Getquin:Die Kraft der Gemeinschaft

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Die Gründer von Getquin, Raphael Steil und Christian Rokitta, wollen auf ihrer sozialen Fintech-Plattform auch Nachhaltigkeitsthemen anstoßen. (Foto: Getquin)

Das Berliner Start-up Getquin will Finanzportal und soziales Medium zugleich sein und mehr Menschen an den Aktienmarkt heranführen. Die Idee kommt bei Nutzern und Investoren gut an.

Von Marcel Grzanna

Über Finanzen spricht man nicht. Diese Maxime haben viele Deutsche in die Wiege gelegt bekommen und halten sich streng daran. Das Fintech-Start-up Getquin will das nicht so einfach hinnehmen und glaubt an die Kraft der Gemeinschaft, um das Schweigen zu brechen. Das noch junge Unternehmen, das im Frühjahr 2020 gegründet wurde, will die Funktionalitäten von Finanzportalen und sozialen Medien miteinander verknüpfen.

Die Nutzer sollen vom Anbieter nicht nur über allgemeine Entwicklungen an den Börsen, von Aktien oder ETFs detailliert informiert werden, sondern sich über die App austauschen, Tipps geben, Meinungen einholen. Das Ziel: Getquin will zum wichtigsten deutschsprachigen Finanzportal aufsteigen und Neulingen in Sachen Kapitalanlage "Mut und Inspiration" verschaffen, in Eigenregie in Wertpapiere einzusteigen und ihre Portfolios selbst zu betreuen. Vom Geschäftsmodell der wachsenden Zahl an Anbietern von Robo Advisorn, die eine vollautomatisierte Geldanlage ermöglichen, will sich Getquin bewusst abgrenzen.

Getquin will die Expertise der Anleger stärken

"Der Robo sagt, wir machen das für dich. Wir dagegen sagen den Nutzern ganz klar: Du kannst das selber! Dazu müssen wir die Hintergründe verständlich machen, wie Aktiengeschäfte funktionieren und was man beachten muss, wenn man sie selbst tätigen möchte", sagt Firmengründer Christian Rokitta, der möchte, dass sich die Nutzer bei Getquin "wohlfühlen".

In der Praxis sieht das so aus, dass Getquin über seine Anwendung ein gesammeltes Servicepaket bieten will. Es verbindet aktuelle Nachrichten, historische Charts, Aktivitäten seiner Mitglieder und Expertentipps auf der einen Seite mit dem Angebot, ihnen individuelle Portfolios vorzuschlagen, den geeigneten Broker zu finden und bei Bedarf auch die nötige Beratung zu bieten, wie das eigene Portfolio sinnvoll verwaltet wird. "Viele Leute trauen sich nicht, an den Finanzmärkten zu investieren. Wir nehmen eine Hemmschwelle wahr, weil oftmals die Grundkenntnisse für den Handel mit Aktien und Fonds fehlen", sagt Rokitta.

Getquin will diese Lücke schließen. Der Austausch mit anderen Mitgliedern der Plattform spielt für die Nutzer dabei eine zentrale Rolle. Die Gründer glauben, dass Empfehlungen von Freunden und Kontakten wirkungsvoller sind, um das Interesse bei Neulingen zu wecken, als die klassische Werbung das kann. Empfehlungen provozieren will die Anwendung durch gute Erfahrungen, die Nutzer mit ihr machen sollen: leichte Handhabe und keine offenen Fragen.

Im Gegensatz zu Robo Advisorn, von denen Verbraucherschützer sagen, Vorkenntnisse beim Umgang mit ihnen seien empfehlenswert, steigt Getquin also noch eine Stufe früher ein und will den Weg zum Onboarding mit seiner Social-Komponente "revolutionieren". Der Zeitpunkt für das Geschäftsmodell scheint gut gewählt zu sein. In der Vergangenheit verzeichneten Broker wie Trade Republic oder Flatex zum Teil deutliche Zuwächse bei der Zahl neuer Depotkonten. Nutzer sollten bei sozialen Fintech-Plattformen jedoch allgemein vorsichtig sein, die Produkte verstehen und prüfen, ob diese zur eigenen Risikoneigung passen und nicht blind den Erfahrungen anderer Teilnehmer vertrauen.

Während die Getquin-App selbst keine Depotkonten anbietet, können die Nutzer ihre Konten mit der App verbinden, sodass Getquin die Entwicklung der Portfolios im Auge behalten kann. Die Herausforderung ist es, die Nutzer nach dem Einstieg ins Finanzgeschäft nicht zu verlieren. Statt dort ihre Transaktionen abzuwickeln, wo sie ihr Konto führen, sollen sie in Zukunft auch Transaktionen direkt aus der Getquin-App durchführen können.

Die App, wie sie jetzt verfügbar ist, soll kostenlos bleiben. "Statt die Kunden in die Arme von vollautomatisierten Vermögensverwaltungen zu treiben, sollten sie ermutigt werden, sich mit Finanzen und Geldanlage auseinanderzusetzen und selbst die Kontrolle zu übernehmen", so Rokitta.

Das Geschäftsmodell bietet auch Potenzial, mehr Nachhaltigkeit in die Finanzbranche zu bringen. Zu Wochenbeginn rangierte der Global Clean Energy Index, der die Wertpapiere aus dem Sektor Erneuerbare Energien abbildet, auf Rang eins in der App-internen Trendliste. Rokitta und sein Gründungspartner Raphael Steil wollen den Nutzern zwar nicht vorschreiben, was in der Community diskutiert und empfohlen wird. Doch mit einer entsprechenden Gewichtung bei der Nachrichten- oder Chartauswahl für die Anwendung, hat der Anbieter zumindest die Möglichkeit, Themen einzustreuen und damit Diskussionen anzuregen.

Schon 100 000 Nutzer haben sich registriert

Wie das Start-up in Zukunft konkret Geld verdienen will, ob über Vermittlungsgebühren, ein Abo-Modell mit zusätzlichem Service und Content oder vielleicht nur über Werbung, kommunizieren die Gründer noch nicht. Der Charme eines Abonnements läge für den Kunden darin, dass er keine volumenbasierte Zahlungen leisten müsste, sondern sehr genau wüsste, welche Abokosten auf ihn zukommen. Bei kleinen Volumina bedeutete das aber auch, dass ein Robo unter Umständen günstiger sein könnte als eine feste monatliche Zahlung bei Getquin.

Doch bislang konzentrieren sich die Gründer ausschließlich auf die Akquise neuer Nutzer. 100 000 sind zurzeit registriert. Im Laufe des kommenden Jahres sollen es eine Million werden, wie Rokitta sagt. "Wir machen aktuell keine Umsätze und planen das mittelfristig auch nicht. Unser Fokus liegt auf Wachstum, das aktuell von Investoren finanziert wird."

Zu den Investoren gehört der Finanzdienstleister Sino AG, der im Herbst vergangenen Jahres eine erste Finanzierungsrunde angeführt hatte. Getquin sammelte damals rund eine Million Euro ein. In einer zweiten Finanzierungsrunde im vergangenen Sommer flossen gleich "mehrere Millionen" Euro, wie Rokitta sagt. Auch die Sino AG, die zudem Anteile am Onlinebroker Trade Republic besitzt, war erneut daran beteiligt und ist größter Investor.

Ingo Hillen von der Sino AG sieht in der Beteiligung an Getquin eine kluge Entscheidung. "Der Trend zu einer Streuung von Geldanlage mit ETF steht erst am Anfang, weil sie zu extrem niedrigen Kosten möglich ist", sagt er. Tatsächlich zeichnete sich eine steigende Beliebtheit von ETF-Sparplänen schon im Gründungsjahr 2020 zunehmend ab, als die Sino AG ihren Einstieg beschloss. ETFs sind börsengehandelte Indexfonds. Jedem dieser ETFs liegt ein Index zugrunde, dessen Entwicklung ein ETF abbildet.

Hillen sieht in der Rentenproblematik und andauernden Minuszinsen auf Kapitaleinlagen einen mächtigen Treiber, der "für einen strukturellen Prozess für Anlage an Börse und Einzelaktien sorgen wird". "Wer dann weiß, was er will, kann gleich zu einem Broker gehen. Wer das nicht weiß, der erfährt bei Getquin alles, was er wissen muss", sagt der Investor.

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