Sicherheitschef Alex Stamos geht:Facebooks Frühwarnsystem schaltet sich selbst ab

Alex Stamos, Chief Security Officer for Facebook, speaks at the NYU Center for Cyber Security in New York

Sicherheitschef Alex Stamos verlässt Facebook und wird künftig in Stanford forschen und lehren.

(Foto: REUTERS)
  • Facebooks Sicherheitschef Alex Stamos wechselt an die Stanford-Universität.
  • Er hat sich immer für die Belange der Nutzer eingesetzt und wollte die mutmaßlich russische Desinformations-Kampagne früher und deutlicher öffentlich machen.
  • Als er seinen vorherigen Job bei Yahoo kündigte, protestierte er damit gegen massive Datenschutzverletzungen.

Von Simon Hurtz

Wenn Bergleute früher unter die Erde gingen, nahmen sie oft Kanarienvögel mit. Sobald diese aufhörten zu zwitschern, wussten die Arbeiter: Die Kohlenmonoxid-Konzentration erreicht bald eine kritische Schwelle, wir sollten schnell wieder an die frische Luft.

Kanarienvögel sind also ein tierisches Frühwarnsystem - und Alex Stamos ist ein menschgewordener Kanarienvogel. So beschreibt ihn zumindest Paul Carr, Chefredakteur des Tech-Portals Pando: "Es ist richtig zu sagen, dass Stamos ein hochrangiger Facebook-Angestellter ist, aber er ist noch etwas anderes: der Kanarienvogel in der Kohlemine." Sollte Stamos Facebook eines Tages verlassen, dann sollten Nutzer das zum Anlass nehmen, "Daten in möglichst großen Sicherheitsabstand zu Zuckerbergs Servern zu bringen." Jetzt ist es soweit.

Drei Jahre war Alex Stamos bei Facebook für Sicherheit zuständig. Der 17. August wird sein letzter Arbeitstag sein. Von September an lehrt und forscht er an der Stanford-Universität. Das verkündete er am Mittwochabend, selbstverständlich auf Facebook.

Sollten Nutzer nun also das Weite suchen, wie es Carr empfohlen hatte? Zu dieser Sichtweise hat vor allem Stamos' Abschied von seinem früheren Arbeitgeber beigetragen. Bevor er als Sicherheitschef bei Facebook anheuerte, war er in gleicher Funktion für Yahoo tätig. Erst lange nach seinem Wechsel wurde der wahre Grund für den Abschied bekannt: Stamos hatte aus Protest gekündigt, weil Yahoo US-Geheimdiensten Zugriff auf die E-Mails seiner Nutzer gab. Immer wieder hatte er sich auch öffentlich gegen die Massenüberwachung der NSA ausgesprochen.

Stamos ist ein ungewöhnlicher Facebook-Angestellter. Im Gegensatz zu anderen leitenden Angestellten äußert er sich regelmäßig öffentlich und spart dabei nicht an Selbstkritik. Er lässt sich auf Diskussionen ein und diskutiert auf Twitter mit Journalisten. Das weicht von Facebooks gewohntem Kurs ab, nur selten mit Medien zu sprechen und höchstens vorformulierte Statements per Pressemitteilung zu verschicken.

Stamos wollte die mutmaßlich russischen Manipulationsversuche benennen

Mehr Offenheit soll er sich auch von seinen Chefs bei Facebook gewünscht haben. Er habe sich dafür eingesetzt, die mutmaßlich russische Desinformationskampagne im US-Wahlkampf früher und deutlicher öffentlich zu benennen, schrieb die New York Times im März. Stamos' bevorstehender Rücktritt zeige die Spannungen in der Führungsetage des Unternehmens.

Demnach habe die Sicherheitsabteilung offenlegen wollen, wie staatliche Akteure Facebook zur politischen Einflussnahme missbrauchten. Aber insbesondere die Rechts- und Policy-Teams hätten vor allem wirtschaftliche Fragen im Blick gehabt. "Die Leute, deren Job es ist, die Nutzer zu schützen, führen einen nahezu aussichtslosen Kampf gegen die Leute, deren Job es ist, Geld für das Unternehmen zu verdienen", sagte der ehemalige Facebook-Manager Sandy Parakilas der Zeitung.

Wenige Tage nach dem Bericht der New York Times verschickte Stamos eine interne Nachricht an seine Facebook-Kollegen, die Buzzfeed vergangene Woche öffentlich machte. Er habe "leidenschaftliche Diskussionen" mit anderen Angestellten geführt und sei nicht mit allen Kompromissen einverstanden gewesen. In einer Zeit, in der sich die "Cyberwar-Titanen", also Staaten und Geheimdienste, bekriegten, müssten große Plattformen wie Facebook die Öffentlichkeit an ihren Erkenntnissen teilhaben lassen, wenn sie Manipulation und bösartige Einflussnahme feststellten.

Die Aussagen des Sicherheitschefs stehen in Kontrast zu Facebooks Vorgehen

Das sei aber nicht der alleinige Grund für seinen Abschied, schreibt Stamos weiter. Er habe das Sicherheitsteam neu ausrichten wollen, um für die anstehenden US-Kongresswahlen gerüstet zu sein. Die neue Struktur entspreche nicht seinen Vorstellungen, und er glaube nicht, dass er seinen Job in seiner neuen Rolle richtig erledigen könne.

Zugleich ist Samos sauer auf die Medien. Er beschuldigt viele von ihnen, ihn fälschlicherweise zum Helden zum stilisieren. Als Sicherheitschef müsse man ihm die Fehler, die Facebook während des US-Wahlkampfs begangen habe, mindestens genauso anlasten wie anderen Managern. Mindestens eine Person habe Interna an die Presse weitergegeben und falsche Anschuldigungen verbreitet. Das sei nur geschehen, um Sandberg zu schaden. Er wolle nicht zur Projektionsfläche der Medien werden, die als Grund seines Abgangs ein Zerwürfnis sehen wollten, um Facebook schlecht dastehen zu lassen.

Dennoch enthält seine Nachricht mehrere bemerkenswerte Sätze, die in scharfem Kontrast zu Facebooks Vorgehen stehen:

Stamos sagt: "Wir müssen unseren Nutzern Ehrlichkeit und Respekt vermitteln, statt Leute dazu zu bringen, "Ja" zu klicken, um uns mehr Zugriffsrechte einzuräumen."

Facebooks Vorgehen: Im Rahmen der neuen europäischen Datenschutzregeln (DSGVO) habe Facebook mit "irreführenden Formulierungen und manipulativer Dialogführung" versucht, möglichst viele Nutzer auszutricksen, sagt der Wiener Privacy-Forscher und Netzaktivist Wolfie Christl.

Stamos sagt: "Wir müssen Daten bewusst nicht sammeln, wenn das möglich ist, und sie nur so lange aufbewahren, wie sie den Leuten dienen."

Facebooks Vorgehen: Facebook sammelt viel mehr Daten, als die meisten Nutzer ahnen, und speicherte etwa jahrelang den Anruf- und SMS-Verläufe von bestimmten Android-Nutzern. Selbst Mark Zuckerberg hat den Überblick verloren, welche Daten Facebook erhebt und welche Informationen Nutzer herunterladen und kontrollieren können.

Stamos sagt: "Wir müssen Leuten zuhören (auch intern), wenn sie uns sagen, dass eine Funktion gruselig ist oder auf negative Auswirkungen hinweisen, die wir auf der Welt haben."

Facebooks Vorgehen: Die Vereinten Nationen kritisierten, dass bösartige Falschnachrichten, die in Myanmar über Facebook verbreitet wurden, zu Lynchmobs und Gewalt führten. "Facebook ist zu einer Bestie geworden", sagte die UN-Sonderberichterstatterin Yanghee Lee. Auch in zahlreichen anderen Ländern wie Indien, Kenia oder Brasilien werden Facebook und Whatsapp genutzt, um Hass zu säen und Konflikte zu schüren. Facebook hat nur zögerlich auf die Vorwürfe reagiert und nach Monaten neue Funktionen eingeführt, um die negativen Folgen abzumildern.

Stamos sagt: "Wir müssen bereit sein, Partei zu ergreifen, wenn es um klare moralische oder humanitäre Fragen geht."

Facebooks Vorgehen: Mitte Juli hat Mark Zuckerberg erklärt, warum Facebook Holocaustleugnung seiner Meinung nach nicht löschen sollte (das gilt allerdings nicht für Deutschland, da die Leugnung der Verbrechen der Nazis hierzulande eine Straftat ist). Auch das Portal Infowars, das in den USA regelmäßig Verschwörungstheorien verbreitet, darf ungestört weiter hetzen.

Stamos sagt: "Wir müssen offen, ehrlich und transparent mit Herausforderungen umgehen und sagen, was wir tun, um sie zu meistern."

Facebooks Vorgehen: Kaum jemand fährt bei Entschuldigungen eine derart konsequente Salamitaktik wie Facebook. Das Prinzip ist immer dasselbe: Wie beim Cambridge-Analytica-Skandal reagiert das Unternehmen nur auf Presseberichte, statt selbst Fehler einzugestehen, die noch nicht bekannt sind. Dann wird zugegeben, was bereits bekannt ist. Anschließend folgt eine halbherzige Entschuldigung, verbunden mit dem Versprechen, es künftig besser zu machen.

Stamos' Abgang ist kein potenziell lebensbedrohliches Signal, wie der Kanarienvogel, der im Bergwerk aufhört zu singen. Bedauerlich ist er für Nutzer aber allemal: Das Unternehmen verliert einen Angestellten, der sich konsequent für die Sicherheit der Nutzer eingesetzt und deren Interessen im Zweifel höher bewertet hat als die der Werbekunden, notfalls gegen den Widerstand vieler anderer im Konzern. Man muss Carr nicht folgen und seine Daten von Zuckerbergs Servern abziehen - aber zweimal zu überlegen, welche Informationen man mit Facebook teilen will, ist in jedem Fall eine gute Idee.

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