Masern-Epidemie in Berlin:Impfskepsis ist der Grund für den Ausbruch

Für Wolfram Hartmann ist das alles Leid, das sich so leicht verhindern ließe. Der Präsident des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte ärgert sich seit Langem über den fehlenden politischen Willen für eine Impfpflicht. Eltern müssten ihre Kinder im Auto schließlich auch anschnallen. "Eltern in Deutschland haben immer noch das Recht, ihren Kindern den Impfschutz vorzuenthalten", sagt er. Das sei ein "unhaltbarer Zustand". Die Eltern gefährdeten nicht nur ihre eigenen Kindern, sondern auch solche Kinder, die aus medizinischen Gründen nicht geimpft werden könnten. Eine Impfpflicht fordert der Freiburger Infektiologe Philipp Henneke nicht, allerdings ein "Grundrecht auf Impfung".

Das hätte nach den Vorstellungen der Weltgesundheitsorganisation in Deutschland längst passieren sollen. Zunächst war 2010 als Deadline für die Masern vorgesehen, dann 2015. Dass auch dieser Plan perdu ist, zeigt schon das Beispiel Berlin, wo es derzeit mit 574 Masern-Fällen mehr gibt als bundesweit im gesamten Jahr 2014.

Der Grund ist Impfskepsis. Manche Menschen fürchten Impfungen inzwischen mehr als die Krankheiten, vor denen sie schützen sollen. Aus Sicht von Fachleuten ein fataler Trugschluss. Dass manche Eltern sogar "Masern-Partys" veranstalten, damit ihre Kinder erkranken, kann Henneke nicht verstehen: "So ein Verhalten kommt für mich einer Körperverletzung gleich."

"Viele Erwachsene, die die Masern durchgemacht haben, verklären sie"

Dass manche Leute Impfungen aus Sorge um ihre Kinder ablehnen, ist aus Sicht der Experten unbegründet. "Die Nebenwirkungen sind minimal", sagt Henneke. "Es gibt häufig eine lokale Reaktion an der Einstichstelle. Und in jedem hundertsten Fall kommt es zu Impfmasern, die aber nicht ansteckend sind und immer einen leichten Verlauf nehmen." Das alles sei kein Vergleich mit der Gefahr durch echte Masern, meint auch der Münchner Arzt Hübner.

Manche Eltern sind der Meinung, es tue ihren Kindern gut, wenn sie die Krankheit durchmachen. Sie haben Sorgen, dass sie dem Kind durch die Impfung eine wichtige Entwicklungsmöglichkeit nehmen. Die Sorge sei unbegründet, beruhigt Philipp Henneke: Das Immunsystem habe auch mit den Impfungen und den übrigen Keimen genug zu tun. Es werde dadurch genauso geschult wie durch schwere Krankheiten.

"Viele Erwachsene, die die Masern durchgemacht haben, verklären sie", sagt der Infektiologe. Es bleibt im Gedächtnis, dass sich die Familie besonders liebevoll um ein so krankes Kind kümmert. Wer an den Masern gestorben ist oder schwere Behinderungen davongetragen hat, kann dagegen nicht davon erzählen. "Und weil die Masern so selten geworden sind, kennt auch kaum noch jemand solche Fälle", sagt Henneke. Für ihn steht fest: "Impfstoffe sind eine Basis-Errungenschaft der modernen Medizin. Sie sollten so selbstverständlich sein wie die Wund-Desinfektion oder steriles Operations-Besteck."

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