Hätte der "Friedenskaiser" Wilhelm II. mit einem Heldentod an der Front die Monarchie retten können? Hat die "falsche Seite" den Ersten Weltkrieg gewonnen? Und wird die Demokratie heute durch den "Multikulturalismus" bedroht? Das sind Fragen, die sich der 33-jährige Theologe und Historiker Benjamin Hasselhorn in seinem 2018 erschienenen Buch "Königstod" stellt, mit einem "offenen, neugierigen und weniger miesepetrigen Blick" auf die deutsche Geschichte.
Hasselhorn trat Ende Januar ins öffentliche Rampenlicht, als der Hohenzollernstreit im Kulturausschuss des Bundestags fortgesetzt wurde. Dort gab es eine Anhörung von Wissenschaftlern, die einschätzen sollten, ob die Hohenzollern beim Zusammenbruch der Weimarer Republik dem nationalsozialistischen Regime "erheblichen Vorschub" geleistet hätten. Von dieser Frage hängt der Restitutionsanspruch der Familie ab.
Kulturausschuss und Hohenzollern:Die Gefahr, dass am Ende alle verlieren
In der Expertentagung zur Hohenzollern-Debatte zeigt sich: Das ramponierte Vertrauen zwischen öffentlicher Hand und Hohenzollern wiederherzustellen, wird nicht einfach werden.
Die Historiker waren sich uneinig. Während die Experten, die SPD, Grüne und Linke berufen hatten, für die erhebliche Vorschubleistung plädierten, vertrat der CDU-Sachverständige Benjamin Hasselhorn eine andere Position: Es seien noch nicht alle Quellen zurate gezogen worden und weitere Forschung notwendig. Die unbestreitbaren Fakten könne man unterschiedlich interpretieren, viele Fragen seien "mit guten Gründen anders beantwortbar". Die CDU-Abgeordnete Elisabeth Motschmann, zugleich kultur- und medienpolitische Sprecherin der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, schloss sich bei der Anhörung im Kulturausschuss dieser Auffassung an.
Die Berufung Hasselhorns durch die CDU war etwas überraschend. Eher hätte man mit den renommierten Spezialisten Christopher Clark oder Wolfram Pyta gerechnet. Hasselhorn hat zwei Dissertationen vorzuweisen, eine zur "Politischen Theologie Wilhelms II.", die andere zur "Gelehrtenbiographie" des Historikers Johannes Haller. Einer etwas breiteren Öffentlichkeit war der 33-Jährige wohl allenfalls durch Beiträge in Magazinen wie Cicero und Cato oder auf der evangelikalen Nachrichtenseite I dea bekannt.
Vielleicht ist Hasselhorn aber auch Lesern der Blauen Narzisse in Erinnerung, für die er 2007/2008 einmal in der Printversion und mindestens fünfmal online geschrieben hat. Die Blaue Narzisse wird in der Forschung im neurechten Spektrum verortet. Die Artikel aus der Zeit von Hasselhorns Autorschaft sind mittlerweile gelöscht, doch das Internet vergisst bekanntlich nicht so schnell. In einem Text über die 68er-Generation beklagt sich Hasselhorn über die "politische Korrektheit" und die Konsequenzen, die es habe, wenn einer "Menschen mit schwarzer Hautfarbe 'Neger' nennt. Oder offen sagt, daß er Homosexualität für etwas Abnormales hält. Oder schließlich: Wenn er etwas über den Nationalsozialismus äußert, was jenseits der üblichen festgelegten Floskeln liegt, ohne daß jeder Satz gleich in hundert Einschränkungen und Entschuldigungen eingewickelt ist." Einen anderen Text beschließt er mit dem Credo: "Wenn ein Christ Ernst macht mit seinem Christentum, dann muß er ein Rechter sein!"
Historiker und rechte Leitmedien verbinden sich zu ihrer eigenen Begriffspolitik
Vor diesem Hintergrund wird verständlich, weshalb das rechte Leitmedium Sezession Hasselhorns Werk seit seiner ersten Doktorarbeit mit wohlwollenden Rezensionen begleitet. Hasselhorn äußerte auf Nachfrage, dass er keine Verbindungen mit der Blauen Narzisse oder damit assoziierten Institutionen unterhalte und sich nicht mit der ideologischen Ausrichtung der Neuen Rechten identifiziere.
Nun könnte man fragen: Was hat die Jugendsünde eines damals 22-Jährigen mit seiner Sachverständigentätigkeit über zehn Jahre später zu tun? Hasselhorn selbst macht in einer ersten Stellungnahme nachdrücklich auf seine wissenschaftliche Expertise aufmerksam, insbesondere auf die zweite Dissertation über den Historiker Haller, in der es, wie bei der Hohenzollernfrage, um "das Verhältnis von Konservatismus und Nationalsozialismus" gegangen sei. Dieses Verhältnis bestimmt Hasselhorn über den Begriff der "Konservativen Revolution".
Die "Konservative Revolution", wie wir sie heute verstehen, wurde 1949 von Armin Mohler erfunden, der - in seinen eigenen Worten - versuchte, "diese Sachen auseinanderzudividieren - Konservative Revolution und Nationalsozialismus. Es war schon sehr schwer zu unterscheiden; in der historischen Wirklichkeit überschneidet es sich schon sehr." Dieser "Mythos" einer nichtnationalsozialistischen Rechten half den Rechten nach 1945 bei ihrem "Neubeginn", wie der Historiker Volker Weiß in seinem Buch über die "Autoritäre Revolte" (2017) ausführt. Mohlers "Taktik, unter der Fahne des Konservativen die Grenzen bis weit in faschistisches Gelände hinein zu verschieben, wenden seine Epigonen bis heute an."
Von dieser hochproblematischen Geschichte des Begriffs liest man bei Hasselhorn kein Wort. Stattdessen wird Mohler als Stand der Forschung präsentiert. Über das weitere Vorgehen Hasselhorns, seinen Protagonisten ("eine[n] der profiliertesten und klügsten Vertreter der sogenannten 'Dolchstoßlegende'") irgendwie in die Nähe der "Jungkonservativen" zu rücken, ließe sich vieles sagen. Das unkritische Beharren auf Mohlers Begriff und seine Operationalisierung - sowie die streckenweise grotesken Versuche einer Rehabilitierung von Kaiser und Kaiserreich in zwei seiner anderen Bücher - müssen im Zusammenhang neurechter Geschichts- und Begriffspolitik verstanden werden.
Wenn man sich der Wissenschaftsbiografie Benjamin Hasselhorns zuwendet, seinen Doktorvätern und Förderern, stößt man immer wieder auf direkte Verbindungen zu neurechten Institutionen. Das spricht für eine gewisse Kontinuität in Hasselhorns Werdegang und fällt umgekehrt auf seine Förderer zurück. Es stellt sich also die Frage nach rechten Strukturen in der Wissenschaft.
Im Wintersemester 2011/2012 wurde Hasselhorn bei dem evangelischen Theologen Notger Slenczka an der Humboldt-Universität promoviert. Laut Chronik des Instituts für Staatspolitik (IfS) hat Slenczka dort im September 2002 über die "Theologischen Aspekte der Geschlechterpolarität" referiert. Das IfS wurde 2000 von den rechten Vordenkern Karl-Heinz Weißmann und dem berüchtigten Götz Kubitschek gegründet. Für die Bundeszentrale für Politische Bildung ist es der "wichtigste Think Tank der Neuen Rechten in Deutschland".
Der theologischen folgte die historische Promotion bei Hans-Christof Kraus in Passau. Kraus hat sich in der Neuen Zürcher Zeitung ebenfalls in die Hohenzollerndebatte eingeschaltet, "Sachlichkeit" und politische "Unvoreingenommenheit" angemahnt und die Hohenzollern in Schutz genommen. Mitte der Achtzigerjahre war Kraus Redakteur der "jungkonservativen" Zeitschrift Phönix, zusammen mit dem genannten Weißmann und Karl-Eckhard Hahn, aktuell Leiter des wissenschaftlichen Dienstes der CDU-Fraktion in Thüringen, der wegen seiner Verwicklung in die Umstände der Kemmerich-Wahl in den Schlagzeilen steht. 1988 und 1989 schrieben Kraus, Weißmann und Hahn für die rechte Zeitschrift Etappe, in den Neunziger n für das rechtskonservative Blatt Criticón, das Klaus Motschmann, Schwager der eingangs erwähnten CDU-Abgeordneten Elisabeth Motschmann, mit herausgab.
Hans-Christof Kraus taucht auch als Autor des "Staatspolitischen Handbuchs" (Band 2, 2010) auf, laut dem Soziologen Armin Pfahl-Traughber ein "ideologischer Wegweiser" der Rechten, für den Weißmann und der Geschäftsführer des IfS Erik Lehnert als Herausgeber verantwortlich zeichneten. Außerdem kam Kraus 2011 die Rolle des Festredners bei der Eröffnung der "Bibliothek des Konservatismus" in Berlin zu, die Rechtsextremismusforscher zweifelsfrei dem neurechten Netzwerk zuordnen.
Dort sprach 2014 auch Peter Hoeres, an dessen Würzburger Lehrstuhl Benjamin Hasselhorn derzeit als Mitarbeiter beschäftigt ist. 2017 veröffentlichte Hoeres einen Artikel in der rechten Zeitschrift Tumult, zu deren Hausautoren Benjamin Zschocke gehört, einer der Gründer der Blauen Narzisse. Herausgegeben wird Tumult von Frank Böckelmann, der unlängst ein hagiografisches Vorwort für einen Gesprächsband mit Björn Höcke verfasst hat. In einer Rede von 2019 nennt Hoeres die AfD die "einzige Partei, die sich offensiv zum Konservatismus bekennt" und bedauert, dass Weißmann oder ein "herausragender Denker" wie Michael Klonovsky, persönlicher Referent von Alexander Gauland, in der Diskussion um den Begriff "Konservatismus" nicht ausreichend zu Wort kämen.
Dies ist ein exemplarischer Fall - für die Verstrickung von Konservativen und Rechtsradikalen
Seit seiner ersten Dissertation ist Hasselhorn außerdem mit Professor Frank-Lothar Kroll von der TU Chemnitz verbunden. Es ist bekannt, dass Kroll 2001, 2010 und 2012 Vorträge am IfS gehalten hat. In einem Zeitungsbericht von 2015 berief sich Kroll auf seine "Naivität" und schloss weitere Auftritte am IfS aus. Für die Geschichtswissenschaft relevant ist Kroll als Vorstand von Historikervereinigungen wie der Preußischen Historischen Kommission oder der Prinz-Albert-Gesellschaft, deren Beiräten auch Kraus angehört. Für die Prinz-Albert-Gesellschaft hat Hasselhorn 2018 einen Sammelband herausgegeben, in dem neben Kroll und Kraus auch Eberhard Straub veröffentlichte. Ebenfalls Autor der Prinz-Albert-Studien ist Lothar Höbelt. Die Historiker Höbelt und Straub sind seit 2000 beziehungsweise 2002 Referenten des IfS und dort zuletzt 2019 aufgetreten.
Bewahre uns, Allah, vor dem Ozean der Namen, mögen Leser an dieser Stelle mit dem islamischen Mystiker Ibn ul'Arabi seufzen. Dass sich die genannten Wissenschaftler publizistisch im neurechten Spektrum bewegen oder bewegt haben, ist nicht schwer herauszufinden. Die Wissenschaftsbiografie Benjamin Hasselhorns bringt seine Vorgesetzten und einige seiner Förderer und Wegbegleiter nun in einen Zusammenhang. Dabei sind "Netzwerke" in der Wissenschaft, strategische Platzierungen in Gremien, Kommissionen oder akademischen Vereinigungen, gemeinsame Tagungen und Sammelbände, und schließlich die Protektion vielversprechender Nachwuchskräfte zunächst weder ungewöhnlich noch skandalös. Beunruhigend ist dagegen, welche Akteure und Institutionen Hasselhorns Karriere miteinander verbindet, und dass für diese Verbindung Institutionen wie die Bibliothek des Konservatismus oder das IfS Kristallisationspunkte zu sein scheinen.
Politisch motiviert sind immer nur die anderen
Darüber entsteht die Gefahr einer Verschiebung, Verwirrung und Manipulation wissenschaftlicher Diskurse, die über Debatten wie den Hohenzollernstreit ihren Weg in Öffentlichkeit und Politik finden. Innerhalb des größeren "Netzwerks der Neuen Rechten" (so der Titel einer 2019 erschienenen Studie von Christian Fuchs und Paul Middelhoff) gehören diese Wissenschaftler aus der zweiten Reihe sicherlich nicht zu den wichtigsten Figuren. Der Fall ist aber typisch für die bürgerlichen Verstrickungen von Konservativen und Rechtsradikalen und für die Offenheit des Konzepts "Konservatismus" nach rechts, die Nicht-Konservative, aber bestimmt auch viele CDU-Wählerinnen und -Wähler derzeit in Unruhe versetzt.
Es ist eine bezeichnende Fußnote dieser Geschichte, dass Benjamin Hasselhorn die Dissertation von Volker Weiß in der Historischen Zeitschrift rezensiert hat. Volker Weiß hat sich durch seine Forschung zur Geschichte der Neuen Rechten einen Namen gemacht. Die Historische Zeitschrift galt lange als das wichtigste Fachjournal der Zunft. Die "Kernthesen" von Weiß seien "politisch motiviert [...], was wiederum den gesamten Erkenntnisgang beeinträchtigt", schrieb Hasselhorn in seiner Besprechung. Politisch motiviert, das sieht man auch bei Kraus' Intervention im Hohenzollernstreit, sind immer nur die anderen.
Hasselhorn wurde von der Unionsfraktion in Sachen Hohenzollern in den Bundestag eingeladen. Dazu lässt Elisabeth Motschmann mitteilen: "Die AG Kultur und Medien der Unionsfraktion ist auf Herrn Dr. Hasselhorn durch die 3sat-Dokumentation 'Wem gehören die Schätze des Kaisers?' aufmerksam geworden, die am 21. Dezember 2019 ausgestrahlt wurde." Die Verbindung zwischen Doktorvater Kraus und ihrem Schwager Klaus Motschmann sei ihr "nicht bekannt gewesen". Der Referent der AG Kultur und Medien erklärt auf Nachfrage, mit den wissenschaftlichen Arbeiten Hasselhorns habe man sich nicht auseinandergesetzt.
Im Schlusskapitel von "Königstod" äußert Benjamin Hasselhorn grundlegende Zweifel an der Demokratie: "Man kann gegen die Demokratie sein, weil diese auf dem naiven aufklärerischen Glauben beruht, dass der Mensch gut und vernunftbegabt sei und deshalb die Mehrheit im Regelfall Recht habe." Gleichermaßen könne man die Monarchie infrage stellen. Ein "perfektes politisches System" gebe es ohnehin nicht. Offenbar ist es mit den politischen Systemen genauso kompliziert wie mit dem Erbe der Hohenzollern: Für alle Perspektiven gibt es scheinbar gute Gründe.
Niklas Weber ist Historiker und derzeit Doktorand am Institut für Kulturwissenschaft der Humboldt-Universität zu Berlin.