In Nigeria, sagt die Schriftstellerin Chimamanda Ngozi Adichie, sei sie fürs Unruhestiften berühmt: Eltern werfen ihr vor, sie sei der Grund, dass ihre Töchter nicht heiraten wollen, und man sage ihr nach, sie habe manche Ehe beendet. Im Rest der Welt kennt man sie eher wegen ihrer Romane, schon ihr erster, "Blauer Hibiskus", gewann mehrere Auszeichnungen. Ihren ganz großen Durchbruch aber hatte sie mit zwei sehr erfolgreichen Ted-Talks, also mit Reden - aus "We should all be Feminists" von 2012 hat sie später ein Buch gleichen Namens gemacht. "The Danger of a Single Story" von 2009 handelte davon, wie eine einzelne Sichtweise auf ein Thema sich durchsetzt und damit die Wahrnehmung für seine Komplexität trübt. Nun wurde ihr eine weitere Ehre zuteil - sie hat eine der diesjährigen Reith Lectures für die BBC gehalten, die am heutigen Mittwoch ausgestrahlt wird und danach auch in Schriftform auf der BBC-Website veröffentlicht wird.
Die Reith Lectures sind im britischen Radio eine Institution - eingeführt vom ersten Generaldirektor der BBC, John Reith, werden sie seit 1948 jährlich gesendet, und zu Chimamanda Ngozi Adichies Vorgängern gehören Robert Oppenheimer, Stephen Hawking, Daniel Barenboim und die Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi. In diesem Jahr werden sich vier Redner den "vier Freiheiten" widmen, Religionsfreiheit, die Freiheit vom Habenwollen, Fiona Hill spricht über die Freiheit von der Angst. Und Chimamanda Ngozi Adichie widmet sich der Redefreiheit - und zwar in einem ganz bestimmten Licht: Es geht bei ihr um Selbstsenzur im Zeitalter der sozialen Medien. Das Thema ist in "The Danger of a Single Story" eigentlich schon angelegt. Selbstzensur, so Adichie, werde der Sargnagel sein für Literatur und andere künstlerische Erzählformen.
Die Welt habe sich, heißt es in Adichies Vortrag, in "ideologische Stämme" aufgeteilt - wer ausschert, werde in sozialen Medien abgestraft. "Barbarei", findet Adichie: "Es ist die Aktion einer virtuellen Bürgerwehr, deren Ziel es ist, nicht nur die Person zum Schweigen zu bringen, sondern eine racheschnaubende Atmosphäre zu schaffen, die andere vom Sprechen abbringt." Und sie geht noch weiter: "Es ist etwas Ehrliches an einem Autoritarismus, der sich selbst erkennt, als was er ist. Man kann ein solches System leichter bekämpfen, weil die Kampflinien klar gezogen sind. Die neue soziale Zensur aber verlangt einen Konsens, der voller Absicht blind bleibt für seine eigene Tyrannei." Das sei das Ende der Neugier und Kreativität - Adichie hat also auch in einem Vortrag über Freiheit viel Stoff für Kontroversen eingebaut.
Adichie lebt nur in Teilzeit in Nigeria, zieht sich immer wieder in die USA zurück - "Americanah" von 2013 ist ihr bekanntester Roman, da erzählt sie von Amerika-Rückkehrern in Nigeria und Rassismus in den USA. Dort hat die Feministin sich gegen die Kriminalisierung von Homosexualität ausgesprochen. Das hält sie aus. Und dennoch hat sie sich in den letzten Jahren immer wieder mit dem Phänomen des Shitstorms auseinandergesetzt - auch hier konnte sie eigene Erfahrungen einbringen: Sie hat 2017 auf die Frage, ob "Transfrauen Frauen" seien geantwortet, sie empfinde "Transfrauen als Transfrauen", hat sich für die Bemerkung nicht entschuldigt, weil sie nicht wisse wofür, und seither kocht das Thema immer wieder hoch, unter reger Beteiligung des Guardian, der im Vorfeld ihrer Reith Lecture einen Auszug druckte, allerdings darauf bestand, dass sie benennt, was sie meint. Sie hat die Frage beantwortet. Orthodoxie, hat sie hinzugefügt, könne sich gegen jeden wenden - und ein interessantes Beispiel genannt: Sogar ihr eigener Roman "Americanah" könne ihr als kulturelle Aneignung ausgelegt werden, wende man den Gedanken mit aller Strenge an.