Antisemitismus im Rap:Jungs, hört auf, eure Lines zu verharmlosen!

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"Rap ist Kunst, ja, aber Kunst gestaltet Gesellschaft mit": Reyhan Şahin alias Lady Bitch Ray. (Foto: picture alliance / dpa)

Dass Künstler inzwischen Antisemitismus und Islamismus nutzen, um zu schocken, ist logisch. Es ließe sich aber ändern: Hörer und Rapper müssen die Musik endlich ernst nehmen.

Gastbeitrag von Reyhan Şahin alias Lady Bitch Ray

Seit der Echo-Verleihung an die Rapper Kollegah und Farid Bang kursiert ein Missverständnis, über das sich unterschiedliche Seiten merkwürdig einig sind: Antisemitismus sei Bestandteil der Hip-Hop-Kultur. Die einen formulieren diese Feststellung als Kritik; die anderen wollen damit die beiden Rapper verteidigen. Als Außenstehender könne man das nicht verstehen. Auch Felix Blume alias Kollegah äußerte sich entsprechend. Aber egal, wie man es wendet, das ist Bullshit. Zu viele, die jetzt darüber reden und schreiben, haben zu wenig Ahnung von Rap.

Im Deutschrap wurden antisemitische Inhalte erst mit dem Aufstieg von Rappern wie Bushido und Haftbefehl, also seit etwa zehn Jahren, sichtbar. Kool Savaş, seit den 1990ern Pionier des Battle-Rap in Deutschland, rappt zwar trans-, homo- und frauenfeindlich, aber nicht antisemitisch. Man könnte fragen, warum sich darüber - außer Alice Schwarzer - so wenige aufgeregt haben. Fest steht aber: Die Behauptung, dass Antisemitismus eben Bestandteil des Rap sei, stimmt einfach nicht. Dieser Trend ist relativ neu.

Reyhan Şahin, 37, macht unter dem Künstlernamen "Lady Bitch Ray" feministischen Rap. Die Deutschtürkin ist Islam-, Sprach-, und Genderforscherin und lehrt an der Universität Hamburg Hip-Hop-Lyrik-Analyse. (Foto: picture alliance / dpa)

Entstehen und wachsen konnte er, weil Rap lange Zeit ein relativ unbeachtetes Genre war. Er galt auch in Deutschland als Musik der Unterschicht und von jungen Heranwachsenden. So konnte sich unbeobachtet eine halb kriminelle Parallel-Community mit eigenem "Ehrenkodex" bilden - oder zumindest eine, die so tut, als sei sie kriminell, weil das zum Bad-Boy-Image und zur Street Credibility gehört. Vieles davon war und ist natürlich nur Show.

In den vergangenen Jahren, das zeigt der Echo, ist Rap aber ein massentaugliches Genre geworden. Aus der Nische heraus erreicht er jetzt ein Millionenpublikum. Dieses ist halb fasziniert, halb angewidert von dieser auf fremd gemachten Welt - zur vermeintlichen Street Credibility eines Rappers gehört auch Migrationshintergrund, am besten ein muslimischer. Rap ist Teil von Mainstream-Fernsehsendungen, Moderatoren wie Joko Winterscheidt, Klaas Heufer-Umlauf und Jan Böhmermann identifizieren sich mit dieser Subkultur, der Hype ist groß, auch die Filmbranche zieht mit. Die Serie "4Blocks" mit den Gangsterrappern Veysel und Massiv ist ein Kassenschlager. Und der gutbürgerliche Moritz Bleibtreu bringt zusammen mit dem Gangsterrapper Xatar den Film "Nur Gott kann mich richten" in die Kinos, wobei Xatar tatsächlich für einen Überfall 2011 zu acht Jahren Haft verurteilt wurde.

Wie aber kam es zu Zeilen wie "mein Körper definierter als von Auschwitz-Insassen", die an Geschmacklosigkeit kaum zu übertreffen sind? Ganz offenbar reicht es den Bad Boys nicht mehr, "Nutten und Mütter zu ficken" und "Koks zu verticken", Rap-Texte scheinen inzwischen mit Judenfeindlichkeit, Islamismus und Verschwörungstheorien aufwarten zu müssen, um ihre Zielgruppe zu erreichen. Sonst schocken sie weder die jungen Käuferinnen und Käufer noch die weißen Männer aus der bürgerlichen Mittelschicht, die in den Plattenfirmen sitzen und solchen Künstlern eine Menge Geld für Musikproduktionen und Videos zahlen. Weil dieser Trend immer weiter gepusht wird, muss auch die Provokation immer mehr gesteigert werden. Vielleicht wollen die weißen Mittelschichtmänner auch selbst manchmal ein bisschen Gangster sein, siehe Moritz Bleibtreu.

Im Zuge dessen nimmt die Musik- und Unterhaltungsindustrie sich ständig überbietende Aufwertungsstrategien des Bad-Boy-Images in Kauf. Die Provokation sucht neue Wege, zum Beispiel das Bekenntnis zu einem reaktionären bis terroristischen Islam. Bushido etwa zeigt sich mit islamistischer oder gar terroristischer Symbolik, die von Vergleichen mit Osama bin Laden bis hin zur Identifizierung mit den Piloten des 11. September 2001 reicht. Nach dem Massaker bei Charlie Hebdo stellte er ein Bild von sich im Pullover mit der Aufschrift "Paris" ins Netz. Das passt zu Extremisten, nicht zu Rappern.

Bei den Männlichkeitsbildern des Gangsterrap gehören ein reaktionärer, gewaltbereiter Islamismus und Antisemitismus eng zusammen. Haftbefehl etwa tanzt in seinem Video "Saudi Arabi Money Rich" mit stereotypisierten Juden in Kippa und Schläfenlöckchen - nachdem er zuvor in einem seiner Songs "das Judentum verflucht" hat. Israelkritik und Judenhass gehen bei vielen dieser Rapper undifferenziert ineinander über. Dabei spielt es keine Rolle, ob diese Jungs überhaupt religiös sind oder ihre Religion praktizieren. Es gibt muslimische Rapper, die ihre Zugehörigkeit zum Islam zwar betonen, sich dabei aber nicht mit reaktionären oder terroristischen Inhalten schmücken, Mo Trip oder Alpa Gun zum Beispiel. Wobei die Rolle der Frau und die Haltung zu Homosexualität auch bei ihnen ein Problem bleiben.

Die Neo-Gangster aus Frankfurt und NRW haben es in den letzten Jahren geschafft, sich die Frau zumindest in ihren Texten wieder hörig zu machen und entweder zum Objekt der Zierde oder zur Prostituierten zu degradieren. Die Argumente, die man zu hören bekommt, wenn man sich dagegen zur Wehr setzen will, sind die gleichen, die jetzt auch gegen die Antisemitismus-Vorwürfe vorgebracht werden: Erstens bilde Rap ja nur die Gesellschaft ab (das sagen die Rapper). Zweitens spreche hier nur das lyrische Ich und nicht die Privatperson (das sagen die Verteidiger). Beides nimmt Rap nicht ernst genug und unterschätzt seinen Einfluss.

Rap ist Kunst, ja, aber Kunst gestaltet Gesellschaft mit. Kunst kann und sollte politisch sein. Am Antisemitismus im Rap wird ein gesamtgesellschaftliches Problem deutlich: Von Plattenlabels bis zu Hip-Hop-JournalistInnen machen sich viele zu wenige Gedanken darüber, was eigentlich noch "cool" ist und was schon problematisch. Die Subkultur diskutiert ihre blinden Flecken nicht, sondern reproduziert und überdreht ihr eigenes Image immer mehr. Aber es müsste geredet werden, über Antisemitismus genauso wie über Islamismus, Frauenverachtung und Homophobie im Deutschrap. Am besten redet man darüber mit den Künstlern selbst - aber kritischer Hip-Hop-Journalismus fehlt derzeit quasi völlig.

Weder Antisemitismus noch Frauen- und Homophobie gehören per se zum Battle-Rap. Rap ist - wie jede Kunst - das, was der Künstler oder die Künstlerin daraus macht. Also, Jungs, hört auf, eure Lines zu verharmlosen! Steht zu dem, was ihr da ins Mic rappt. Werdet politisch, so wie es sich eigentlich für Rap gehört. Chuck D von Public Enemy hat einmal gesagt, Rap sei "das CNN der Schwarzen". Wo also bleibt die Stimme der cool-kritischen, reflektierten MuslimInnen und KanakInnen, die auch von den Plattenfirmen gehört wird?

© SZ vom 24.04.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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