Politischer Aschermittwoch:Eine nicht mehr zeitgemäße rhetorische Holzerei

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Rhetorische Würze - oder doch schon Grenzüberschreitung? Die Ansichten zu Markus Söders Aschermittwochsrede sind unterschiedlich. (Foto: Peter Kneffel/dpa)

Derbe Worte haben alljährlich Tradition in Niederbayern. Aber das treibt auch eine Spaltung voran, die wir derzeit weniger denn je brauchen können, sagen Leser.

"Voll drauf light" vom 15. Februar:

Erbärmlich

Im November 1918 rief der erste bayerische Ministerpräsident Kurt Eisner den Freistaat Bayern aus. Im November 2018, beim Staatsakt zum 100. Geburtstag des Freistaates, gelang Markus Söder das Kunststück, in seiner Festrede den Namen Eisner nicht zu erwähnen. Wäre der Freistaat durch einen konservativen Politiker ausgerufen worden, Söder hätte den Schöpfer des Begriffs in den höchsten Tönen gelobt und die Kontinuität der bayerischen Politik beschworen. Kurt Eisner jedoch war Sozialdemokrat und damit in der falschen Partei. In seiner jüngsten Aschermittwochsrede hat Söder Bundesumweltministerin Steffi Lemke als "grüne Margot Honecker" verunglimpft. Dieser unsägliche Vergleich zeigt einmal mehr, dass der bayerische Landespolitiker Söder, der 2021 Kanzler aller Deutschen werden wollte, von der Lebensrealität in der ehemaligen DDR nicht die geringste Ahnung hat. Als Bierzeltredner mag Söder taugen, als Staatsmann, der mit der bayerischen und deutschen Geschichte vertraut sein sollte, gibt Söder jedoch eine erbärmliche Figur ab.

Roland Sommer, Diedorf

Asche auf unser Haupt

Leider werden von Herrn Dr. Söder immer wieder Politiker anderer Parteien - besonders der Grünen - persönlich diffamiert (Ricarda Lang, Steffi Lemke, Robert Habeck, Grüne; Kevin Kühnert, SPD). Sollten dies die christlichen Werte sein, die er oft im Munde führt, dann steht der Streichung von Religionsstunden nichts entgegen. Vielleicht gab uns Markus Söder in seiner Aschermittwochsrede mit seiner Schäferhündin Molly einen Hinweis: Manche CSU-Vertreter wirken konditioniert, wenn sie reflexartig über die "Ampel" in Berlin wettern. Die Regierenden in Bayern sollten sich ins Gedächtnis rufen, dass es kein Geringerer als Sokrates war, der sich fügte, weil er genau wusste, dass sonst die Achtung vor dem Gesetz und der Staatsregierung untergraben werde.

Söder und die CSU sollen bitte damit aufhören damit, die Bevölkerung mit der ständigen Wiederholung ihres Kampfbegriffes "Ideologie" zu vergiften und somit zu entzweien. Sie sind in meinen Augen mitverantwortlich für die Tumulte in Biberach. Ihr Handeln sollte dem Gemeinwohl, nicht dem Selbstzweck dienen. Sie sollten für Einheit sorgen und nicht auch noch das Feuer der Brandstifter schüren. Die Asche auf unser Haupt sollte uns vor der Hybris bewahren.

Peter Braun, Murnau

Grenzwertiges Spektakel

Für mich war der politische Aschermittwoch schon immer ein grenzwertiges Spektakel. Ich konnte diesem Treiben nie etwas abgewinnen. Dieser Eindruck verfestigte sich nun weiter. In den jetzigen Krisenzeiten erscheint mir diese Form der Kritik an Menschen, die nicht der eigenen Partei angehören, mehr als aus der Zeit gefallen. Ohne Korrektiv wird hier in weißbiergeschwängerter Luft vom Leder gezogen. Je deftiger und populistischer die Sprüche, umso lauter das Schenkelklopfen. Wären die Äußerungen, die hier von einem Ministerpräsidenten kamen, in einem normalen Interview getätigt worden, gäbe es berechtigterweise einen Haufen Anzeigen. Und zwar wegen Beleidigung.

Ich vermute, dass die Rednerinnen und Redner auf diesen Veranstaltungen vor allem von eigenen Unzulänglichkeiten ablenken wollen. Stünden sie bundespolitisch zum Beispiel selbst in der Verantwortung, hätten sie sicher ähnlich gehandelt, wie die nun Kritisierten. Zum Glück werden derartige Veranstaltungen nur einmal im Jahr abgehalten. Das reicht vollkommen. Und der Rauch verzieht sich hoffentlich schnell ...

Achim Bothmann, Hannover

Schädlich für die Demokratie

Mein Entsetzen über Aussagen Söders bei seiner Aschermittwochsrede wird und wird nicht kleiner: "Was unterscheidet meinen Hund Molly von Kevin Kühnert und Ricarda Lang?", fragte er das Publikum. "Mein Hund hat eine abgeschlossene Ausbildung, liebe Freundinnen und Freunde." Lemke sei ein Musterbeispiel für den Versuch der Grünen, die Freiheit der Fleißigen durch immer neue Auflagen einzuschränken als "grüne Margot Honecker", sagte der bayerische Ministerpräsident in Passau. Die Berichterstattung der SZ bleibt zuerst mal in der sachlichen Reportage der Ereignisse und Fakten. Das ist gut so. Aber: Diese zunehmenden Ehrverletzungen, Herabwürdigungen durch den bayerischen Ministerpräsidenten untergraben die Grundlagen unseres demokratischen Staates. Meine Fragen: Müssten wir alle, die kritischen Medien im Besonderen, die Haltung des Frisch'schen Biedermann nicht endlich aufgeben? Müsste nicht die SZ auf der ersten Seite ein Stoppsignal senden, etwa in einem glasklaren Kommentar?

Karl Huber, Billafingen

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