Ebola in Westafrika:Tödlicher Aberglaube

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So sieht ein Ebola-Virus unter dem Elektronenmikroskop aus. (Foto: dpa)

Sie verstecken Angehörige und fürchten sich vor Ärzten: Weil viele Westafrikaner Ebola als Fluch statt als Krankheit betrachten, kann sich das Virus ungehindert ausbreiten. Die Regierungen der betroffenen Staaten tragen kaum zur Aufklärung bei - im Gegenteil.

Von Tobias Zick, Nairobi

Auf einmal geben sie sich zupackend in Sierra Leone. Wer einem Ebola-Kranken Unterschlupf gewähre und ihn vor den Ärzten verstecke, warnt die Regierung in harschen Worten, der begehe eine "schwere Straftat". Immerhin, der Ton wird schärfer, es ist ein Signal der Entschlossenheit.

Sierra Leone ist eines der drei Länder in Westafrika, in denen das tückische Ebola-Virus wütet. Und bisher hat die Regierung heillos überfordert auf die grenzüberschreitende Epidemie reagiert.

Denn inzwischen breitet sich der Ebola-Erreger nach Einschätzung der Weltgesundheitsorganisation WHO in drei Ländern im Westen Afrikas aus, zum ersten Mal in seiner Geschichte: in Guinea, in Liberia und eben in Sierra Leone. Und daran hat nicht allein die tödliche Raffinesse des Virus ihren Anteil, sondern auch die Art und Weise, wie Behörden und Bevölkerung in allen drei Staaten mit der Gefahr umgehen.

Die rasante Zunahme der Fälle in jüngster Zeit, sagt der Ebola-Spezialist der WHO, Pierre Formenty, sei auch der Tatsache geschuldet, dass die Behörden in den betroffenen Ländern im April glaubten, das Virus besiegt zu haben, und im Kampf gegen den Erreger voreilig locker ließen. Doch das Virus kam zurück: "Ein einziger Fall", sagt Formenty, "kann eine ganze Epidemie aufflammen lassen."

Dabei hatten die staatlichen Behörden durchaus gute Absichten erkennen lassen: In Guinea, von wo aus die Epidemie Ende März auf die Nachbarländer übergriff, hatte die Regierung im Radio und im Fernsehen eine Aufklärungskampagne gestartet. Sie warnte die trauernden Angehörigen davor, die Ebola-Toten vor der Bestattung zu waschen oder gar, wie es in Guinea ein Ritual ist, die Verstorbenen noch einmal zu umarmen - weil so das Virus leicht übertragen werden kann.

Viele Bürger misstrauen den Behörden

Doch die Traditionen sind stark, und das Misstrauen ist groß in Guinea gegen die Botschaften der Behörden in der fernen Hauptstadt. Und noch größer wird das Misstrauen, wenn diese merkwürdigen Vorschriften von Ausländern kommen, die in weißen Ganzkörperanzügen und mit Schutzbrillen wie Außerirdische in die Dörfer kommen.

Mediziner, die mit der Organisation "Ärzte ohne Grenzen" in die Krankheitsgebiete reisen, berichten, dass ihnen meist große Skepsis entgegenschlägt - und das nicht nur fernab der Städte. Oft verstecken Angehörige die Kranken. Die simplen Maßnahmen zur Eindämmung von Ebola - Isolation der Infizierten, kontrollierte Bestattungen - werden so unmöglich.

(Foto: N/A)

In der Stadt Kenema, wo die Epidemie in Sierra Leone derzeit am stärksten wütet, haben mehrere Patienten einfach die Klinik wieder verlassen, offenbar weil sie den Ärzten misstrauen. In dem Dorf Sadialu steckten wütende Anwohner sogar ein Behandlungszentrum in Brand. Zuvor hatte sich das Gerücht verbreitet, dass die dort verabreichten Medikamente die Krankheit erst auslösen würden.

In der Tat muss den Menschen die mysteriöse Krankheit wie ein Fluch vorkommen, der von außen auf sie gekommen ist. Denn bisher war das Ebola-Virus nur in anderen, weit entfernten Teilen Afrikas aufgetreten, im Kongo, im Sudan, in Uganda, in Gabun. Nie aber im Westen des Kontinents. Entsprechend unvorbereitet waren Behörden und Menschen.

Im bitterarmen Liberia sagte ein Mitarbeiter der Gesundheitsbehörde der Nachrichtenagentur AFP, dass die Regierung noch immer keine Aufklärungsmaßnahmen für die Bevölkerung plane, die mehrheitlich weder lesen noch schreiben kann. Man habe schlicht kein Budget dafür. Und in Guinea haben die Behörden eine laufende Aufklärungskampagne in Radio und Fernsehen vor Wochen wieder eingestellt, warum auch immer. Kontrollen an Verkehrsknotenpunkten wie Bahnhöfen oder dem internationalen Flughafen der Hauptstadt Conakry gibt es kaum.

Auch unter Medizinern wächst die Wut auf die Regierung

Im Land wächst inzwischen die Wut auf die Regierung. Ihr wird Versagen und Vertuschung vorgeworfen. "Sie haben solche Lügen verbreitet: Ebola sei unter Kontrolle, Ebola sei Vergangenheit", schimpft ein Arzt aus Conakry, "durch Schuld unserer Regierung hat sich die Krankheit ins Innere des Landes ausgebreitet." Ein anderer Mediziner fügt hinzu: "Wir wissen alle heute, dass die Regierung ihre Interessen wahrt und vermeidet, der Bevölkerung die Wahrheit zu sagen, um die Investoren nicht zu vertreiben."

Tatsächlich hat Präsident Alpha Condé bislang immer wieder abgewiegelt. Bei einem Besuch bei der Weltgesundheitsorganisation in Genf hatte er Anfang April die staunenden WHO-Experten wissen lassen, dass die Situation "im Moment" unter Kontrolle sei. "Wir klopfen auf Holz, dass es keine neuen Fälle gibt." Da hat er sich offenkundig schwer getäuscht.

Nur einige Tage nach seinem Auftritt in Genf empfing Condé daheim in Conakry mehrere Staatschefs aus der Region zu einem Treffen und dankte ihnen für ihr Kommen - "trotz des ganzen Lärms um Ebola". Und als nun "Ärzte ohne Grenzen" warnten, dass die Situation in seinem Land "außer Kontrolle" geraten sei, kritisierte er als Erstes lieber die Organisation mit den Worten, deren Verhalten sei "nicht immer perfekt", als neue Schritte gegen das Virus anzukündigen.

Weil das Virus auf weitere Länder der Region überzuspringen droht, hat die Weltgesundheitsorganisation aber jetzt offenkundig genug. Sie fordert "drastische Maßnahmen" und hat zur Wochenmitte eine Konferenz aller Gesundheitsminister der Region einberufen - in Accra, der Hauptstadt des westafrikanischen Nachbarlandes Ghana. Das ist bis jetzt von Ebola-Ausbrüchen verschont geblieben. Noch.

© SZ vom 01.07.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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