Arbeitnehmer fehlen immer häufiger wegen psychischer Erkrankungen am Arbeitsplatz. Die Anzahl dieser Krankheitsfälle ist nach einer Untersuchung des Wissenschaftlichen Instituts der AOK (WIdO) im vergangenen Jahr auf einen neuen Rekordwert angestiegen. Die Forscher werteten dafür die Krankheitsdaten von 9,7 Millionen erwerbstätigen AOK-Mitgliedern aus.
Psychisch bedingte Erkrankungen sind nach der Untersuchung für die längsten Fehlzeiten in der Arbeitswelt verantwortlich. "Bei einer Atemwegserkrankung fehlt ein Beschäftigter im Schnitt 6,5 Tage, bei einer psychischen Erkrankung sind es fast 23 Tage", sagte der Mitherausgeber der Studie und stellvertretender Geschäftsführer des Instituts, Helmut Schröder.
Schon jetzt sind psychische Erkrankungen zudem die häufigste Ursache für Frühverrentungen. 2007 begründete jeder Dritte seinen vorzeitigen Ausstieg aus dem Beruf mit hartnäckigen Depressionen oder anderen seelischen Störungen. Laut Berechnungen des Statistischen Bundesamts entstand durch die neue Volkskrankheit im Jahr 2006 ein Schaden von 26,7 Milliarden Euro.
Nach den Daten der AOK-Studie liegen die Störungen an der Seele inzwischen an vierter Stelle der Ursachen für eine Erkrankung Berufstätiger. Insgesamt waren sie im vergangenen Jahr Ursache für 8,6 Prozent der ausgefallenen Arbeitstage der AOK-Mitglieder. Im Vorjahr betrug der Wert noch 8,3 Prozent. Krankheitsgrund Nummer eins bleiben mit großem Abstand Leiden an Muskulatur und Skelett. Sie sind für ein Viertel aller Erkrankungen verantwortlich. In den meisten Fällen handelt es sich dabei um Rückenbeschwerden.
Seelische Erkrankungen spielen daher eine immer wichtigere Rolle in der Arbeitswelt. "Die Zahl der Fehltage durch psychische Erkrankungen ist in den vergangenen 12 Jahren um fast 80 Prozent gestiegen", sagte Schröder. Die Ursachen für die deutliche Zunahme der Psycho-Probleme vermuten Gewerkschaften und Betriebsärzte im steigenden Stress einer radikal veränderten und beschleunigten Arbeitswelt. Ein anderes Erklärungsmuster für den Anstieg der Fälle ist, dass die Arbeitnehmer stärker als früher bereit sind, mit Ärzten über seelische Probleme zu sprechen, weil das Thema heute kein Tabu mehr sei.
Trotz der schweren Wirtschaftskrise des vergangenen Jahres stieg die Zahl der Fehlzeiten leicht an. Betrug sie 2008 noch 4,6 Prozent, waren es 2009 schon 4,9 Prozent. Im Durchschnitt dauerte eine Arbeitsunfähigkeit 17,3 Tage. Das widerspricht Erfahrungen aus der Vergangenheit, als wirtschaftliche Krisen häufig einen sinkenden Krankenstand mit sich brachten: Aus Angst vor dem Verlust des Jobs erschienen die Beschäftigten auch krank am Arbeitsplatz. Dieser Zusammenhang ist in Deutschland jedoch seit ein paar Jahren gestört. "Der Krankenstand ist nun schon seit geraumer Zeit sehr niedrig", sagte die Mitherausgeberin der Studie, Katrin Macco. Manche Experten bezeichnen den Krankenstand in Deutschland sogar als ungesund niedrig.
Die meisten Fehlzeiten unter den AOK-Mitgliedern hatten Straßenreiniger und Müllmänner. Sie waren mit 28,8 Tagen im Schnitt fast einen Monat krank. Zu den geringsten Fehlzeiten kam es unter Hochschullehrern, die nur 4,3 Tage fehlten. Nach der Statistik sind zudem Frauen häufiger, aber kürzer krank. Männer leiden vermehrt unter Muskel-Skelett-Erkrankungen und Verletzungen. Frauen eher unter Atemwegserkrankungen und Depressionen.