Chuck Berry:Ein Hoch auf Chuck Berry, der den Rock 'n' Roll in die Welt brachte

Lesezeit: 3 min

Der Sänger, Songwriter und Gitarrist Chuck Berry ist im Alter von 90 Jahren gestorben. Ob die Welt ihm je genug gedankt hat?

Von Willi Winkler

Dieser Text erschien zu Chuck Berrys 90. Geburtstag am 18. Oktober 2016.

Das Lied vom Landei, das groß rauskommt mit einer Gitarre wie Glockenläuten, der Name riesengroß in der Leuchtreklame, ist ein einziger Betrug. Der "country boy" Johnny B. Goode sollte zunächst ein "colored boy" sein, aber ein Farbiger durfte nicht auftreten im weißen Radio der Fünfziger.

Sein Biograf Charles Edward Anderson "Chuck" Berry stammte auch gar nicht aus dem hinterwäldlerischen Louisiana wie der Bursche aus der primitiven Holzhütte, den er nach diesem fantastischen Intro vorstellt, sondern wurde 1926 in der ehemaligen Weltstadt St. Louis geboren, wuchs weit weg von gospelbetriebenen Baumwollplantagen auf und erhielt als Sohn eines Baptistenpredigers sogar einen gründlichen Schulunterricht.

Chuck Berry
:Ein Leben für die Bühne

Er erfand den "Duck Walk", stand noch als 90-Jähriger auf der Bühne und sein Werk wurde bis ins All katapultiert: Chuck Berrys Karriere in Bildern.

In den Country Club durfte sein Vater aber nur, wenn er die Dielen ausbesserte oder die Fenster reparierte. Schwarze waren damals noch immer bessere Sklaven.

Als er zu einem Auftritt in den Südstaaten erschien, wurde Chuck Berry abgewiesen: ein Schwarzer, der über einen strammen Hillbilly sang? Nicht im Reich der Konföderiertenflagge, nicht dort, wo 1958 noch immer der Ku-Klux-Klan mitregierte.

Selbst im Jahr 1985 noch wurde Berry von den Weißen enteignet: Da spielte Michael J. Fox in "Zurück in die Zukunft" die Riffs von "Johnny B. Goode" und beeindruckt seine schwarzen Begleitmusiker damit so sehr, dass einer von ihnen seinen "Vetter" Chuck anruft, um ihn auf diesen "neuen Sound" hinzuweisen.

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Für's Geschichtsbuch: Chuck Berry und niemand sonst hat ihn erfunden, den Grundwortschatz des Rock 'n' Roll.

Griffiger als jeder Kurzgeschichtenautor konnte er Porträts entwerfen

Was immer Musikologen vom Einfluss englischer Balladen und afrikanischer Gesänge erzählen, von Bill Haley und Elvis raunen, von Jazz und Blues und sonst frommem Sang, es war Chuck Berry, der den Rock 'n' Roll in diese irdische Welt brachte und sie mit einem Schlag verzauberte.

Er wusste von der Langeweile in der Schule, von der Jukebox, in die danach das Geld wanderte, vom Tanzen am Freitagabend, überhaupt vom Herzeleid der Teenager.

Griffiger als jeder Kurzgeschichtenautor konnte er Porträts entwerfen wie das von dem jungverheirateten Paar, das sich vom Kühlschrank bis zum Auto seine Konsumwünsche erfüllt, oder von der süßen Sechzehnjährigen mit ihrer Autogrammsammlung.

Dazwischen kam die Kampfansage, eine Unabhängigkeitserklärung aus dem Reich der Jugend, das er mit erfand: "Roll Over Beethoven".

Aber so ist das in dieser Welt: Den einen hilft Helmut Schmidt auf die Sprünge, den anderen, und es sind nicht unbedingt die Schlechteren, der schwarze Sänger Chuck Berry.

Vom Alter sind sie gar nicht so weit auseinander, Schmidts "Scheißkrieg" ist dazwischen, der ihn zum Oberleutnant avancieren ließ und später zum Generalbefehlshaber deutschen Geistes.

Chuck Berry blieb immer Zivilist und der Lyriker der unverwüstlichen Jugend, die keiner großen Welterklärung bedurfte. Er konnte einen trösten mit seinen Balladen: Als Rüdiger Vogler in Wim Wenders' Film "Alice in den Städten" ziellos durchs Ruhrgebiet schnürt, landet er in einem Konzert von Chuck Berry.

Mit anderen sitzt er vor der Bühne, von der "Memphis Tennessee" kommt mit dieser Marie, die dem Sänger so fehlt. Nichts verbindet sie, den schwarzen Musiker aus den USA und den weißen Deutschen, aber beim Solo beginnt Vogler, der musterdepressive Schauspieler der Siebziger, mit einem Mal zu strahlen. Ob die Welt dem Sänger je genug gedankt hat für diese Zauberkraft?

Seit 40 Jahren können auch die Außerirdischen "Johnny B. Goode" lauschen

1962 musste er ins Gefängnis, angeblich Verkehr mit Minderjährigen, und seine Laufbahn hätte zu Ende sein können, wenn ihn sich nicht die Jungen als ihren Meister erwählt hätten. Die Beatles, die Rolling Stones, The Kinks, The Who, die Dave Clark Five, die Beach Boys, Jimi Hendrix - sie alle sind ihm verpflichtet.

Sie klauten bei ihm, er ging mit ihnen auf Tournee und ließ sich seine Gage fortan jeden Abend vor dem Konzert in echtem Bargeld auszahlen. Sein dankbarer Schüler Keith Richards, noch so ein ewig jugendlicher Held, veranstaltet in dem Film "Hail! Hail Rock'n'Roll!" ein Konzert für ihn, und Berry wird wieder von der Angst gepackt, er werde nur ausgeplündert.

Als die Nasa 1977 ihren Voyager ins Weltall schickte, wurde die Sonde mit einer Datenplatte versehen. Die allfälligen Außerirdischen können seither einer Rede des ehemaligen Wehrmachtsoffiziers Kurt Waldheim lauschen, der seinerzeit als UN-Generalsekretär amtierte.

Die Greatest Hits von Bach, Mozart und Beethoven sind dabei, aber auch ein echter Klassiker, es ist "Johnny B. Goode". Seit bald vierzig Jahren rauschen die Powerchords in den Weltraum hinaus und scheppern weiter von Ewigkeit zu Ewigkeit. Heute wird ihr Erfinder Chuck Berry neunzig Jahre alt.

© SZ vom 18.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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