1997:Die Geister einer Ausstellung

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Teilnehmer an einer Demonstration gegen die Gegner der Ausstellung 'Vernichtungskrieg, Verbrechen der Wehrmacht 1941 bis 1944' mit Transparenten und Schildern vor der Ludwig-Maximilians-Universität München. (Foto: Andreas Heddergott/SZ Photo)

Mit welchen Reflexen alte Kameraden und CSU-Politiker eine wissenschaftliche Schau über die lange verdrängte Rolle der Wehrmacht abwehren wollen

Von Herbert Riehl-Heyse

Noch 50 Jahre nach Kriegsende löste die Hamburger Ausstellung "Vernichtungskrieg - Verbrechen der Wehrmacht" Betroffenheit bei den einen, Verdrängung und Leugnung bei den anderen aus: Die Erzählung von der "sauberen Wehrmacht" erwies sich als eine Legende und Lebenslüge. Noch 1997 ging die CSU dagegen auf die Barrikaden, dass die Ausstellung in München gezeigt werden sollte; dabei befand sich die Partei in denkbar schlechter Gesellschaft und blieb am Ende erfolglos. Herbert Riehl-Heyse (1940 - 2003), einer der prägendsten Reporter der SZ (nach ihm ist heute der Journalistenpreis der Süddeutschen Zeitung benannt), seziert in dieser Seite-Drei-Geschichte die Mechanismen der Verdrängung. Riehl-Heyse wusste, wovon er sprach, wenn es um NS-Verbrechen ging: Sein Vater Hans Riehl, ein katholischer Nazigegner, wurde 1945 noch eine Woche vor Kriegsende in Altötting von der SS ermordet.

Franz Forchheimer ist CSU-Stadtrat in München, und wenn er nicht immer so wirkte, dann lag das bisher, außer an seinem Interesse für avantgardistische Kunst, vor allem daran, daß er mit seinem schlohweißen Haarschopf seit längerem aussieht wie Beethoven kurz vor Vollendung der neunten Symphonie. Forchheimer ist geachtet in der Stadt, beliebt in den Fraktionen.

Neuerdings freilich hat sich in München einiges geändert, neuerdings brodeln hinter den Kulissen die Aggressionen. Und deshalb erhält auch Franz Forchheimer neuerdings Anrufe wie den eines Herrn von der Münchner U-Boot-Kameradschaft, der ihm von seinem Stammtisch ausrichten läßt, er habe sich im Stadtrat schändlich verhalten. Wegen Leuten wie ihm werde sich der Anrufer Ende Februar am Münchner Marienplatz öffentlich verbrennen müssen. Wie aber hatte sich Forchheimer verhalten? Er war, anders als seine Fraktionskollegen, am 11. Dezember in einer bestimmten Debatte im Stadtratsplenum einfach sitzen geblieben, "festgeschraubt wie mit dem Schraubstock", sagt ein Beobachter.

Es war allerdings eine besondere Debatte, mit einer Vorgeschichte, die man erzählen muß, wenn man verstehen will, warum manche Scherben, die schon in halb Deutschland herumliegen, auch in der Stadt München zu besichtigen sind. Die Geschichte beginnt damit, daß vor fünf Jahren - in Vorbereitung auf die fünfzigste Wiederkehr des Kriegsendes - Historiker und Journalisten rund um das Hamburger Institut für Sozialforschung des Jan Philipp Reemtsma über eine Ausstellung zur "Explosion von Gewalt" im Zweiten Weltkrieg nachdachten. Sie war nur als Nebenausstellung zu einer größeren gedacht, aber dann entwickelte sie sich zu einer der folgenreichsten der Republik in Sachen Zeitgeschichte, was nicht zuletzt mit ihrem Titel zusammenhängt. Der heißt "Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941 bis 1944" und hat vor allem ein Ziel: Anhand dreier Beispiele - Partisanenkrieg in Serbien, 6. Armee, Weißrußland - zu beweisen, daß die deutsche Wehrmacht in diesen Jahren nicht einen "normalen Krieg" geführt habe, sondern daß sie an den Verbrechen gegen Juden, Kriegsgefangene und Zivilisten "als Gesamtorganisation beteiligt war".

Soldaten machten Photos ihrer eigenen Verbrechen

Der Beweis für diese Behauptung wurde mit vielen atemberaubenden Dokumenten geführt: Man hatte Feldpostbriefe gesammelt, Tagebücher, Zeugenaussagen, hatte - in Moskau vor allem - Photos gefunden, die deutsche Soldaten gemacht hatten, um Exekutionen und Massaker an Kriegsgefangenen und Juden festzuhalten. Aus alledem hatte man eine durchaus provokativ gemeinte Ausstellung zusammengestellt, über die der Streit auch sofort begann.

Er hatte im wesentlichen drei Phasen, die sich vor allem dadurch unterschieden, wie die heutigen Soldaten mit der Ausstellung umgingen. In der ersten Abteilung, das war vor dem 9. Mai 1995, war die Bundeswehr sozusagen unsichtbar. Wann immer damals von den Redaktionen der Zeit oder von "Talk im Turm" ein hoher Offizier zur Diskussion über die Ausstellung gebeten wurde, gab es eine Absage. Gleichzeitig sah sich die Hardthöhe freilich sehr genau an, was da ausgestellt wurde. Ende April 1995 wurde für das Verteidigungsministerium eine Expertise erstellt, in der es hieß, an den Quellen der Ausstellung sei "wohl kaum zu zweifeln", es sei wahr, "daß die Wehrmacht partiell an der nationalsozialistischen Gewaltpolitik beteiligt war, je länger desto nachdrücklicher". Es sei "ein Irrtum zu glauben, man könne unangenehme Zeiträume einfach ausblenden".

Es folgte, das war schon in der zweiten Phase, ein langer Aufsatz in der offiziellen Bundeswehrzeitschrift Truppenpraxis, in dem ausdrücklich ein Besuch "der beklemmenden Austellung des Hamburger Instituts für Sozialforschung . . . empfohlen" wurde. Kurz darauf diskutierte Hannes Heer, der Leiter der Ausstellung, auf einer Kommandeurstagung in Fürstenfeldbruck mit hohen Offizieren; "eine absolut seriöse Diskussion" sei das gewesen" erinnert sich Heer, bei welcher der frühere Generalinspekteur de Maizière aus dem Publikum "ein versöhnliches Schlußwort" gesprochen habe.

"Mir passt das Bild nicht, das da von der Wehrmacht gezeichnet wird."

Ein paar Monate später war es schon wieder vorbei mit der Versöhnung, obwohl sich an der Ausstellung, die inzwischen in vielen anderen Städten gezeigt wurde, nichts geändert hatte: In Erfurt wurde das Wort Lüge auf Schautafeln gesprayt, in Regensburg und Nürnberg wurde das Ereignis von den CSU-Politikern boykottiert, weil, wie der Regensburger Oberbürgermeister sagte, "mir das Bild nicht paßt, das da von der Wehrmacht gezeichnet wird". Es durften nun keine Bundeswehroffiziere mehr zu den Begleit-Diskussionen kommen, es durfte das Militärgeschichtliche Forschungsamt nicht mehr in Erscheinung treten: Der Druck von Reservisten- und Kameradenverbänden war zu groß geworden, und überhaupt zeigte sich, als nun immer mehr die Politik ins Spiel kam, daß die Vergangenheit sich wieder danach zu richten hatte, welcher politischen Richtung der jeweilige Betrachter angehörte.

In vier Wochen, am 24. Februar, wird "Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht" in München eröffnet - und schon scheint ein vernünftiges Gespräch darüber kaum noch möglich zu sein. Um die Sache geht es am wenigsten, über die läßt sich in Wahrheit kaum noch streiten. Unbestreitbar ist, wie es in jenem Aufsatz der Truppenpraxis heißt, "daß Abertausende an den Verbrechen der Wehrmacht beteiligt waren", "daß Hunderttausende davon gewußt haben müssen".

Und ebenso unbestreitbar ist, daß diese Erkenntnis keinesfalls die 18 Millionen Soldaten der Wehrmacht pauschal zu Verbrechern macht. Welcher General, welcher gemeine Soldat sich wie verhalten hat im Krieg, ob er "zirka 1000 Juden ins Jenseits befördert hat" (wie ein Soldat namens Franzl im Feldpostbrief vom 6. Juli 1941 aus Tarnopol fröhlich seinen Eltern mitteilt), ob er sich gedrückt hat vor dem Erschießungskommando, oder ob er das, warum auch immer, nicht konnte - all das weiß am Ende nur jeder einzelne selbst. Und der liebe Gott.

Heldenmythos in Zeiten des Massenmordes

Weil der sich gerade nicht einmischen will, müssen nun auch in München, wie zuletzt in Karlsruhe oder schon seit Wochen in Bremen, lauter Schlachten auf Nebenkriegsschauplätzen stattfinden. Wichtigste Fragen werden erörtert: Müßte die Ausstellung nicht besser "Verbrechen in der Wehrmacht" heißen, darf sie in einem Rathaus stattfinden, darf der Oberbürgermeister das Grußwort sprechen? Auch in München haben die - mittels Merkblatt - präzise eingewiesenen "Kameradenwerke und Traditionsverbände" die geeigneten "Maßnahmen gegen die Heer-Ausstellung" ergriffen; auch in München wird in Briefen hin und her verzweifelt versucht, Hitlers Kommissar-Befehl gegen die Verbrechen des KGB aufzurechnen, auch in München hofft man, den Ausstellungsmachern Fälschungen nachweisen zu können. (Sogar Franz Forchheimer hatte kurz gedacht, er habe auf einem Photo von SS-Leuten ein Blasinstrument entdeckt, das es damals in Europa noch nicht gab.)

Dabei weiß man auch in München, daß die wirklichen Fragen von anderen Dingen handeln würden - von Schuld und Verdrängung, vom Heldenmythos in den Zeiten des Massenmords. Und davon, ob sich die Deutschen, egal, zu welchem politischen Lager sie sich rechnen, wenigstens auf einen Minimalkonsens darüber einigen können, was geschehen und was daraus zu lernen ist.

München ist ein gutes Beispiel dafür, daß das noch immer nicht geht, 52 Jahre nach dem Ende des Krieges. Erst gab es noch wenig Reaktion, als die Ausstellung vom Kulturreferat eingeladen worden war. Als wolle man allzu großes Aufsehen vermeiden, wurde der zuständige Ausschuß anfangs mit dem Vorhaben gar nicht befaßt, auch Oberbürgermeister Ude ließ den Brief, in dem er um die Begrüßung gebeten wurde, erst einmal liegen. Das nützte natürlich nichts: Als die Volkshochschule, die mit dem Kulturreferat ein umfangreiches Begleitprogramm organisiert, auch für diese Austellung die Damen zusammenholte, die als "Führungsnetz" die Münchner bei solchen Gelegenheiten zu lotsen pflegen, wollten erstmals einige von ihnen nicht mitmachen. Sie erinnerten sich, wie sie zuletzt, bei einer Ausstellung im Stadtmuseum über die Hauptstadt der Bewegung "von ganz normalen Bürgern angespuckt" worden seien. Im Oktober des Jahres 1996 wurde immer energischer an den Oberbürgermeister appelliert, einzuschreiten. "Zwei Drittel des gezeigten Bildmaterials", hieß es in einem Brief des Professors Armin Steinkamm, Präsident der "Arbeitsgemeinschaft der Reservisten-, Soldaten- und Traditionsverbände", würden "von Fachleuten als Fälschungen bezeichnet".

"Den Linken ein Gegengewicht bieten"

Der Oberbürgermeister hat den Präsidenten aufgefordert, ihm die Fachleute und die Fälschungen zu benennen. Eine Antwort hat er nicht bekommen, aber darauf kam es schon nicht mehr an, denn inzwischen hatte jene Art Debatte begonnen, die sich nicht mehr um Fakten kümmert, sondern nur noch um die politische Einordnung der Protagonisten. Für diese Debatte aber waren die Vorkämpfer wie gemalt, vor allem, als im November die CSU-Fraktion im Rathaus beschlossen hatte, nicht mehr - wie geplant - Franz Forchheimer als ihren Sprecher in dieser Sache zu belassen. Dessen Meinung sei "nicht die Linie der CSU", sagte der Fraktionschef, der in solchen Fragen selten etwas gegen den Rat seines Bezirksvorsitzenden Gauweiler unternimmt.

Ein Stellvertreterkrieg wird seitdem ausgefochten, mit Anführern, die mit Hilfe der Nazi-Zeit wieder einmal die Bundesrepublik erklären, respektive retten müssen. Da ist einerseits Ausstellungsmacher Hannes Heer, ein prototypischer 68er des Jahrgangs 1941: Spätestens seitdem der Publizist Rüdiger Proske in einem eigens angefertigten Büchlein herausgearbeitet hatte, daß Heer in seiner stürmischen Jugend dem SDS angehörte und dann der DKP (die er nach dem Einmarsch in die CSSR wieder verließ), war klar, eine von einem solchen Mann initiierte Ausstellung müsse wissenschaftlich unseriös sein. Proske fand sogar heraus, daß Heer 1975 zu einer Ordnungsstrafe von 1200 Mark wegen Landfriedensbruch und Widerstand verurteilt worden war: Da war sie dann doch, die Leidenschaft für die historische Wahrheit - die wohl nicht noch für die Frage ausreichen konnte, warum die 12. Kompanie des 354. Infanterie-Regiments am 5. Oktober 1941 im Dorf Krupka 1000 jüdische Männer, Frauen und Kinder ermordete.

Längst verlaufen die Fronten, wie sie immer verlaufen in Deutschland: auf der einen Seite ein Linker wie Heer, der nun wieder den "Revisionismus" in breiter Formation heraufziehen sieht; auf der anderen Seite jemand wie der Münchner Stadtrat Manfred Brunner, der in seiner denkwürdigen Rede bei jener denkwürdigen Stadtratsdebatte vom Dezember selbstverständlich "die Figur des Herrn Heer und des Herrn Reemtsma" ausführlich beschreiben zu müssen glaubte. Brunners Rede, passagenweise von süßsaurem nationalem Kitsch durchtränkt ("Größe und Tragik der Wehrmacht"), war vor allem deshalb so bezeichnend, weil Brunner alles andere als ein Nazi ist, wie jeder weiß, der ihn ein wenig aus der Nähe kennt. Warum er, der ja nicht nur eine Sorte von Büchern liest, denn solche Reden hält, fragt man ihn ein wenig fassungslos, Wochen nach seinem Auftritt: Weil er den Linken "ein Gegengewicht bieten" müsse, antwortet er, weil man verhindern müsse, daß "das Boot auf die falsche Seite kippt". Und weil er, wird man hinzufügen dürfen, einer von denen ist, die - wenn sie sich in die falsche Ecke gedrängt fühlen - auch dort wieder recht behalten müssen: So einer klammert sich fast panisch an jedes Zitat von Adenauer oder auch Marschall Schukow, in dem die deutsche Truppe als ehrenhaft oder diszipliniert gelobt wird, so einer kämpft für die Ehre der toten Soldaten und landet in seiner Rede fast automatisch in der Attacke auf jene, "die in Bad Kleinen versuchten, den Killerstaat zu erfinden".

Und schon stimmen die alten Reflexe wieder: Brunner sagt - den Philosophen Marquard zitierend - die "rot-grüne Politikergeneration" wolle dem Tribunal entgehen, indem sie sich selbst zum Tribunal mache; die grüne Stadträtin Csampai entgegnet erregt, er wolle seine Anhänger ermutigen, "zu den Waffen zu greifen, um diese Generation, diese Ideen, die Demokratie und die Liberalität dieses Landes zu vernichten". Einen Höhepunkt rationaler Debatte bot der Dezemberabend nicht, an dessen Ende Brunner und die gesamte CSU-Fraktion wütend den Saal verließen, weil der Oberbürgermeister für eine halbe Stunde zum Essen gegangen war - ein Protest gegen die Weltgeschichte mit Hilfe der Geschäftsordnung des Münchner Stadtrats.

Die ganze CSU ging, außer Franz Forchheimer, dem hinterher Kollegen nachsichtig sagten, jeder habe einmal im Jahr einen Freischuß. Einige wiesen darauf hin, der Mann habe einen jüdischen Großvater, der sich umgebracht hat, als ihn die Nazis abholten, da könne man mal ein Auge zudrücken.

Inzwischen werden die Scherben täglich mehr und die Fragen auch. In der CSU-Fraktion gibt es wenigstens einige Leute, die nicht mehr wissen, wie klug es war, sich von Brunner am Nasenring aus dem Sitzungssaal führen zu lassen. In der Bundeswehr ärgern sich höchste Führungkräfte darüber, daß sie nicht öffentlich erklären dürfen, was die Armee eines demokratischen Staates von der des NS-Staates unterscheidet. Unverkennbar nervös ist die Stadt - die NPD verbreitet Flugblätter, die Polizei bereitet sich vor, die CSU deutet weitere Aktionen an. Und der Oberbürgermeister erstickt seit Wochen in Briefen mit immer denselben Gedanken, selben Gedichten ("unsere Gefallenen"), selben Einwänden aus dem Zettelkasten der Reservistenverbände.

Und manchmal bekommt er Briefe, von denen er nicht mehr geglaubt hätte, daß sie nach 50 Jahren zeitgeschichtlicher Forschung noch möglich seien. Wenn Hitler nicht den letztmöglichen Termin für den deutschen Präventivangriff auf die UdSSR gewählt hätte, so hat ihm dieser Tage ein Universitätsprofessor namens Helmut Schröcke geschrieben, wäre auch die andere Hälfte Europas dem Bolschewismus anheimgefallen - Hitler als Retter des Abendlandes, kann das nur heißen. In solchen Momenten, sagt Christian Ude, wisse er besonders genau, warum er an einem Montag abend Ende Februar eine gewisse Ausstellung eröffnen wird: Einerseits, weil er die Soldaten gegen alle Pauschalurteile in Schutz nehmen müsse. Andererseits aber, weil ihm erst durch die Diskussion über die Ausstellung richtig klargeworden sei, wie nötig sie sei.

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