Streik in Kindertagesstätten:"Jeder Tag ist eine Zerreißprobe"

Kita-Streik im Südwesten

Erzieherinnen fordern bis zu zehn Prozent mehr Gehalt - aber auch mehr Unterstützung und Personal.

(Foto: dpa)
  • Erzieher, Kinderpfleger und Sozialpädagogen haben genug.: Ab Freitag soll bundesweit an Kitas gestreikt werden. Nach dem Beamtenbund dbb hat auch die Gewerkschaft Verdi Streiks beschlossen.
  • In Bayern sollen die Erzieher ab Montag in den Streik treten - für mindestens zwei Wochen, wie Verdi Bayern mitteilte.
  • In München arbeitet die Stadt an einer so genannten Härtefallregelung, um zumindest in dringenden Fällen eine Notbetreuung bieten zu können. Aktuelle Informationen zur Situation in München finden Sie hier.

Von Melanie Staudinger

Die Mitarbeiter in den Kindertagesstätten leiden im Alltag vor allem unter dem teilweise extremen Personalmangel. Aus ihrer Sicht kann auf die Schnelle nur eine bessere Bezahlung dazu führen, dass sich wieder mehr junge Menschen für ihren Beruf entscheiden werden.

Eine 36-jährige Erzieherin mit 13 Jahren Berufserfahrung erzählt über den täglichen Kampf gegen den Personalmangel:

"Seit November arbeite ich alleine in einer Kindergarten-Gruppe mit 25 Kindern. Nur ab und zu kommt eine Aushilfe zur Unterstützung, sie ist aber nicht konstant da. Für mich bedeutet der Personalmangel, dass ich jeden Tag neu planen muss. Zum Beispiel muss ich eine Erzieherin aus einer anderen Gruppe organisieren, wenn ich spezielle Angebote für die Vorschulkinder machen will. Ich kann ja die anderen Kinder nicht alleine lassen.

Außerdem muss ich jede Woche mindestens eine Stunde lang Elterngespräche über die Entwicklung der Kinder führen. Dazu muss ich aber die Kinder beobachten, was relativ schwierig ist, wenn ich mit 25 Mädchen und Buben alleine bin. Wenn man sich beschwert, hört man immer nur, dass bald eine zweite Kraft kommen wird. Doch sie kommt nicht. Kein Wunder, gerade die jungen Kolleginnen verdienen bei uns ja so wenig, dass sie in München kaum überleben können. Manche haben sogar zwei Jobs, gehen noch putzen oder babysitten."

Eine 63-jährige Erzieherin ist seit 42 Jahren im Beruf und berichtet, welche Kinder auf der Strecke bleiben:

"Viele Eltern werden immer anspruchsvoller. Sie hätten am liebsten, dass wir mit den Kindern Kuchen backen, Ausflüge machen, musizieren, spielen und zum Skifahren gehen. Das können wir aber mangels Personal gar nicht alles leisten. Auf der anderen Seite gibt es Eltern, die sich zu wenig um ihre Kinder kümmern. Die Kleinen kommen morgens schon belastet in den Kindergarten. Sie schauen zu viele Filme, die nicht für sie geeignet sind, haben zerrüttete Familien, werden überschüttet mit Spielzeug, für das sie gar keine Zeit haben, weil sie abends nach dem Kindergarten nur noch essen und dann ins Bett gehen. Sie sind unruhig oder aggressiv, das überträgt sich dann auf die anderen Kinder der Gruppe.

Auf all diese unterschiedlichen Kinder sollen wir eigentlich eingehen. Wir versuchen das auch, aber es bleiben Kinder auf der Strecke. Das sind oft die braven und unkomplizierten. Wir können uns kaum um sie kümmern, weil wir so mit den anderen beschäftigt sind. Manchmal müssen wir außerdem das Mitttagessen kochen, weil es in unserer Einrichtung nur eine Köchin gibt. Fällt sie aus, müssen wir einspringen."

Eine 46-jährige Erzieherin ist seit 13 Jahre im Beruf und arbeitet gerade als Springerin:

"Eigentlich haben wir einen sehr schönen Beruf. Ich arbeite sehr gerne mit Kindern, würde mir aber bessere Bedingungen wünschen. Hilfreich wären aus meiner Sicht ein bis zwei Unterstützungskräfte in den Einrichtungen, auch wenn ich weiß, dass dieser Wünsch wahrscheinlich nicht erfüllt wird. Diese könnten sich um die Sachen kümmern, die nicht direkt etwas mit der Pädagogik zu tun haben, aber trotzdem wichtig sind: Sie könnten etwa Ordnung schaffen in den Gruppenräumen oder Material für die Kinder aufbereiten. Das sind Dinge, die uns sonst sehr aufhalten. Die Kinderpfleger können solche Arbeiten schon längst nicht mehr machen. Weil Erzieher fehlen, haben sie trotz einer kürzeren Ausbildung die gleichen Aufgaben wie wir. In manchen Einrichtungen führen sie sogar Elterngespräche."

Eine 57-jährige Einrichtungsleiterin, die seit 26 Jahren im Beruf im Beruf ist, erzählt über die Diskrepanz zwischen Personalschlüssel und Realität:

"Das größte Problem an meinem Job ist momentan, dass ich als Leiterin ganz normal in den Personalschlüssel eingerechnet werde. Das bedeutet, dass ich eigentlich eine Gruppe mit 25 Kindern übernehmen müsste. Das ist aber unrealistisch. In meiner Einrichtung bin ich daher quasi ein hausinterner Springer. Die Kolleginnen müssen meine Stunden unter sich aufteilen. Doch nicht nur ich fehle im regulären Dienst. Die Mitarbeiter haben Urlaub, sind krank - und das sind mittlerweile aus Überlastung viele - oder werden schwanger.

Wenn eine Stelle unbesetzt ist, dauert es meistens sehr lange, bis ein Nachfolger kommt. Während der Grippewelle fehlten mir fünf Kräfte. Für mich ist jeder Tag eine Zerreißprobe. Bin ich in der Gruppe, habe ich immer im Hinterkopf, dass ich noch Verwaltungsaufgaben machen müsste. Kümmere ich mich dann ums Büro, habe ich ein schlechtes Gewissen, dass ich nicht bei den Kindern bin. Die Verwaltungsaufgaben werden zudem immer mehr: Ich kümmere mich um die Anmeldungen, schreibe die Wartelisten und Stellenausschreibungen, bin für das Bestellwesen zuständig, die Schadens- und Unfallmeldungen. Wenn ein Kollege krank wird, muss ich die Meldung mittlerweile drei Mal in verschiedene Systeme eingeben.

Ich würde mir daher eine Verwaltungskraft wünschen, und zwar eine, die ihren Job gelernt hat und nicht irgendeine Aushilfe, die ich dann wieder überwachen muss. Es wäre toll, wenn ich wieder mehr Zeit für pädagogische Aufgaben hätte, für die Kinder, das Team und die Eltern."

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