"Siegfried" von Antonia Baum:Flucht in die Anstalt

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Antonia Baum erschafft in "Siegfried" Figuren, die interessant genug sind, um für sich selbst zu stehen, aber auch allgemein genug, um deutsche Geschichte zu verkörpern. (Foto: © Urban Zintel)

Auf der Suche nach dem Ursprung ihres Elends bittet eine Frau das Personal der BRD-Geschichte zur Therapie: Der Roman "Siegfried" von Antonia Baum.

Von Kathleen Hildebrand

Was als Erstes auffällt, wenn man diesen Roman zu lesen beginnt: wie sehr sich das Image der psychiatrischen Klinik gewandelt hat. Die Protagonistin von "Siegfried", Mitte oder Ende dreißig, Schriftstellerin, merkt eines Morgens, dass sie nicht mehr kann. Sie hat ein Kind zu versorgen, Geld zu verdienen, einen Roman zu schreiben und nun hat sie sich auch noch mit ihrem Lebenspartner gestritten - keine Lappalie, sie ist fremdgegangen. Und was tut sie? Sie fährt zur psychiatrischen Abteilung eines Berliner Krankenhauses. Dort soll es einen guten Arzt geben, einen mit Hornbrille, der Fälle wie ihren versteht. Da ist kein Gedanke mehr an das Foltergefängnis Psychiatrie vergangener Zeiten, in denen "Insassen" mit Eisbädern und Elektroschocks "therapiert" wurden. Nicht mehr die Sorge, dass man, einmal eingewiesen, sein restliches Leben in einer Zwangsjacke wird fristen müssen. Nein, die Psychiatrie ist zur Zuflucht geworden, wenn die Versprechen der Wellnesshotels an ihr Ende gekommen sind oder man kein Geld für so was hat. Wenn nichts mehr geht, geht man in die Klinik.

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