Kluge Produkte, automatisierte Ablaufprozesse und digitale Geschäftsmodelle: An der technologischen Entwicklung kommt kein Unternehmen vorbei. Und dennoch steht das Thema in vielen Chefetagen nicht ganz oben auf der Agenda. "Im Durchschnitt hinken Familienunternehmen bei der Digitalisierung hinterher", sagt Joern Block , Leiter des Forschungszentrums Mittelstand an der Uni Trier. Dies ließe sich in vielen Unternehmensbereichen erkennen, sagt Block, der als Co-Autor die Digitalisierung in deutschen Familienunternehmen im Vergleich zu Nicht-Familienunternehmen untersucht hat.
Den höchsten Digitalisierungsgrad weisen Familienunternehmen laut der Studie im Bereich des Einkaufs und der Verwaltung auf. Im Vergleich zu Nicht-Familienunternehmen zeigen sich bei Forschung und Entwicklung sowie der Logistik die größten Defizite. Der niedrigste Digitalisierungsgrad beider Unternehmensgruppen ist innerhalb der Produktion zu finden.
Insgesamt wurden für die Studie, die in Zusammenarbeit mit dem Wittener Institut für Familienunternehmen entstand, 525 in Deutschland ansässige Familienbetriebe aus dem forschungsintensiven verarbeitenden Gewerbe mit bis zu 2999 Mitarbeitern und mindestens zehn Jahren Bestand zum Stand ihrer digitalen Transformation befragt.
"Wenn man sich die Volkswirtschaft anschaut, sieht man, dass mehr als 90 Prozent familiengeführter Mittelstand sind. Wenn wir diesen nicht auf die Zukunftsreise mitnehmen, wird der Wirtschaftsstandort Deutschland geschwächt", sagt Christian Mohr, Geschäftsführer des Innovations- und Gründungszentrums Unternehmertum, eines Instituts an der TU München, das Firmen bei der Anpassung ihrer Geschäftsmodelle berät.
Die Studie zeigt: Um die Digitalisierung erfolgreich zu nutzen, komme es auf das Engagement der Eigentümer an. "Sie müssen nicht unbedingt persönlich stark in das operative Geschäft involviert sein, aber ein hohes strategisches Interesse haben und über eigene Digitalkompetenz verfügen", sagt Block. Letzteres ist notwendig, um technologisches Potenzial zu erkennen und seine Bedeutung für das Geschäftsmodell zu beurteilen.
Oft fehlt ein Nachfolger, der das Thema auf die Agenda setzt
Als Treiber von Innovationen kann ein Vertreter des Eigentümerkreises schnelle Entscheidungen und notwendige Ressourcen sicherstellen. Dies entbindet jedoch nicht die operative Geschäftsführung aus der Verantwortung, denn Digitalisierung ist Top-Management-Aufgabe.
Eine gewaltige Hürde ist das Nachfolgeproblem im Mittelstand. "Gerade die nächste Generation ist jene, die digitale Transformation und Nachhaltigkeit stark einbringen muss. Durch die Nachfolgelücke fehlt Hunderttausenden Unternehmen genau jene Person und damit die Triebfeder in die Zukunft", weiß Mohr. Laut Daten der Förderbank KfW stehen bis ins Jahr 2026 deutschlandweit 600 000 Nachfolgen an, 300 000 sind ungeregelt.
Getrieben wird der Einsatz von automatisierten Robotern oder auf künstlicher Intelligenz basierenden Logistiksystemen durch einen klaren strategischen Fokus der Familienbetriebe. Unternehmen, die mit der Digitalisierung bestimmte Ziele erreichen wollen - etwa höheres Wachstum oder Produktentwicklung -, haben laut Untersuchung einen höheren Digitalisierungsgrad. "Die entscheidende Frage für das Ausmaß, den Bereich und die Art der Digitalisierung ist, was ist mein Differenzierungsfaktor im Wettbewerb? Womit bin ich als Unternehmen erfolgreich? Durch niedrige Kosten, hohe Qualität, innovative Produkte, guten Service", so Studienautor Block. Die Beantwortung dieser Frage helfe enorm bei der Entwicklung einer Digitalstrategie.
Ist das Vorhaben konkretisiert, begünstigt das wiederum die Umsetzung und Zielerreichung der digitalen Anpassung. "Digitale Transformation ist nicht, ich führe Laptops im Lockdown ein, das wird häufig verkannt. Es geht darum, Kundenverständnis fundamental anders anzugehen, ein komplett neues Service-Produktdenken und eine andere Arbeitsstruktur einzurichten", sagt Mohr, der etablierte Betriebe zur Stärkung ihrer Innovationskraft mit Start-ups zusammenbringt.
Bei vollen Auftragsbüchern fehlt der Veränderungsdruck
Die Bedeutung digitaler Prozesse und Geschäftsmodelle verdeutlichte zuletzt die Corona-Pandemie. "Tatsache ist, dass es vielen Branchen im Mittelstand jahrelang extrem gut ging, vor der Pandemie. Die Notwendigkeit zur raschen digitalen Transformation war noch nicht überall gegeben", sagt Block. Investitionen in die Digitalisierung stellen für Unternehmen zudem ein hohes Risiko mit unklarem Ausgang dar. Bei gleichzeitig vollen Auftragsbüchern fehlt oft der Veränderungsdruck.
Im EU-Vergleich liegt Deutschland bei der Integration von IT lediglich im Mittelfeld und belegt nach dem "Digital Economy and Society Index" Platz 18 unter 28 EU-Staaten. Hauptgrund für den vergleichsweise schwachen Digitalisierungsgrad im gesamten Mittelstand ist die Investitionszurückhaltung. Deutschland liegt bei den IT-Investitionen gegenüber Staaten wie den USA, Frankreich oder dem Vereinigten Königreich deutlich zurück.
"Investitionen in Innovationen liegen bei vielen Unternehmen meist im Promillebereich. Wenn ich in Innovation und Digitalisierung investiere, investiere ich allerdings sprichwörtlich in meine Altersvorsorge, um das Unternehmen überhaupt in die nächste Generation zu bringen", sagt Mohr. Laut KfW müssten die Digitalisierungsausgaben im Mittelstand von aktuell rund 18 Milliarden auf 35 bis 50 Milliarden Euro steigen. In Familienbetrieben bremst vor allem der reine Eigenkapitaleinsatz die ganze Transformation.
Eigentümer wollen die Kontrolle über den Betrieb in ihren Händen behalten und zeitgleich eine hohe Verschuldung vermeiden. "Wenn ich ein Familienunternehmen auf dem Weg der Transformation nach vorne schieben will, muss ich mir auch Gedanken über Fremdkapital machen: Wenn ich innerhalb von einem halben Jahr eine Roboterfertigung aufbauen möchte, brauche ich ein bisschen mehr Geld, als aus dem Cashflow herauskommt", sagt Mohr. Diese Praxiserfahrung deckt sich mit der Studie, die ein gewisses Maß an Risikobereitschaft als förderlich für den Digitalisierungsgrad ausweist.
Sowohl Familienunternehmen als auch Nicht-Familienunternehmen setzen die Digitalisierung primär als Mittel zur Optimierung ein. "Es gibt Themen, die jeder digitalisiert, wer das nicht macht, ist weg vom Fenster. Wird die Produktion nicht automatisiert und digitalisiert, ist der Betrieb schon alleine aufgrund der hohen Lohnkosten gefährdet", sagt Block. Wie der digitale Weg aussehe, sei jedoch stark branchenabhängig.
Fest steht, digitale Transformationsprozesse brauchen Zeit, ausreichend Kapital und müssen strategisch angegangen werden. Doch sie zahlen sich laut der Studie aus. So bewerteten befragte Firmen mit höherem Digitalisierungsgrad ihre Profitabilität und ihr Umsatzwachstum höher als weniger digitalisierte Familienunternehmen.