"Borat" bei Amazon Prime Video:Nicht mehr viel zu holen

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Ernster als gedacht? Sacha Baron Cohen in seiner Rolle als Borat, Maria Bakalova als dessen Tochter. (Foto: Amazon)

Wie besteht der lustige Mann aus Kasachstan in Trumps Amerika? Klar ist: Die 14 Jahre seit Sacha Baron Cohens erstem "Borat"-Film wirken wie eine Ewigkeit.

Von Tobias Kniebe

Manchmal blitzen sie noch auf, die fernen, grellen Erinnerungen. Da ist dieser hochgewachsene Mann am Strand von Cannes, mit Lockenkopf, Schnurrbart und Sonnenbrille, sonst fast völlig nackt - bis auf dieses neongrüne Stück Stoff, das ein hauchdünnes spitzes V in seinen Körper schneidet, aufgespannt zwischen Schultern und Gemächt.

Damals, im Sommer und Herbst des Jahres 2006, war er plötzlich überall, an der Riviera, in London, New York und Los Angeles: Borat Sagdiyev aus Kasachstan, von Beruf Reporter, dargestellt von dem britischen Großkomiker Sacha Baron Cohen, sein Markenzeichen: gänzlich schambefreit.

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Von den SZ-Kritikern

Ausgesandt wurde Borat seinerzeit von seinem glorreichen Führer, Nursultan Nasarbajew, um die Sitten und Gebräuche anderer Völker zu studieren, in Interviews zu dokumentieren und auf Video zurück in die Heimat zu schicken, zur kulturellen Instruktion, Fortbildung und Erbauung seiner Landsleute. So bereiste er damals die USA, wie ihn seine hinterwäldlerische Herkunft nun mal geformt hatte - als übler Sexist, krasser Antisemit und pubertärer Tor des Fäkalhumors.

Dort traf er Autoverkäufer, Waffenhändler, Rodeozuschauer, Gesellschaftsdamen. Sie überwanden den Schock, diesem Wesen von einem anderen, schmutzigen Stern gegenüberzutreten, und sie fühlten sich ihrerseits eingeladen, lockerzulassen. Finstere Rassismen, Sexismen und Vorurteile kamen zu Tage, ungeplante, ungefilterte Momente der Wahrheit, von der dokumentarischen Kamera eingefangen.

Sichtbar wurde so ein Land, das die Fassade in bräsiger Beschränktheit gerade noch wahren konnte, aber die Maske doch immer wieder fallen ließ, gut für ein ungläubiges, globales und schockartig eruptives Lachen.

Vierzehn Jahre ist das her, das kann eine Ewigkeit sein. Und wenn man nun also Amazon Prime einschaltet, um in der Fortsetzung zu sehen, wie es Borat seither ergangen ist, bezeugen schon die ersten Bilder: nicht gut. "Borat Subsequent Moviefilm" beginnt damit, dass Borat in Sträflingskleidung in einem Steinbruch schuftet. Er hat Schande über sein Land gebracht und den Ruf des Präsidenten besudelt, und auch wenn er nun rehabilitiert und für eine neue Mission in den USA aktiviert wird, bleibt seine Lage prekär.

Auf die Frage, wo sein alter Produzent Azamat sei, bekommt er zur Antwort: "Du sitzt auf ihm." Azamat wurde zu einem Ledersessel verarbeitet, an dem noch ausgestopft der Penis hängt. Azamat mag tot sein, aber der gnadenlose Pennälerhumor Sacha Baron Cohens ist sehr lebendig.

Zurück in die USA tritt Borat eine neue Reise an, die über viele absurde Stationen im Grunde das Ziel hat, der Macht möglichst nahezukommen. Im Film mit einem aberwitzigen Plan, die Beziehungen zwischen Kasachstan und den USA zu verbessern, von einem starken Mann zum anderen - Borat hat diesmal eine Tochter namens Tutar (Maria Bakalova) dabei, von der er bisher nichts wusste. Sie soll als "Gastgeschenk" an einen Mann aus Trumps innerstem Kreis übergeben werden - real natürlich mit der Absicht, jemand aus Donald Trumps Team zu überlisten und vor laufender Kamera möglichst krass zu blamieren.

Vor 14 Jahren reichte es, Borat zu sein. Aber wir haben 2020, und wirklich jeder kennt ihn

Wie weit Sacha Baron Cohen damit gekommen ist, steht auch schon wieder in den Schlagzeilen: Rudy Giuliani, den Trump-Anwalt für die groben Missionen, für die Hintergrundintrigen und die Kampagne gegen die Biden-Familie, hat er in New York in eine extrem verfängliche Situation gelockt. Und bei Vizepräsident Mike Pence kam er auf einer Veranstaltung immerhin in Rufnähe, verkleidet mit Trump-Maske und Fettanzug, bevor er aus dem Saal eskortiert wurde.

Trotz dieser Coups, die dem Film die nötige Aufmerksamkeit verschaffen, offenbaren sich gleich am Anfang der neuen USA-Reise zwei interessante Probleme. Die Amerikaner, beim ersten Mal noch herrlich ahnungslos, erkennen Borat diesmal, sie umringen ihn, sie wollen Autogramme von ihm.

Also kann Sacha Baron Cohen nicht mehr in das extreme Method Acting eintauchen, das er für seine Enthüllungsmethode braucht: denselben grauen, nie gewaschenen, übel stinkenden Anzug wieder anlegen, der ihm das Borat-Gefühl verschafft - um dann in der Improvisation alle inneren Sicherungen abzuschalten.

In diesem Land ist für einen Komiker allein nicht mehr viel zu holen. Aber Rettung naht

Das zweite Problem ist Donald Trump und die generelle Enthemmung der niedrigsten Instinkte, die seine Präsidentschaft mit sich gebracht hat. Und das auch noch verstärkt von den Abermillionen Smartphones, die inzwischen jeder zücken kann, um diese Enthemmung auch zu dokumentieren. Wenn also schon der amerikanische Alltag inzwischen endlosen Nachschub an Borat-Szenen liefert - welche Rolle kann Borat selbst dann noch spielen?

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Das große Projekt des Sacha Baron Cohen war weniger die Enthüllung von Antisemitismus, Rassismus und Bigotterie. Dass es all dies gibt, weiß man. Ihm ging es darum, Augenblicke auf Film zu bannen, die so peinlich, roh und erschreckend waren, dass sie nicht gefälscht sein konnten, als Zerstörung des damals noch allgegenwärtigen So-tun-als-ob, als Gegengift gegen den Generalverdacht, dass alle in totaler Fakeness nur noch eine Rolle spielen. Der Generalverdacht gegen die Welt seit Trump ist aber der gegenteilige: dass die ganze mörderische Hässlichkeit, die man da sieht, am Ende echt und vollkommen ernst gemeint sein könnte.

Dennoch, Sacha Baron Cohen testet natürlich auch wieder seine alte Nummer. Er tarnt sich mit einem fusseligen Hillbilly-Bart und stopft sich ein Kissen unter den Overall, um nicht erkannt zu werden. Er lässt sich von einer freundlichen Bäckerin einen bösen antisemitischen Slogan aus Zuckerguss auf eine Torte schreiben, oder er fragt augenzwinkernd einen Eisenwarenverkäufer, wie viele Propangasflaschen er denn zum Mord an zwanzig "Gypsies" brauche. Beide bleiben dabei so dermaßen ungerührt im Verkäufermodus, dass man nicht mehr recht weiß, was ihre Reaktion bedeutet. Wollen sie Zustimmung rüberbringen? Oder schalten sie in einen neuen amerikanischen Überlebensmodus, bei dem man alle Wahnsinnigen einfach machen lässt? Auf jeden Fall merkt man, dass für einen Komiker da nicht mehr viel zu holen ist.

Umso wichtiger werden die Szenen mit der Tochter, die Borat-untypisch eher einem Skript folgen, aber auch so etwas wie eine positive Entwicklung suggerieren sollen - denn Borat wandelt sich vom üblen Frauenunterdrücker, der es nie anders gelernt hat, hin zum beinahe liebenden Papa.

Die wahrhaft schockierenden Szenen des neuen Films, die man natürlich nicht verraten darf, setzen dann auch voll auf die bulgarische Schauspielerin Maria Bakalova, nicht nur beim Treffen mit Rudy Giuliani. Sie muss sich an Borats Seite in Situationen begeben, die jeder Schauspielerin den Magen umdrehen könnten, Situationen, die jederzeit auch eskalieren können, weil man nie weiß, wie die nicht eingeweihten Opfer auf derartige Streiche reagieren.

Maria Bakalova tut das mit einer Verve, als hätte sie noch nie etwas anderes gemacht. Und damit rettet sie auch das Borat-Prinzip, dessen ursprünglicher Zauber am Ende eben doch nicht wiederholbar ist. Es stammt aus einer Zeit voll größerer Leichtigkeit, die es so leider nicht mehr gibt. Dafür aber hat der mutigste und schamloseste Komiker der Welt eine Partnerin gefunden, die es in beiden Disziplinen mühelos mit ihm aufnehmen kann.

Borat Subsequent Moviefilm, US 2020 - Regie: Jason Woliner. Buch: Sacha Baron Cohen, Dan Mazer, u.a. Kamera: Luke Geissbühler. Mit Sacha Baron Cohen, Maria Bakalova. Amazon Prime, 96 Min.

© SZ vom 24.10.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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