Das internationale Forschernetzwerk Cochrane ist für eine rigorose Überprüfung wissenschaftlicher Studien bekannt. Erstmals hat es sich nun mit Maßnahmen zur Luftreinhaltung befasst. Wie wirksam sind Tempolimits, Umweltzonen oder andere Regulierungen? Die Cochrane-Forscher Eva Rehfuess und Jacob Burns von der LMU in München haben mit der Süddeutschen Zeitung über die Ergebnisse gesprochen.
SZ: Mit dem strengen Blick der Cochrane-Autoren betrachtet: Haben Sie noch Zweifel an der Schädlichkeit der Luftverschmutzung für die Gesundheit?
Jacob Burns: Nein, da haben wir keine Zweifel. Über Jahrzehnte haben Tausende Studien die Schädlichkeit von Luftschadstoffen gezeigt. Vor allem Feinstaub ist problematisch. Er kann zu chronischen Atemwegs- und Herz-Kreislauf-Erkrankungen führen.
Damit scheint es ja außer Frage zu stehen, Schadstoffe zu reduzieren ...
Burns: Genau wie ein Anstieg in der Konzentration von Luftschadstoffen zu Gesundheitsschäden führt, führt eine Senkung der Konzentration zu einer Verbesserung der Gesundheit. Es war allerdings nicht klar, mit welchen Maßnahmen diese Ziele erreicht werden können. Das war der Ausgangspunkt unserer Arbeit.
Und welche Maßnahmen können Sie empfehlen?
Burns: Die Studien, die wir bewertet haben, zeigen größtenteils positive oder unklare Effekte. Allerdings untersuchten diese Studien unterschiedliche Luftschadstoffe an ganz unterschiedlichen Orten - und das auch noch mit verschiedenen Methoden. Wir können daher keine verallgemeinernden Schlüsse für oder gegen eine spezifische Maßnahme daraus ziehen. Das heißt aber nicht, dass wir uns gegen Maßnahmen aussprechen. Nur weil sich kein Effekt nachweisen lässt, heißt dies nicht, dass es keinen Effekt gibt.
Aber genau weiß niemand, was zum Beispiel die Umweltzonen eigentlich bringen?
Burns: In diesem Bereich haben wir etwas mehr Evidenz. Es gibt Studien aus deutschen Städten, auch aus München. Sie zeigen, dass nach der Einführung der Zonen die Luft besser geworden ist. Aber inwieweit die Gesundheit der Einwohner davon profitierte, können wir nicht sagen. Das wurde in den Studien nicht untersucht.
Die Wissenschaftsakademie Leopoldina schlug neulich unter anderem vor, die Spritpreise zu erhöhen, um den Verkehr zu reduzieren. Was ist davon zu halten?
Eva Rehfuess: Wir haben keine Studie zur Erhöhung des Spritpreises gefunden. Wir können natürlich mit allgemeiner Logik schlussfolgern: Wenn die Preisanhebung tatsächlich das Verkehrsaufkommen senkt, würden wir mit einer Verbesserung der Luftqualität rechnen. Es gibt ähnliche Maßnahmen, die wir in unserem Überblicksartikel untersucht haben, zum Beispiel Tempolimits oder die Einführung neuer Buslinien, wo diese Logik greift. Aber nicht bei allen Maßnahmen wurde tatsächlich eine Verbesserung beobachtet. Generell lässt sich sagen: Einzelmaßnahmen - wenn sie wirken - zeigen wahrscheinlich eher geringe Effekte bezüglich der Luftqualität und Gesundheit. Deshalb würden wir uns der Leopoldina anschließen, wenn sie sagt: Vor allem brauchen wir eine größere, umfassende Strategie.
Wie könnte die aussehen?
Rehfuess: Zunächst müsste man analysieren, welche Schadstoffe in einer Region oder einem Land das Problem sind und aus welchen Quellen sie stammen. Dann, welche der bekannten Maßnahmen sinnvoll sein könnten. Man kann auch auf Modellierungen zurückgreifen. Zum Beispiel gibt es bei den umstrittenen Dieselfahrverboten durchaus gute Modelle, mit denen man einen erwarteten Effekt berechnen könnte. Daraus kann man dann ein Paket zusammenstellen, das man in regelmäßigen Abständen überprüfen müsste.
Wie gut lässt sich ein solches umfassendes Paket begutachten?
Burns: Es wird schwierig, wenn man erst nach fünf oder zehn Jahren sagt, da müssten wir jetzt mal nachschauen, was das eigentlich gebracht hat. Deshalb sollte schon bei der Planung und Durchführung einer Maßnahme an ihre Evaluation gedacht werden. So bekommen wir robuste, einheitliche Studien. Es wird aber trotzdem nicht einfach. Es ist schon bei Einzelmaßnahmen schwer, deren Wirksamkeit von anderen Faktoren zu unterscheiden, die ebenfalls auf die Luftqualität einwirken. Das Wetter zum Beispiel, wirtschaftliche Entwicklungen oder das Fahrverhalten können die Luftverschmutzung beeinflussen - und sich noch dazu laufend ändern.
Wie müssten künftige Studien aussehen, um belastbarere Erkenntnisse zu ermöglichen?
Burns: Die Studienmethoden müssen besser werden. Wir brauchen vor allem längere Zeitläufe und eine bessere Auswahl der Städte oder Regionen, die zum Vergleich herangezogen werden. Wie bei einer klinischen Studie braucht man auch bei der Auswertung einer Intervention eine möglichst ähnliche Vergleichsgruppe. Aber wir sagen nicht, dass alle Studien schlecht waren. Viele Studien, vor allem die aktuelleren, sind gut gemacht.
Rehfuess: Das Forschungsfeld boomt. Es kommen regelmäßig neue und zunehmend sehr gute Studien heraus. Wir könnten eigentlich jetzt schon wieder beginnen, unseren Review zu aktualisieren.
Die WHO entwickelt gerade neue Leitlinien für Luftschadstoffe. Was erwarten Sie?
Rehfuess: Wir sind uns ziemlich sicher, dass die aktuell geltenden Grenzwerte nicht gelockert werden. Dazu gibt es gar keine Veranlassung. Gerade in den letzten Jahren hat sich noch deutlicher gezeigt, dass Feinstaub selbst bei sehr niedriger Konzentration noch negative gesundheitliche Auswirkungen hat. Es geht dabei eher um ein Abwägen: Wie viel lassen wir uns eine weitere Verbesserung der Gesundheit kosten, wie viel Einschränkungen unserer Bequemlichkeit nehmen wir hin? Aber gerade beim Feinstaub gibt es keinen wirklich sicheren Grenzwert.