Start-ups:Erst mit Betriebsrat wird die neue Arbeitswelt wirklich schön

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Lieferdienstfahrer protestieren in denen vergangenen Jahren in Berlin immer wieder gegen die schwierigen Arbeitsbedingungen. Inzwischen diskutiert man in der Hauptstadt der Gründer: Wie viel Mitsprache brauchen Start-ups? (Foto: AFP)

Die Berliner SPD will Start-ups künftig nur fördern, wenn sie Betriebsräte erlauben. Eine gute Idee. Und trotzdem muss Mitbestimmung anders aussehen.

Kommentar von Lea Hampel

Eine freundliche Arbeitsumgebung mit talentierten Kollegen, 30 Tage Urlaub, frei am Geburtstag, ein Monatsticket für den Nahverkehr, Kräuter zum Mitnehmen, dreimal die Woche kostenloses Mittagessen - was das Berliner Start-up Infarm laut Stellenausschreibung bietet, klingt nach New Work in Reinform. Dennoch ist das Unternehmen auf einer Liste der 100 erfolgreichsten Start-ups das bei Arbeitnehmern am wenigsten beliebte. Arbeitgebertheorie und Arbeitnehmerpraxis sind eben nicht immer das Gleiche. Um diese Gegensätze auszugleichen, gibt es in Deutschland seit 100 Jahren das Recht auf die Interessenvertretung durch Betriebsräte.

Angesichts der schönen neuen Arbeitswelt - Kräuter sind der Anfang, Arbeiten von zu Hause und unbegrenzter Urlaub die Steigerungen - könnte man meinen: Wer braucht noch Betriebsräte, die bei Einstellungen und Arbeitszeit mitreden? Entsprechend empört ist die Gründerszene, dass die Berliner Landesregierung Förderung künftig an Mitbestimmung knüpfen will. Doch die ist nötig, gerade in jungen Unternehmen. Sie muss sich allerdings ändern.

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Von Hannah Beitzer

Um das Existenzrecht zu begründen, reicht ein Blick in die Geschichte: Start-up-Mitarbeiter heute profitieren indirekt von dem, was andere Menschen in vergangenen Jahrzehnten erkämpft haben. Nun kann man sagen: Wie Unternehmen funktionieren, wandelt sich derzeit radikal. Tatsächlich ist die Situation in Start-ups eine neue: Dort arbeiten oft Menschen aus intrinsischer Motivation. Ihnen ist, laut Generation-Y-Studien, Inhalt wichtiger als Status, Freiheit wichtiger als Geld. Die dazugehörige harte Arbeit hat Kultstatus.

Genau diese Ausgangsbedingungen machen es besonders sinnvoll, Institutionen zu haben, die das Gebaren der Arbeitgeber kritisch begleiten. Schon zwei Zahlen zeigen, dass der Arbeitsalltag im Start-up sich netter anfühlt, aber härter ist: Angestellte arbeiten zehn Prozent mehr als der Durchschnitt. Das Einkommen von Frauen ist rund elf Prozent geringer als das der Männer.

Der Gewinn der einen ist nun mal höher, je geringer das Gehalt der anderen ausfällt

Gerade weil der Arbeits- auch Wohlfühlort ist, gerät oft fast in Vergessenheit, dass es auch in Start-ups meist darum geht, etwas zu verdienen. Und der Gewinn der einen ist nun mal höher, je geringer das Gehalt der anderen ausfällt. Deshalb schaden fixe Strukturen nicht: Gute Arbeitgeber haben nichts zu befürchten, schlechte - wie zuletzt Delivery Hero und Goodgame - können sich verbessern.

Denn eines gilt für alle Unternehmen: Sie verändern sich. Neue Mitarbeiter kommen dazu. Gerade bei Start-ups ändern sich oft Ausrichtung und Produkt, Eigentümer wechseln. All das macht es wahrscheinlich, dass das, was einst zwischen Tür und Angel vereinbart wurde, sei es zu Anwesenheit, Urlaub oder Bonus, nicht mehr gilt. Vor allem wirtschaftliche Entwicklungen können die Atmosphäre beeinträchtigen. Floppt die Idee und geht es um die eigene Stelle oder die des Kollegen, dürfte es mit der Freundschaft schnell vorbei sein. Dann bleiben zwar nicht verhandlungsstarke Tech-Profis auf der Strecke, aber schlecht bezahlte Assistenten, die es auch in hippen Firmen gibt. Umgekehrt entstehen, wenn das Unternehmen wächst, mehr Ebenen. Damit schwindet der Einfluss des Einzelnen.

Weil aber viele Gründer Vorgaben für Mitbestimmung als behindernd ansehen, schlagen Experten andere Formen vor, etwa die Mitarbeiterbefragung im Intranet. Doch: Die Meinung einzuholen heißt nicht, sie zu befolgen. Auch sogenannte Feelgood-Manager gelten als Alternative. Ob sie die richtigen Ansprechpartner sind für ernste Probleme wie den in Start-ups oft verbreiteten Sexismus, bleibt offen. Ein besserer Ansatz für mehr Mitbestimmung scheint, Mitarbeiter am Unternehmen zu beteiligen. Das aber ist nicht in jedem Unternehmen möglich.

Stattdessen ist es sinnvoll, Betriebsräte in Start-ups indirekt zu fördern. Natürlich müssen sie ebenso anders ticken wie die Unternehmen selbst. Dafür müssten sich formale Vorgaben ändern: Dass nur gewählt werden kann, wer ein halbes Jahr da ist, entspricht nicht der Schnelllebigkeit dieser Firmen.* Aber auch inhaltlich gilt es, neue Wege zu beschreiten: Arbeitet ein Unternehmen mit Festangestellten und zusätzlichen Honorarkräften, sollten die Interessen aller repräsentativ vertreten sein. Vor allem aber sollten sich Betriebsräte von der klassischen Idee verabschieden, für Einheitlichkeit unter Mitarbeitern zu kämpfen und ihre Aufgabe darin sehen, dass die jeweiligen Mitarbeiter nach ihren Bedürfnissen arbeiten können - und möglich machen, dass Start-ups die tollen Arbeitgeber werden, als die sie sich selbst in Stellenanzeigen preisen.

*Anmerkung d. Red: In einer früheren Fassung stand, dass auch nur Mitarbeiter den Betriebsrat wählen können, die bereits ein halbes Jahr im Unternehmen sind. Dies trifft nicht zu.

© SZ vom 04.02.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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