Ballettchef John Neumeier. Ob Moskaus Premiumkompanie wirklich anreisen und mehr vorzeigen kann als "Spartacus"? Im Moment undenkbar.

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