Kita-Botschafterin:Nach Kita-Schluss zum 450-Euro-Job

Kita 'Spielhaus' in Frankfurt (Oder)

"Aus finanzieller Sicht kann ich nicht empfehlen, diesen Beruf zu ergreifen" - aus anderen Gründen aber durchaus: Isolde Steuerwald.

(Foto: dpa)

Mehr Aufgaben, mehr Stress, und ein Gehalt, das einen Nebenverdienst erfordert: Isolde Steuerwald über Erzieherinnen, den bevorstehenden Streik - und das Tolle an ihrem Beruf.

Interview von Ulrike Heidenreich

Die Erzieherin Isolde Steuerwald, 29, ist das Gesicht einer bundesweiten Kampagne, die dringend nötiges Personal für Kindertagesstätten werben will. Sie wurde vor zwei Jahren zur Kita-Botschafterin ernannt. Das Projekt der Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege (BAGFW) wird unterstützt vom Bundesfamilienministerium.

Steuerwald hatte sich um diesen Ehrentitel beworben, weil sie ihren Beruf liebt, die Abwechslung in der Arbeit mit kleinen Kindern schätzt. Die gebürtige Österreicherin ist seit zehn Jahren Erzieherin. Sie arbeitete bis März im katholischen Kindergarten St. Otto in Ottobrunn. Nun ist sie Referentin für pädagogische Themen und Qualitätsweiterentwicklung der Diözesen-Kitas im Regionalverbund Ebersberg. Mit dem Gehalt hadert sie jedoch. Und so verfolgt die Erzieherin den Aufruf zum unbefristeten Streik mit Sympathie, mitmachen wird sie dennoch nicht: Denn sie arbeitet bei einem kirchlichen Träger, nicht im öffentlichen Dienst. Die Kita-Botschafterin über die Stimmung im Kindergarten und die Ansprüche der Eltern.

SZ: Frau Steuerwald, ist der geplante Streik richtig?

Isolde Steuerwald: Ja, leider ist er nötig. Die Wertschätzung des Berufes und auch die Entlohnung müssen grundsätzlich besser werden. Der Beruf ist sehr fordernd - und unterbezahlt. Eine Angleichung an die Gehälter von Grundschullehrern wäre wünschenswert. Es ist nicht einfach, von einem normalen Erziehergehalt in Großstädten wie etwa München zu leben.

Kennen Sie viele Kolleginnen, die sich einen zweiten Job suchen, um über die Runden zu kommen?

Ja, das machen viele. Nicht nur Erzieherinnen, sondern auch Kinderpflegerinnen, die dann abends zum Beispiel beim Modeunternehmen Orsay oder anderen Bekleidungsgeschäften auf 450 Euro-Basis arbeiten. Die Läden haben bis 20 Uhr offen, das ist dann ganz gut mit den Kita-Öffnungszeiten zu vereinbaren.

Hört sich extrem flexibel an - und dann haben sich auch noch die Erwartungen an Erzieherinnen so stark gewandelt.

Das Bildungsverständnis und die familiären Strukturen in unserer Gesellschaft haben sich tatsächlich sehr verändert. Der Fokus in Kindergärten liegt nun auf der frühkindlichen Bildung. Nach dem schlechten Abschneiden beim Pisa-Test ist das Thema in den Mittelpunkt gerückt. Dies wirkt sich stark auf unsere Arbeit und den Anspruch an uns aus. Außerdem übernehmen die Kindertagesstätten ja familienergänzend Aufgaben. Wir müssen oft eingreifen, fangen viele Dinge ab, zum Beispiel soziale Ungleichheiten.

Werden Sie damit tagtäglich konfrontiert?

Schon sehr oft. Dazu kommen die sich wandelnden Familienformen. Trennungen, Patchwork und so weiter. Damit müssen Kinder auch klarkommen. Wir helfen dabei.

Erfahren Sie mehr Wertschätzung, wenn Eltern heutzutage ihre Kinder zu Ihnen bringen?

Immer mehr. Unser Beruf bekommt plötzlich viel mehr Aufmerksamkeit und Anerkennung. Aus finanzieller Sicht kann ich aber trotzdem nicht empfehlen, diesen Beruf zu ergreifen. Jedoch wiegen der Idealismus und die Erfüllung, die die Arbeit mit Kindern und Familien mit sich bringt, die schlechte Entlohnung etwas auf.

"Ich habe einen tollen Job"

Wie ist die Stimmung in den Kindertagesstätten?

Wegen des Personalmangels leider häufig gereizt. Die an uns gestellten Anforderungen sind gewachsen: Wir sollen mit den Kommunen zusammenarbeiten, uns vernetzen, eine gute Erziehungspartnerschaft mit den Eltern haben. Dazu wäre wahnsinnig viel Zeit nötig, die außerhalb der Arbeit direkt am Kind stattfindet. Wir stehen unter Zeitdruck.

Wirkt sich das auf die Arbeit mit den Kindern aus?

Ideen und Projekte können mitunter nicht umgesetzt werden. Der Enthusiasmus Einzelner geht immer mehr verloren. Ausflüge sind wegen Personalmangels oft nur schwer planbar. Wenn dann auch noch jemand krank wird, müssen wir solche Unternehmungen leider absagen. Jedoch ist unser Ziel, für Kinder und Familien eine hochwertige Arbeit aufrechtzuerhalten. Und wir versuchen mit allen Kräften, dass die Kinder das nicht direkt mitkriegen.

Als Kita-Ehrenbotschafterin waren Sie ja eigentlich angetreten, die positiven Seiten an Ihrem Beruf herüberzubringen. Gibt es die überhaupt noch?

(lacht) Ja, natürlich. Ich habe einen tollen Job: Er ist abwechslungsreich, jeden Tag macht er aufs Neue Spaß. Die Kinder geben einem so viel zurück. Und wenn man sich gut gemeinsam im Team organisieren kann, hat man große Freiheiten. Es macht Spaß, zu sehen, wie Kinder sich entwickeln. Da können wir einiges bewirken. Ich verspüre eine gewisse Dankbarkeit und Freude darüber.

240 000 Mitarbeiter in sozialen Berufen werden wohl zum Streik aufgerufen, nur Sie sind nicht dabei.

Auf die Mitarbeiterinnen von kirchlichen Trägern hat das automatisch Auswirkungen. Denn wir werden an die Gehälter des öffentlichen Dienstes angeglichen. Den Streik unterstützen die meisten: Es muss sich etwas ändern, da die Kinder die Zukunft unserer Gesellschaft sind. Da darf man nicht auf der falschen Seite sparen.

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