"Die Kreuze dürfen bleiben" vom 20. Dezember:
Kreuze überall
Katholiken lieben Kreuze in der Öffentlichkeit. Mit dem Kreuzerlass will Söder die Wahlchancen von sich und von seiner CSU bei Katholiken erhöhen. Müssten die Kreuze in den Behördeneingangsbereichen wieder abgehängt werden, so müssten auch die (stets katholischen) Feldkreuze an Straßenrändern zurückgebaut werden, denn ihnen kann man sich normalerweise auch nicht entziehen, außer durch Wegschauen.
Wolfgang Maucksch, Herrieden
Zur Beliebigkeit degradiert
Das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) überrascht trotz seiner bekannten Kirchenfreundlichkeit. Das Verwaltungsgericht (VG) München hatte 2020 intensiv die rechtliche Außenwirkung des Söder-Erlasses begründet. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof (BayVGH) war 2022 restriktiver, stellte aber doch einen klaren Verstoß gegen das Grundgesetz fest (der Verstoß gegen das Neutralitätsgebot sei aber hinnehmbar, da keine missionierende oder indoktrinierende Wirkung vorliege, urteilte das Gericht; d. Red.). Das BVerwG sieht zwar im Kreuz ein zentrales Glaubenssymbol, was aber die staatliche Neutralitätspflicht und Glaubensfreiheit nicht verletze. Auch liege keine staatliche Identifikation mit einem Glauben vor. Damit wird trotz einer Serie von unbeschränkten Gleichheitsgeboten des Grundgesetzes die weltanschauliche Neutralität zur beliebigen Toleranzfrage degradiert und beseitigt.
Dr. jur. Gerhard Czermak, Friedberg
Kreuze gehören in Kirchen
Es ist schon ein Kreuz mit dem Kreuz in öffentlichen Gebäuden. Der Söder-Erlass für Bayern ist laut Urteil rechtens. Der Gekreuzigte und seine Glaubensbrüder sind doch für gelebte Toleranz. Für Vielfalt - die heilige Dreifaltigkeit lässt grüßen - statt Einfalt. Jeder soll nach seiner Façon selig werden. Demokratie heißt Glaubensfreiheit! Söder geht's wohl mehr darum, dass die Katholiken in seinem bierseligen "Wir sind Papst"-Bayern ihr Kreuz bei der nächsten Wahl bei ihm machen. Das Kreuz gehört in die Kirche. Nicht in öffentliche Gebäude. Revision ist angebracht.
Harald Dupont, Ettringen
Christlicher Anschein
Zwei Meldungen, die zufällig am selben Tag in der SZ erscheinen, am 20. Dezember: "Die Kreuze dürfen bleiben" und "EU verkündet Durchbruch bei Asylreform". Das Datum mag zufällig sein, die Meldungen selbst sind vom Inhalt her wenig überraschend. Sie zeigen mir doch sehr deutlich, wie wir Europäer unsere Werte, die unbestritten sehr vom Christentum und seiner Lehre geprägt sind, interpretieren.
Da sagt das Bundesverwaltungsgericht, es sei keine "Identifikation mit einem bestimmten Glauben", wenn das Kreuz "gut sichtbar" im Eingangsbereich eines Dienstgebäudes aufzuhängen sei. Also alle, die die Gebäude - auch Schulen - betreten, sind quasi gezwungen, weil auch die Leitung der Dienststelle gezwungen ist, das Kreuz aufzuhängen, dieses Bild, das angeblich keine Identifikation mit dem Glauben darstellt, täglich anzusehen. Die allermeisten dürften damit keine Probleme haben, weil sie diesen Wandschmuck irgendwann gar nicht mehr wahrnehmen werden. Gilt das auch für Kinder muslimischer Eltern, die das Kreuz jeden Tag vor Augen haben? Und wenn Herr Söder das nur als Symbol der "geschichtlichen und kulturellen Prägung" sieht, hätte seine Anweisung auch lauten können "Ihr dürft es aufhängen, müsst es aber nicht". So definiere ich Toleranz.
Keine Toleranz haben die "christlichen und wertegeleiteten" Politiker/-innen, wenn es um Asyl und "irreguläre Migration" geht. Schon 1992 hat eine sehr große Koalition gemeint, Asyl sei ja "gut und schön", aber bitte nur zu unseren Bedingungen und nicht zu unseren Lasten. Und die werden nun einmal mit unserer "Belastungsgrenze" definiert. Bei Seehofer hieß das noch "Obergrenze" und 1992 "das Boot ist voll". Damals hatten ein paar rechtsextreme Gewalttäter dafür gesorgt, dass die Mehrheit der durch die Gewalt "besorgten Bürger" es schaffte, diesen wunderbaren, aufgrund grausamer Erfahrungen formulierten Artikel 16a zu schleifen, bis nur noch herauskam: "Politisch Verfolgte genießen Asyl", aber nicht in Deutschland.
Die EU hat jetzt auch, und das tut mir besonders weh, unter Mithilfe der Grünen den Artikel umformuliert: "Streiche Deutschland, ersetze durch EU." Die schlimmen Bilder aus dem Mittelmeer sollen aus dem Fernsehen verschwinden; und was in den Gefängnissen dieser "herausragenden Rechtsstaaten" wie Libyen et cetera passiert, wird weniger dokumentiert und wird die meisten Menschen auch bald nicht mehr interessieren. Und diese "verflixten Seenotretter" sind wir dann auch los.
Zur Not haben wir ja das "Gesetz zur Verbesserung der Rückführung", mit dem wir den Helfern mit Knast drohen können. Hauptsache ist, dass die "Festung Europa" steht. Klingt mehr nach finsterem Mittelalter als nach Aufklärung, ist aber im Friedensnobelpreis-gekrönten Europa mehrheitsfähig. Und da grad Weihnachten war, glaubt die Mehrheit daran, dass damit die Zahl der Flüchtenden und die der Schleuser (in der DDR hieß so etwas "Fluchthelfer") drastisch abnehmen wird. Ganz vergessen ist die große Anzahl der Geflüchteten aus der Ukraine, die man gar nicht abschieben will. Ist ja klar: Ein Phänomen nimmt dadurch ab, dass man die Ursachen nur konsequent ignoriert. Und Schmerzmittel besiegen den Krebs ...
Also mir persönlich ist es egal, ob in den bayerischen Amtsstuben Kreuze an die Wand genagelt werden oder nicht, schon weil ich so schnell keinen Bedarf haben werde, dort vorstellig zu werden. Es ist mir nur ein Gräuel, wenn christliche, freiheitliche, sozialdemokratische und ehemalige Bürgerrechtsparteien ständig von der Überlegenheit unserer christlich geprägten, auf Menschenrechten basierenden Werte pochen und diese von anderen ständig einfordern, aber bei der ersten Nagelprobe jämmerlich versagen.
Leuten wie Orbán oder hier der AfD geht das alles noch nicht weit genug. Vielleicht vertrauen diese Populisten darauf, dass das nur der Anfang ist. In der EU sind bisher alle demokratischen Parteien den Wünschen der Rechtsextremen bei diesem Thema nachgekommen. Die Popularität von Wilders, Le Pen, Orbán und Co. hat das nicht geschmälert. Wie weit wollen wir noch gehen?
Thomas Spiewok, Hanau
Trivialisierung des Religiösen
War es nicht ebendieser Markus Söder, der den "Heimatminister" erfunden hat? Den Klimaminister auch? Wann kommt der Gas- und Wasserminister? Die Heimat hat es nicht nötig, mit einer Kreuzl-Aufhängerei vor einer "heimattümelnden Trivialisierung" in Schutz genommen zu werden. Das immerhin hat der Bayerische Verwaltungsgerichtshof zutreffend erkannt und in seinem vorangegangenen Urteil ausgesprochen. Denn es ist eine Trivialisierung, wenn man per Erlass "den Eingangsbereich" von Behörden mit einer Art Wandschmuck mit Kreuzen versieht. Es fehlte eigentlich nur noch ein kleiner Weihwasserkessel zur religiösen Erfrischung. Das Bundesverfassungsgericht wird diesem Hokuspokus ein Ende bereiten.
Gerhard Fassrainer, München
Hinweis
Leserbriefe sind in keinem Fall Meinungsäußerungen der Redaktion, sie dürfen gekürzt und in allen Ausgaben und Kanälen der Süddeutschen Zeitung , gedruckt wie digital, veröffentlicht werden, stets unter Angabe von Vor- und Nachname und des Wohnorts. Schreiben Sie Ihre Beiträge unter Bezugnahme auf die jeweiligen SZ-Artikel an forum@sz.de . Bitte geben Sie für Rückfragen Ihre Adresse und Telefonnummer an. Postalisch erreichen Sie uns unter Süddeutsche Zeitung, Forum & Leserdialog, Hultschiner Str. 8, 81677 München, per Fax unter 089/2183-8530.