Das wirkt nur auf den ersten Blick schlauer als das Publikum in der Serie. Denn zu suggerieren, man könne das Internet verstehen, ist natürlich Unsinn. Es ist wie die Behauptung, die Weltformel gefunden zu haben: eine schöne Vorstellung, aber wenig glaubhaft. Das Internet ist Bestandteil der Gesellschaft und wie diese ständig in Bewegung. Es geht beim "Internet verstehen" vermutlich am ehesten darum, dem gesellschaftlichen Wandel zu folgen.
Dabei hilft das Bild des New Yorker Autors Douglas Rushkoff, der das notwendige Wissen im Umgang mit dem Digitalen mal mit der Kenntnis übers Auto verglichen hat: Natürlich sollten digitale Bürgerinnen und Bürger wissen, wo die Motorhaube ist, wie man tankt und vor allem, wie man ein Auto fährt. Die Grundzüge der Maschine Internet sind wichtig; um aber "das Internet" zu verstehen, braucht es auch ein Wissen darüber, wie und vor allem wohin das Auto fährt. Dafür muss nicht das ganze Land aus Automechanikern bestehen. Es reicht aber auch nicht, sich darauf zu verlassen, dass man beim kleinsten Problem zu Moss und Roy in den Keller laufen kann. Diese Form der digitalen Aufklärung ist schon aus Eigeninteresse ratsam, damit man nicht davon abhängig ist, dass jemand anders die Richtung vorgibt und steuert.
Vieles von dem, was in der Debatte in den Kasten "Internet" gesteckt wird, bezieht sich korrekterweise eher auf das World Wide Web - also auf die vermutlich bekannteste Anwendung, die auf der Infrastruktur Internet basiert. Wenn junge Menschen zum Beispiel auf der Videoplattform YouTube einen Clip gegen die CDU veröffentlichen, dann findet all das im Web statt. Das World Wide Web, das maßgeblich von dem britischen Forscher Tim Berners-Lee entwickelt wurde, ist viel jünger als das Internet. Es feiert in diesem Jahr aber auch ein Jubiläum. Es ist 30 Jahre her, dass Berners-Lee am Forschungsinstitut Cern in Genf erste Ideen fürs World Wide Web vorstellte. Als grundlegende Infrastruktur zählen zum Internet darüber hinaus aber auch Anwendungen wie Mail oder der Dienst FTP zum Datenaustausch.
Man sollte von "dem Internet" mit der gleichen Vorsicht sprechen wie von "der Gesellschaft"
Das ist nicht ganz unbedeutend in einer Zeit, in der manche Menschen glauben, Google oder Facebook seien das Internet. Dabei handelt es sich zwar um äußerst dominante Akteure, aber das Internet ist viel größer und viel umfassender. Deshalb sollte man von "dem Internet" am besten mit der gleichen Vorsicht sprechen, wie man es von "der Gesellschaft" tun sollte. Denn beide sind so facettenreich, dass das Bild dessen, was man für "das Internet" oder "die Gesellschaft" hält, stets auch von der eigenen Perspektive abhängt.
In dieser Woche scheint sich diese Perspektive vieler Menschen nicht nur im politischen Berlin grundlegend verändert zu haben. Der Berliner Kulturwissenschaftler und Publizist Michael Seemann twitterte jedenfalls: "Ich habe das Gefühl, dass endlich der digitale Weckruf in Politik und Gesellschaft passiert ist, auf den ich seit ungefähr zehn Jahren warte." Das liegt vor allem daran, dass das Internet nun in der Währung greifbar ist, die auf der analogen Seite des Grabens Bedeutung hat. Das sind in der Wirtschaft Verkaufszahlen und Umsätze, weshalb diese Entwicklung hier schon seit einer gefühlten Ewigkeit sehr ernsthaft läuft.
In der Politik sind es Wählerstimmen und Zustimmungswerte, und deren Verlust führt zu einer Verunsicherung in den Parteizentralen, die in den dünnhäutigen Reaktionen zahlreicher Politikerinnen und Politiker sichtbar wird, die den jungen Menschen, die sie nicht wählen wollen, tatsächlich raten, doch erstmal erwachsen zu werden. Das ist sicher noch nicht der digitale Weckruf, zeigt aber, welche Herausforderung "das Internet" der Gesellschaft aufbürdet: den Generationenkonflikt zu bewältigen, der an den Rändern des digitalen Grabens aufbricht.
Neue Technologien machten Generationenkonflikte schon immer sichtbar
Dass eine Technologie einen solchen Generationenkonflikt auslöst, ist übrigens nichts Ungewöhnliches und historisch weit weniger beunruhigend, als es manche vielleicht gerade empfinden. Schon vor 30 Jahren hat der Science-Fiction-Autor Douglas Adams eine historische Konstante im Umgang mit technologischen Neuerungen formuliert: Egal, ob es um die Erfindung des Rades, des Telefons oder des Fernsehens ging, stets wurde ein Generationenkonflikt sichtbar, der auch jetzt sichtbar wird.
Adams schreibt, dass wir all das für völlig normal halten, was zu dem Zeitpunkt existiert, an dem wir geboren werden. Die Menschen neigen dazu, die Welt, in der sie aufwachsen, für den menschheitshistorischen Standard zu halten, der sie und ihre Perspektive auf die Welt im weiteren Verlauf ihres Lebens prägt. Deshalb halten wir diejenigen Innovationen, die realisiert werden, bis wir etwa 30 Jahre alt werden, für äußerst spannend und interessant. Wir glauben sogar, dass wir mit ihrer Hilfe neue Jobs finden oder Karriere machen können.
Diejenigen Neuerungen jedoch, die auf die Welt kommen, nachdem wir gesellschaftlich angekommen - also über 30 Jahre alt - sind, hält die Menschheit seit jeher für einen Beweis für den Niedergang der Kultur und für einen Angriff auf die natürliche Ordnung der Dinge. Man kann das historisch in erstaunlichen Abwehrreaktionen gegen Technologien beobachten, die oft schon eine Generation später als völlig normal angesehen werden: das Automobil, die Eisenbahn und sogar die Druckerpresse durchliefen allesamt Bewertungskreisläufe, die durchaus bekannt erscheinen.
Digitale Demenz ist die moderne Lesesucht
Vor der Beschleunigung des menschlichen Körpers in einer Dampflok warnten die Pessimisten der Vergangenheit auf eine Art und Weise, die stark an die derzeitigen Warnungen vor digitaler Demenz erinnert: Das schnelle Fahren in der Eisenbahn habe schwerwiegende Folgen für das menschliche Hirn. Und nachdem die Druckerpresse dafür sorgte, dass Informationen schneller und ausführlicher als per Handschrift vervielfältigt werden konnten, war die Klage zu hören, dass nun viel zu viel Unsinn veröffentlicht würde, der bei manchen Menschen gar zu Lesesucht führen würde.
Die Marktforschungsagentur Gartner hat für diese Abläufe einen so genannten Hype-Zyklus entwickelt, der den Umgang mit Neuerungen in fünf Phasen einteilt, die wie ein von Kinderhand gezeichneter Berg aussehen, der immer wieder bezwungen werden muss, bevor eine Innovation gesellschaftlich voll akzeptiert ist. Der Aufstieg beginnt mit einem technischen Auslöser (1), der Weg führt dann über den Gipfel der überzogenen Erwartungen (2), durch ein Tal der Enttäuschungen (3) und über einen Pfad der Erleuchtung (4) zu einem Plateau der Produktivität (5). Diese fünfte Phase wäre ein schönes Ziel, um den digitalen Generationenkonflikt zu schlichten. Sie zeichnet sich durch einen pragmatischen Umgang mit dem Neuen aus, in dem der technische Auslöser so selbstverständlich genutzt wird, dass er gar nicht mehr erwähnt wird.