Der Filmemacher Terrence Malick ist das große Mysterium des amerikanischen Kinos, aus einer Reihe von Gründen. Beim Kino ist er erst gelandet, als er schon Texte von Heidegger übersetzt hatte; und zum Image des Harvard-Philosophen kam dann noch eine permanente Flucht vor Ruhm und Öffentlichkeit dazu, ein an Besessenheit grenzendes Versteckspiel.
Brad Pitt im Kino:Sonnyboy mit Tiefgang
Je älter Brad Pitt wird, desto ernstere Themen geht er an: Jetzt kommt er mit "Moneyball" in die Kinos, einem Film, in dem es um eine gewichtige Angelegenheit geht - den Pioniergeist im Kapitalismus. Erst im vergangenen Sommer stellte er sich in "The Tree of Life" den richtig großen Fragen der Menschheit. Der Sonnyboy will uns was sagen. Die Bilder
Der amerikanische Filmjournalist Peter Biskind, der seinerseits besessen daran arbeitet, alle Geheimnisse der amerikanischen Filmindustrie freizulegen, hat sich des Falls Malick Ende der neunziger Jahre einmal angenommen, als Malick gerade nach zwanzigjähriger Kino-Abstinenz wieder auftauchte.
Was er damals zutage gefördert hat, lässt The Tree of Life als Malicks großes Chef d'Œuvre erscheinen. Weil er damit erstens dann doch sein Innerstes preisgibt, und zweitens jenen Film gemacht hat, den er damals nicht drehen konnte: Es sollten Bilder werden, die noch nie zuvor jemand gesehen hat, sagte sein damaliger Kameramann, von einem schlafenden Gott, der vom Anbeginn des Universums träumt.
The Tree of Life, Ergebnis jahrelanger Arbeit, in Cannes im vorigen Monat erstmals gezeigt und mit der Goldenen Palme ausgezeichnet, ist sehr eng mit Malicks eigener Familiengeschichte verknüpft - der Tod des Bruders und das schwierige Verhältnis, das er zu seinem Vater hatte. The Tree of Life ist verfilmter Bewusstseinsstrom, ein Fluss von Erinnerungsfetzen und Bildern, die zurückführen an den Anbeginn der Welt.
Wir tauchen ab ins Bewusstsein eines Mannes - Sean Penn, den man dann lange Zeit nicht wiedersehen wird - in einem großen modernen, kalten Haus, in seine quälende Erinnerung an den Tod seines Bruders und die Unfähigkeit der Mutter, sich damit abzufinden; dann kommt eine zunächst verwirrende, aber traumschöne Sequenz , die von einem lavalampenartigen Urknall zur Entstehung des Lebens an sich führt, und letztlich in ein bestimmtes Leben mündet.
Achterbahn der Wahrnehmungen
Die Wahrnehmungen eines kleinen Jungen in der Nachkriegszeit, Momentaufnahmen, wie sie sich ins Hirn brennen, weil man zum ersten Mal sieht, die Silhouette der Mutter, das Sonnenlicht, das an der Wand tanzt, ein Vorhang, der im Wind weht, die Eifersucht, als ein weiteres Baby geboren wird, und er die Mutter nicht mehr für sich allein hat, und dann all die Probleme und Unsicherheiten und Streitigkeiten, die sich erst ergeben, als die Sprache hinzukommt.
Brad Pitt spielt den Vater, man sieht ihn einmal, als der Junge gerade geboren wurde, wie er, zärtlich und hingerissen, den winzigen, durchscheinenden Fuß betrachtet. Aber der liebende Vater ist streng, er will die Jungen, drei sind es letztlich, unerbittlich nach einem bestimmten Ideal erziehen - einerseits sollen sie nicht werden wie er, er fühlt sich als Versager, sie sollen sich behaupten; andererseits sollen sie doch seine Ebenbilder werden, und nicht die ihrer Mutter.
Was man da sieht, ist eine Achterbahnfahrt der Wahrnehmungen, unendlich schöne Bilder - ein sich formierender Vogelschwarm über einer Skyline in der Stadt zu Beginn, die Bäume und die Natur und der Himmel in der Kleinstadt der Kindheit.
Malick ist der große Pantheist unter den Filmemachern, er findet in der Natur Schönheit und Grausamkeit nebeneinander und ineinander verwoben. In The Tree of Life treibt er das weiter, und er lässt keine Sekunde Zweifel daran, was das eigentlich ist, was er da zeigt - eine Suche nach Gott.
Cannes-Finale:Persona con grata
Kirsten Dunst guckt ein wenig säuerlich, Robert De Niro gibt sich maulfaul und einen Skandal gab es auch - trotzdem gilt Cannes in diesem Jahr als voller Erfolg. Die schönsten Bilder zum Abschluss.
Mit Hiob fängt es an, und den Zweifeln, dass keinerlei Rechtschaffenheit einen vor Unglück bewahrt, und mit den Sinnerklärungen der Mutter. Es gibt zwei Wege durchs Leben, sagt sie, den der Natur und den der Gnade. Die Natur ist herrschsüchtig und egoistisch, die Gnade duldsam und ohne Eigennutz - diese Zweiteilung der Welt war auch schon in Malicks Kriegsepos Der schmale Grat (1999) ein Thema - dass wir nicht einer Macht, sondern zweien unterworfen sind.
Hier sind es dann wohl auch ein weibliches und ein männliches Element, die Mutter ist die Gnade, der Vater Natur - letztlich sind aber die abstrakteren Fragen die interessanteren. Ob beispielsweise die Natur, dieser Zweifel deutet sich schon in der Welterschaffungssequenz des Films an, Gnade kennt und das Schwache schont.
The Tree of Life ist eine religiöse Reise - wer die Schönheit der Welt sieht, ist näher bei Gott. Ich habe die Pracht nicht gesehen, sagt der Vater einmal, klagend, als der Sohn gestorben ist.
Die Filme von Terrence Malick - es sind ja in vier Jahrzehnten nur fünf fertig geworden - sind alle von der Sinnsuche in der Natur erfüllt, schon die beiden in den Siebzigern gedrehten, Badlands und Days of Heaven. Und diesmal betreibt Malick diese eben sehr direkt und bibelfest. Ein Film über alles, und man muss, um Tree of Life zu mögen, sich entweder darauf einlassen, dass der Film tief religiös ist - oder sehr krampfhaft versuchen, die Idee von den rivalisierenden Mächten, der Natur und der Gnade, männlicher Herrschsucht und weiblicher Schaffenskraft, vom Christentum zu lösen.
Aber leicht macht Malick es einem nicht - The Tree of Life ist einerseits Gedanken- und Erinnerungsstrom, andererseits aber ein langes Gebet. So richtig folgen kann man Malick nicht immer, aber dass es Raum gibt für Interpretation und Projektion, ist sicher Teil seines Plans - so kann man durchaus den Abspann eines Lebens darin sehen, das, was an einem Sterbenden vorüberzieht. The Tree of Life ist ein Nebeneinander von Genie und Wahnsinn - das Allerseelen am Strand, in dem Malick seinen Bilderstrom münden lässt, hat in Cannes nicht viele Freunde gefunden.
Einfach unfilmbar
Wie immer man dazu steht, selbst wenn man nichts anfangen kann mit der Welt- und Gottsicht, wie Terrence Malick sie hier zelebriert - dann muss man immer noch mit Staunen anerkennen, wie er das gemacht hat. Die Gedankenfetzen, die Malick zeigt, sind für sich genommen einfach unfilmbar, die emotionalen Fragmente unspielbar. Er kann sie nicht so gedreht haben, wie man sie hier sieht, er muss in ganzen, zusammenhängenden Szenen gedreht haben, um dann aus einem langen durcherzählten Film The Tree of Life herauszudestillieren.
Man kann daran zweifeln, ob das wirklich eine ideale Form des filmischen Erzählens ist - die Kamera ist permanent in Bewegung, viel mehr, als man es beim tatsächlichen Sehen ist, und der Film ist so schnell geschnitten, dass man den Verdacht nicht los wird, Brad Pitt habe hier den Auftritt seines Lebens absolviert, und man habe es verpasst, weil kein Gesichtsausdruck lange genug im Bild bleibt, um ihn wirklich zu betrachten.
Aber grandios und überwältigend ist das, was Malick da gemacht hat, auf jeden Fall. Niemand wird je sagen können, er habe die Pracht nicht gesehen; er findet sie in allem, was er sieht, selbst in Grausamkeit und Verzweiflung und Verlust. Und wenn Gott die Gesamtheit aller Dinge ist, dann ist auch ein Film göttlich, und The Tree of Life ein Stückchen Schöpfung für sich.
THE TREE OF LIFE, USA 2011 - Regie und Buch: Terrence Malick. Kamera: Emmanuel Lubezki. Schnitt: Hank Corwin, Jay Rabinowitz, Daniel Rezende, Billy Weber, Mark Yoshikawa, Mit: Brad Pitt, Sean Penn, Jessica Chastain, Hunter McCracken, Fiona Shaw, Laramie Eppler. Concorde, 138 Minuten.