"Frieden, Liebe und Death Metal" im Kino:Man kann nur mitfühlen, nicht nachfühlen

Lesezeit: 3 Min.

Ramón (Nahuel Pérez-Biscayart) will kein Detail der Nacht vergessen. "Die Leute neben mir auf der Tanzfläche. Oder die Barleute." (Foto: Studiocanal)

Das Filmdrama "Frieden, Liebe und Death Metal" erzählt vom Bataclan-Attentat - eigentlich aber von der Unberechenbarkeit von Traumata.

Von Annett Scheffel

Wie zwei Gespenster irren sie durch das nächtliche Paris. Ein junges Paar mit bleichen Gesichtern, eingewickelt in Wärmefolien, die im Licht der Stadt goldfarben glitzern, taumelnd halten sie sich aneinander fest. Ein poetischer Moment. Aber die Rettungsdecken verweisen auf den Schrecken der vergangenen Stunden, sie fliegen im Herbstwind und scheinen trotzdem zentnerschwer zu sein. Sie tragen das Paar von einer Realität hinüber in eine neue - vor und nach dem 13. November 2015.

Passiert das hier gerade wirklich? Was ist überhaupt passiert? Man liest die Fragen auf den beiden Gesichtern. Wer das im Kino sieht, kennt die Antworten bereits: Es ist die Nacht der terroristischen Anschläge im Pariser Ausgehviertel zwischen Bastille und Place de la République. Bei dem Anschlag in der Bataclan-Konzerthalle werden 89 Menschen ermordet, Hunderte werden verletzt.

Die beiden bleiben unverletzt, kommen aber nicht zur Ruhe

Isaki Lacuestas sensibles, fragmentarisches Drama "Frieden, Liebe und Death Metal" setzt da ein, wo der eigentliche Horror gerade vorbei ist. Der spanische Regisseur erzählt von der langen, psychisch komplexen Odyssee dieses irrlichternden Paares, brillant gespielt von Noémie Merlant und Nahuel Pérez-Biscayart. Céline und Ramón, sie Französin, er Spanier, bleiben nach dem Abend zwar körperlich unversehrt, kommen aber nicht zur Ruhe.

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Der Film ist eine Adaption des gleichnamigen autobiografischen Berichts des Überlebenden Ramón González. Der deutsche Filmtitel und jener der Buchvorlage bezieht sich auf die Rockband, die an diesem Abend im Bataclan auftrat: "Peace, Love, Death Metal" hieß das erste Album der Eagles of Death Metal. Zum Film passt aber eigentlich besser sein spanischer Originaltitel: "Un año, una noche" - ein Jahr, eine Nacht. Denn der Schock sitzt tief. Und will lange nicht aus dem Leben von Céline und Ramón weichen.

Es ist ein Film über den Terror nach dem Terror, den Terror, der andauert, wenn der Rest der Welt weiterzieht. Die Kamera ist nah dran an den beiden Hauptfiguren. Sie zeigt die Verstörung und Verdrängung, zeigt Panikattacken und Routinezwang, Alkoholrausch, Galgenhumor und verzweifelte Versuche, zurück ins Leben zu finden. Und sie zeigt, wie unterschiedlich die Traumabewältigung aussehen kann: Céline tut, als wäre nichts passiert - nicht nachdenken, nur weitermachen. Ramón dagegen will alles genau verstehen. Er versucht, sich obsessiv jedes Detail jener Nacht ins Gedächtnis zu rufen, ohne zu wissen, was er mit all dem machen soll. In schlaflosen Nächten erstellt er Fluchtpläne für Orte, an denen er nie gewesen ist. In einer berührenden Szene sitzt er mit dunklen Augenringen in einer psychotherapeutischen Sprechstunde und erzählt, wie er dauernd alles durchgeht: "Was ist passiert? Was nicht? Was hätte ich tun können? Ich habe extreme Angst, was zu vergessen. Die Leute neben mir auf der Tanzfläche. Oder die Barleute."

Die Szenen bleiben Fragmente der Trauerarbeit

"Frieden, Liebe und Death Metal" ist bereits der dritte Film in diesem Herbst, der sich nach Cédric Jimenez' "November" und Kilian Riedhofs "Meinen Hass bekommt ihr nicht" mit den Anschlägen jenes Tages beschäftigt. Jimenez beleuchtet den Fall kühl und nüchtern, in einem Thriller über die Arbeit der ermittelnden Sicherheitsbehörden. Riedhofs Drama ist immer haarscharf an der Grenze zur Rührseligkeit, es beleuchtet die Trauer des real existierenden Hinterbliebenen Antoine Leiris, der im Bataclan seine Frau und die Mutter seines Sohnes verliert: Er wurde durch einen Facebook-Post bekannt, in dem er die Täter ansprach. Ebenso wie nun Lacuesta mit "Frieden, Liebe und Death Metal", widmete Riedhof sich weniger dem Anschlag selbst als vielmehr seiner Aufarbeitung, thematisierte aber viel stärker auch den gesellschaftlichen Furor zwischen Angst, Trotz und Wut. Bei Lacuesta kommt diese Debatte nur einmal am Rande vor: als bei einem Saufabend mit Freunden über ebenjenen Facebook-Post von Antoine Leiris geschritten wird.

Was Lacuesta zeigen will, ist der schmerzhafte Prozess, das Auf und Ab, die innerliche Aufbreibung und die daraus resultierenden Risse in der Paarbeziehung. Er tut das in eindringlichen Szenen, die aber immer nur Fragmente der Traumaarbeit bleiben. Die Protagonisten werden in ihren Handlungen und Emotionen nie durcherklärt. Im eigenen Erleben bleiben beide isoliert, Céline, die alles wegschieben, und Ramón, der alles nah heranholen will. Von außen kann man nur mitfühlen, nicht nachfühlen.

Lacuesta erzählt von den psychosozialen Folgen des Terrorattentats. Der Anschlag selbst, das Geschehen am Abend, kommt nur in bruchstückhaften Passagen vor. Unklar bleibt, ob sie Rückblenden sind, was verzerrte Erinnerung und was Angsttraum ist. Im Grunde ist es kein Film über den Anschlag im Bataclan - sondern über die Unberechenbarkeit von Traumata. Und die Verletzlichkeit der menschlichen Seele.

Frieden, Liebe und Death Metal , Spanien/Frankreich 2022 - Regie: Isaki Lacuesta. Buch: Fran Araújo, Isa Campo, Isaki Lacuesta. Kamera: Irina Lubtchansky. Mit: Noémie Merlant, Nahuel Pérez Biscayart: Ramón, Quim Gutiérrez, Alba Guilera. Studio StudioCanal, 130 Minuten. Kinostart: 15.12.2022.

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