Theater, Oper, Pop und Klimaschutz:"Es wurden 0 Ergebnisse für Nachhaltigkeit gefunden"

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Damals war die Welt noch bunter - und man ging im Bus auf Tournee: The Who vor einem "psychedelisch angemalten" Bus wohl zu Beginn ihrer Nordamerika-Tour im Sommer 1968. Ein anderes Bild des Shootings wurde für das Cover des US-Albums "Magic Bus: The Who on Tour" verwendet. (Foto: imago images / United Archives)
  • Der Gedanke der Nachhaltigkeit kommt langsam auch in der Kunstwelt an, wo moralische Appelle ans Publikum bisher kaum von konkreten Maßnahmen ökologischer Konsequenz begleitet waren.
  • Das schwedische Helsingborg-Orchester etwa nimmt nur noch Gastspiele an, wenn die Reise mit Bahn oder Schiff möglich ist.
  • In Deutschland werden einsichtige Institutionen von Politik und Verwaltung allerdings kaum unterstützt, sondern vielmehr bestraft.

Von Till Briegleb

Die Documenta 14 von Adam Szymczyk vor zwei Jahren war sehr politisch. Aber eines war sie nicht im Geringsten: ökologisch. Wenn rund 200 Künstler mit Assistenten ständig zwischen Athen und Kassel hin- und herfliegen, damit sie an beiden Orten präsent sein können, dazu ein riesiges Kuratorenteam zur Vorbereitung mehrere Jahre den Globus bereist, dann hinterlässt alleine diese Mobilität Millionen Kilo CO₂ in der Atmosphäre. Dass ein paar Reiter als Kunstaktion die 1850 Kilometer zwischen den Städten auf dem Pferd absolvierten, ändert wenig an der wirklich katastrophalen Umweltbilanz eines Kunstfestivals, das sich politische Gerechtigkeit zum Thema gemacht hatte.

Könnte die Documenta 14 heute immer noch so beschlossen werden? Vermutlich nicht. Aber sind internationale Großereignisse der Kultur aus Einsicht jetzt nachhaltiger? Wo sie durch niemanden verpflichtet sind, eine öffentliche Klimabilanz zu erstellen, die den Umweltschmutz unterm Kunstteppich zeigt, und zwar inklusive Verpackungen, Gastronomie, Produktion sowie den Flugreisen des Publikums?

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Wenn in Venedig die Kunsttouristen neuerdings nasse Füße bekommen, in den Biennale-Bistros aber fast nur plastikverpacktes Fleisch verkauft wird, stellt kaum einer den klimaschädlichen Zusammenhang her. Wenn auf der Istanbul-Biennale Plastik in den Meeren sogar Leitthema ist, das weit gereiste Publikum bei der Eröffnung aber vom Sponsor Wegwerfbecher kredenzt bekommt, sagt das viel über die mangelnde Anstrengung der Kulturindustrie, zu praktizieren, was sie predigt.

Doch das Umdenken kommt langsam auch in jenem Bereich an, wo moralische Appelle ans Publikum bisher kaum von konkreten Maßnahmen ökologischer Konsequenz begleitet waren. Auf einer Tagung der Kulturstiftung des Bundes in Halle zum Thema "Theater und Klimawandel" in der vergangenen Woche bekannten sich alle Festivalmacher und Theaterproduzenten vehement zum Wandel, auch wenn eher zähneknirschend zugegeben wird, dass dieser vor allem ein Bekenntnis zum Weniger wäre. Was Coldplay gerade vorgemacht hat, einen Tourverzicht auszusprechen, um das Klima nicht wieder mit 122 Shows auf vier Kontinenten zu belasten wie bei ihrer letzten Konzertreise, hat noch nicht wirklich Vorbildcharakter. Obwohl es von der Warte klimabewussten Handelns die einzige wirklich wirksame Konsequenz ist. Nur Verzicht hilft effektiv.

Das Helsingborg-Orchester geht nur noch mit Schiff oder Bahn auf Tournee

"Aber wir brauchen den internationalen Kulturaustausch, gerade jetzt", erklärte in Halle ein verzweifelter Dramaturg zu Recht. Nur führt diese Argumentation leider noch viel zu oft zu einer Blockadehaltung, wenigstens über Alternativen nachzudenken. Allerdings werden willige Institutionen von Politik und Verwaltung auch nicht unterstützt, sondern bestraft. So dürfen in Deutschland Kompensationszahlungen für Flüge nicht als Ausgaben abgerechnet werden, und Verwaltungen, die gesetzlich verpflichtet sind, nur auf finanzielle und nicht auf ökologische Kosten zu achten, fordern billiges Fliegen statt teuren Bahntransport.

Wer das anders machen möchte, ist immer der Leidtragende, denn Anreise auf dem Landweg belastet ohne zusätzliche Zuwendungen die künstlerischen Etats. Aber auch an anderen Stellen verlangt die behördliche Kostenlogik umweltschädliches Handeln. Öffentliche Institutionen können meist nicht auf Ökostrom umsteigen, weil sie das billigste Angebot akzeptieren müssen. Und der Zwang zu immer höheren Eigeneinnahmen führt Theater zur Suche nach lukrativen Gastspielreisen neben dem Spielbetrieb, was so ökologisch ist wie den Motor beim Parken laufen zu lassen.

Tatsächlich kann man die Kulturanbieter nicht von der Schuld freisprechen, sich um das Thema lange gedrückt zu haben, auch weil Reisen einen hohen Statusgewinn verspricht, ebenso wie immer aufwendigere Projekte zu realisieren. Schon eine Selbstverpflichtung wie das Umweltmanagement des EMAS, mit dem die EU nachhaltiges Handeln in Unternehmen zertifiziert, findet in der Kulturbranche kaum Nachfrage. Die Kulturstiftung des Bundes, die die EMAS-Richtlinien auch ihren Zuwendungsempfängern wie dem Berliner Theatertreffen und der Documenta empfiehlt, ist da eher die Ausnahme.

Immerhin haben einige deutsche Museen zuletzt einen Brandbrief an die Staatsministerin für Kultur, Monika Grütters, geschickt, in dem sie "eine Taskforce" fordern, die sich "den klimapolitischen Herausforderungen in Museen widmet". Vom Bühnenverein, der die Theater und Orchester vertritt, hat man dazu hingegen noch nichts gehört. Obwohl weltreisende Orchester und Ensembles zu den größten Klimasündern der Branche gehören und jährlich Tausende Bühnenbilder gebaut und geschreddert werden, ergibt die Suche auf der Verbandswebsite: "Es wurden 0 Ergebnisse für Nachhaltigkeit gefunden."

Marc Grandmontagne, seit 2017 Geschäftsführer des Bühnenvereins, will an diesem Punkt jetzt "einen großen Satz nach vorne machen". Auf der Jahreshauptversammlung soll Klimabewusstsein zentrales Thema werden. Best-Practice-Beispiele wie das schwedische Helsingborg-Orchester, das Gastspiele nur noch annimmt, wenn die Reise mit Bahn oder Schiff möglich ist, sollen diskutiert, ein Maßnahmenkatalog zu ökologischem Verhalten entwickelt und die Möglichkeit einer Klimabilanzierung angedacht werden.

Auch die nächste Documenta möchte das Gegenteil der vorherigen in Sachen Klimaschutz werden. Die neue Geschäftsführerin Sabine Schormann ist fest entschlossen, jedes mögliche Feld vom Fliegen bis zur Papierflut auf den Prüfstand zu stellen und hat in dem indonesischen Kuratorenteam Ruangrupa diesmal künstlerische Leiter zur Seite, die ihre Idee einer Welt des Gemeinwohls nicht nur künstlerisch, sondern auch praktisch betrachten wollen.

"Eine weitere documenta des 'Größer, schneller, weiter' wird es nicht geben", verspricht Schormann. Sie sieht bereits Zeichen dafür, dass die staatlichen Geldgeber akzeptieren, dass weniger eventuell mehr kostet, weil es besser für die Menschheit ist. Das jedenfalls wäre die Grundvoraussetzung, dass die Documenta 15 in zwei Jahren genauso politisch wie ökologisch wird. Denn ganz verzichten will man auf das Kunstfest ja nicht. Oder vielleicht einmal doch?

© SZ vom 29.11.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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