Popkolumne:Gitarre für sechs Millionen Dollar gefällig?

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Kurt Cobain im Video zu "Smells Like Teen Spirit" mit seiner Fender Mustang. Die Gitarre ist zu verkaufen. Er war das freilich nie. (Foto: Youtube/Screenshot)

Es ist wieder Devotionalien-Versteigerungssaison. Diesmal im Angebot: 90er-Kram von Kurt Cobain und Madonna. Und dazu Musik von Ungemach und Kurt Vile.

Von Jakob Biazza

Man könnte eigentlich mal wieder Gitarren shoppen. Tut man zu wenig, ganz allgemein. Und konkret gibt es ein paar feine Angebote. Gerade macht zum Beispiel die Fender Mustang verstärkt die Runde, die Kurt Cobain 1991 im Video zu "Smells Like Teen Spirit" benutzt hat (oder zumindest glaubwürdig genug benutzt haben soll - wer weiß aus den heroinvergifteten 90ern schließlich noch wirklich exakt, wo er wann welche Gitarre hingelegt hat). Sie ist Teil einer wirklich sehr großen Devotionalien-Versteigerung von Julien's Auctions, die, als ob der ganze Vorgang nicht so schon verdächtig genug wäre, ausgerechnet im New Yorker Hard Rock Café stattfindet (20. bis 22. Mai, falls es jemand im Kalender festhalten möchte).

Verkauft wird unter anderem Zeug von Eddie Van Halen, Queen, Elvis, Lady Gaga, Michael Jackson, Little Richard, Elton John, Bob Dylan, Eric Clapton, Cher, Bob Marley oder Jimi Hendrix. Darunter ein Schlagzeug der Quarry Men, jener Band, in der John Lennon vor den Beatles spielte. Außerdem die Klamotten, die Madonna in "Material Girl" trug (wobei auch hier gelten könnte, was weiter oben über Gitarren und die 90er stand). Beides, wie man wohl sagen würde, Steckenpferde des Auktionshauses übrigens. Man stand für den Verkauf des "Happy Birthday, Mr. President"-Kleides von Marilyn Monroe im Guinness-Buch. Ein Schlagzeug von Beatles-Drummer-Ringo Starr ging für mehr als zwei Millionen weg. Die Gitarre, auf der Cobain beim MTV-Unplugged unter anderem "The Man Who Sold The World" spielte, das nur für die finanzielle Wochenendplanung im Mai, brachte es vor knapp zwei Jahren auf gut sechs Millionen (ein wiederbefüllbares Tablettenfläschchen aus Plastik, in dem er seine verschreibungspflichtigen Magentabletten mitführte: 3840). Dollar allerdings. Im Grunde also geschenkt.

Eigentlich ja "The Man, who didn't sell the world": Kurt Cobain beim MTV Unplugged mit der späteren Sechs-Millionen-Dollar-Gitarre. (Foto: Frank Micelotta Archive/Getty Images)

Und eh ein spannendes Feld: Progressivere Vermögensverwalter empfehlen Gitarren inzwischen ja sogar als Wertanlage. Müssen gar nicht unbedingt von berühmten Toten gespielt worden sein. Nur alt. Sehr alt. 50er-Jahre: Mondpreise. Schnell mal sechsstellig. 60er auch langsam. Man traf vor ein paar Jahren in dieser Sache Matthias Jabs, den Gitarristen der Scorpions, der in München damals gerade einen Laden eröffnet hatte, in dem er neben Neuem auch teures Altes verkaufte - eine Gibson für etwa 300 000 Euro zum Beispiel. Und man wollte nun natürlich wissen, wer sich eine Gitarre um diesen Preis zulegt. Sehr vorsichtige, aber schon auch ein bisschen lässige Antwort: "Nun, es gibt diese Leute."

Ach so: Die Warnung ist im Grunde unnötig, Menschen, die solche Gitarren kaufen, spielen sie ja tendenziell nicht, aber, Cobain: Linkshänder. Das wäre also zu berücksichtigen.

An dieser Stelle dann außerdem noch ein sehr privater Aufruf: Dem Autor wurde vor vielen Jahren in einem Industriegebiet im Münchner Westen eine Fender Stratocaster gestohlen - Mexican zwar, aber mit wirklich sehr feinem, warmen Ton und trotzdem genug Strat-Schnalz. Tolle Sunburst-Lackierung auch. Er hat sie sehr geliebt. Deshalb wünscht er dem Dieb sehr hartnäckige, sehr große Nierensteine - würde ihm aber trotzdem immer noch Lösegeld bezahlen.

(Foto: N/A)

Daran schließt doch sehr geschmeidig der Pressetext zur neuen EP von Ungemach an: "Die Gitarren sind verschwunden." Stattdessen gibt es auf "Träume von Entfremdung" (Ungemach) furchteinflößende Industrial-Beats, schaurig verätztes Synthie-Gekreisch und einen dunkelschwarzen, nun, man kann es wohl Sprechgesang nennen, der von Zeiten der Isolation berichtet. Insgesamt viel Pathos, aber ziemlich wohltuendes. Flughöhe textlich: Rammstein für Menschen, die viel zu jung sind, um in den 90ern Gitarren oder Klamotten verlegt zu haben. Flughöhe musikalisch: Casper, der in einem, das nicht nur fürs maue Wortspiel: Kaspar-Hauser-haften Experiment in ein Erdloch gesperrt wurde und die ersten Menschen zehn Jahre später in einem grellen Raum voll mit extrem laut aufgerissenen Moog-Synthesizern sieht.

(Foto: N/A)

Ganz anderes Leben hingegen hier: "Meine Lieblingsbeschäftigung ist es heutzutage, morgens nach dem Frühstück am Fenster zu sitzen, Kaffee zu trinken, zu lesen und Sun Ra zu hören, während die Sonne durch die Bäume des Waldes scheint", lässt der Indie-Pop-Schrat Kurt Vile zum neuen Album verlauten. Er sei, statt in echt unterwegs zu sein, viel in seinem Kopf verreist, sagt er auch noch. "Am Klavier oder auf meiner Gitarre." So klingt "(watch my moves)" auch. Verdengelte Gitarren, verdengelter Gesang, verdengelte Lyrics ("Flyin like a fast train / I don't feel a thing / Till when I pull into my station I just... crash n' burn - yeah"). Und ansonsten viel sepiafarbenes Licht. Tut gut.

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