Schon der Name lässt darauf schließen: Erkältungen haben etwas mit der kalten Jahreszeit zu tun. Im Winter häufen sie sich massiv - wie auch aktuell zu sehen ist. Das gilt für herkömmliche Corona- und Rhinoviren ebenso wie für Sars-CoV-2 und Grippeerreger. Über einen möglichen biologischen Grund, warum es solche Viren im Winter leichter haben könnten, berichten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler im Journal of Allergy and Clinical Immunology. Eine Abkühlung der Nasenhöhle schwächt demnach Mechanismen, mit denen die Nasenschleimhaut den Körper vor viralen Erkältungserregern schützt. Eine besonders große Rolle spielt der Effekt einem Experten zufolge allerdings nicht.
Bekannt sind bisher vor allem Faktoren, die mit physikalischen Merkmalen und dem Verhalten von Menschen zusammenhängen: Im Winter hält man sich mehr in Innenräumen auf, wo von Kranken freigesetzte Viren anders als im Freien höher konzentriert bleiben, wie der Immunologe Percy Knolle vom Klinikum rechts der Isar der Technischen Universität München erklärt. Zudem werde in der kalten Jahreszeit seltener gelüftet. Draußen wiederum sei die UV-Einstrahlung der Sonne wesentlich geringer als im Sommer. "UV-Licht ist für Viren das kritischste, sie werden dadurch inaktiviert."
Experten nehmen zudem an, dass auch körpereigene Mechanismen eine Rolle spielen. Das Team um Benjamin Bleier von der Harvard Medical School hat nun einen solchen Faktor ausgemacht: die sogenannten extrazellulären Vesikel (EV), von denen bei kühleren Temperaturen weniger ausgeschüttet würden. Dass Zellen in der Nase bei Kontakt mit bakteriellen Erregern massenhaft solche winzigen Partikel mit antibakteriellen Eigenschaften in den Nasenschleim ausstoßen, hatte eine Gruppe um Bleier bereits 2019 berichtet. Nun klärten die Forscher, dass auch bei Kontakt zu viralen Erregern wie Rhino- oder Coronaviren Milliarden solcher Partikel ausgeschüttet werden.
Die Forscher ermittelten, wie sich Nasen abkühlen und der Immunschutz sinkt
"Bei vielen Atemwegsviren startet die Infektion in der Nasenhöhle, die die erste Region des Kontakts zu eingeatmeten Erregern darstellt und die sehr empfindlich auf Änderungen der Umgebungstemperatur reagiert", schreibt die Gruppe. Für zwei Rhinoviren (RV-1B und RV-16) und ein Coronavirus (HCoV-OC43) prüfte sie, wie die Temperatur die Reaktion der Nasenschleimhaut - speziell die EV-Ausschüttung - beeinflusst.
Bei einem Absenken der Raumtemperatur auf 4,4 Grad sank die Temperatur in der Nasenhöhle nach 15 Minuten von 37 auf etwa 32 Grad, wie die Forscher berichten. Die Zahl ausgeschütteter EVs sei im Zuge dessen um fast die Hälfte (42 Prozent) gesunken. Zudem hätten die antiviralen Eigenschaften ihrer Inhaltsstoffe gelitten. Kälte könne einen Organismus auf diesem Weg anfälliger für Infektionen machen, schließen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler.
Der Münchner Immunologe Percy Knolle, der nicht an der Analyse beteiligt war, sieht in dem Mechanismus keinen maßgeblichen Faktor für das Winter-Hoch von Atemwegskrankheiten. Der Versuchsansatz sei interessant - andere Faktoren aber wohl viel entscheidender, sagte er. So sei ein Rückgang um etwa die Hälfte nicht viel, wenn es um Viren gehe. "Da dürfen für eine deutliche Auswirkung nur noch Hundertstel oder Tausendstel übrig sein."
Zudem sei ein Aspekt vollkommen vergessen worden: "Auch das Virus hat mit der Kälte zu kämpfen." Nicht nur die Prozesse in der Nasenschleimhaut des Wirtes, sondern auch die Prozesse der Infektion liefen langsamer ab, erklärte Knolle. "Das wurde in der Studie gar nicht berücksichtigt." Es müsse niemand befürchten, wegen weniger ausgeschütteter Vesikeln in einer im Zuge der Energiekrise weniger geheizten Wohnung häufiger erkältet zu sein.