Angebliche Scheinselbständigkeit:IG Metall sagt Youtube den Kampf an

Sprave IG Metall Youtube

In einem Video haben die Zweite Vorsitzende der IG Metall, Christiane Benner (links), und der Youtuber Jörg Sprave Youtube dazu aufgefordert, bessere Arbeitsbedingungen auf der Plattform zu schaffen.

(Foto: Screenshot / Youtube)
  • Youtube soll der IG Metall zufolge gegen die persönlichen Datenschutzrechte von Youtubern verstoßen und sie in arbeitnehmerähnliche Verhältnisse drängen.
  • Die Gewerkschaft will gemeinsam mit der Bewegung "Youtubers Union" bessere Arbeitsbedingungen und transparentere Regeln auf der Videoplattform erstreiten.
  • Sollte Youtube nicht mit der IG Metall verhandeln, droht diese, die Vorwürfe gerichtlich prüfen zu lassen

Von Caspar von Au

Ungewöhnliche Videos gibt es auf einer Plattform viele, auf der an jedem Tag mehr als 82 Jahre an Videomaterial hochgeladen werden. Dennoch sticht der 13 Minuten lange Film mit dem Titel "Achtung Youtube: Die Frist läuft" hervor, den Jörg Sprave am Freitagvormittag hochgeladen hat.

Alle drei Protagonisten des Videos sind älter als die typische Youtuber-Zielgruppe. Neben dem Youtuber Sprave, der etwa zwei Millionen Abonnenten auf Youtube hat, stehen Christiane Benner, Zweite Vorsitzende der IG Metall, und Rechtsanwalt Thomas Klebe, Leiter des Hugo Sinzheimer Instituts für Arbeitsrecht. Sie stehen an einem Tisch vor einer senfgelben Wand in der Zentrale der Gewerkschaft in Frankfurt. Sie sind business casual gekleidet und lesen ihre Statements von Zetteln ab. Ohne die für Youtube typischen schnellen Schnitte und hektischen Kamerabewegungen erinnert das Video eher an das Telekolleg der Öffentlich-Rechtlichen aus den Achtzigern. Aber Sprave, Benner und Klebe geht es um eine klare Botschaft: Europas größte Gewerkschaft sagt der größten Videoplattform der Welt den Kampf an - und droht ihr damit, von Gerichten prüfen zu lassen, ob Youtuber scheinselbständig sind und ob die Plattform gegen die Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) verstößt.

Bereits am Montag hatte die IG Metall angekündigt, künftig mit Spraves "Youtubers Union" zusammenzuarbeiten, um bessere Arbeitsbedingungen für Youtuber zu erstreiten. Der 54-Jährige hat auf Youtube mit Videos Bekanntheit erlangt, in denen er Luftgewehre für Bleistifte baut oder mithilfe von Colaflaschen Pfeile verschießt. Doch er ist schon länger nicht mehr glücklich auf der Plattform, im Video mit der IG Metall bezeichnet Sprave den Beruf des Youtubers als "Albtraumjob". Er kritisiert, Youtube würde werbefreundliche Inhalte und Künstler bevorzugen und von heute auf morgen Regeln ändern, auf die sich dann alle Videomacher einstellen müssten. Außerdem lösche das Unternehmen willkürlich Videos und Kanäle. Damit gefährde es die Existenz von Tausenden.

IG Metall und "Youtubers Union" haben fünf Forderungen

Die von Sprave im März 2018 gegründete "Youtubers Union", eine Bewegung in Form einer Facebook-Gruppe, hat mittlerweile mehr als 15 000 Mitglieder. Die Union fordert unter anderem, dass Youtube transparenter mit seinen sogenannten Partnern kommuniziert. Mitglieder des Partnerprogramms haben die Möglichkeit, über Youtube Geld zu verdienen, indem sie vor ihre Videos Werbeclips schalten. Allerdings, so der Vorwurf der Union und nun auch der IG Metall, sei es keine Partnerschaft auf Augenhöhe. Im vergangenen Jahr traf sich Sprave mehrmals mit Verantwortlichen bei Youtube, die Mitglieder der Union streikten sogar für ihre Forderungen, indem sie ihre Videos zeitweise auf anderen Plattformen hochluden - bislang ohne Erfolg.

Auch die IG Metall setzt sich seit einigen Jahren für bessere Arbeitsbedingungen sogenannter Crowdworker ein - Menschen, die über Crowdsourcing-Plattformen Geld verdienen, indem sie beispielsweise Texte erstellen oder Daten kategorisieren. Unter anderem arbeitet die Gewerkschaft an einem Verhaltenskodex mit, dem sich neun Plattformen wie zum Beispiel Clickworker freiwillig verpflichtet haben. Außerdem hat sie die Einrichtung einer Ombudsstelle verantwortet, an die sich Crowdworker bei Konflikten melden können.

Verglichen mit Youtube sind die Plattformen winzig, die den "Code of Conduct" unterzeichnet haben. Nun knöpft sich die IG Metall den ersten der großen Internet-Konzerne vor: "Achtung Youtube! Jetzt geht's los", warnt Sprave gleich zu Beginn des Videos. Er und Benner nennen fünf Forderungen: Youtube solle seinen Nutzern vollständig offenlegen, nach welchen Regeln Bots und Mitarbeiter Videos löschen oder freigeben, wofür es auch klarere Regeln brauche. Außerdem fordern Gewerkschaft und "Youtubers Union" menschliche Ansprechpartner statt automatisierte Antworten bei Problemen, eine unabhängige Schlichtungsstelle und einen Youtuber-Beirat, der bei Veränderungen auf der Plattform mitreden können soll.

Arbeitsrechtlerin Oechslen: Scheinselbständigkeit juristisch nicht gegeben

Aufhorchen dürften Verantwortliche des Unternehmens aber vor allem während der anschließenden Sequenz. Sollte sich Youtube binnen vier Wochen nicht mit der IG Metall an einen Verhandlungstisch zu setzen, droht die Gewerkschaft der Plattform in zwei Punkten mit rechtlichen Verfahren: Zum einen werde sie dann prüfen lassen, ob Youtube gegen die DSGVO verstößt, indem sie den Nutzern Informationen darüber vorenthält, in welche Kategorien sie ihre Videos einstuft. Zum Beispiel, ob die Plattform ein Video für familienfreundlich hält oder nicht. Zum anderen könnten nach Ansicht der IG-Metall- Juristen Youtube-Partner im besonderen Maße abhängig von der Plattform sein und damit als scheinselbständig gelten.

Arbeitsrechtler Kleber führt dafür drei Gründe an: Die Partner arbeiteten nach strengen Regeln, sie würden ständig kontrolliert sowie bewertet und die Anzeigenakquise laufe über Youtube statt über die Youtuber selbst.

Für Verena Oechslen, Anwältin für Arbeitsrecht bei der Wirtschaftskanzlei CMS Hasche Sigle, reicht das jedoch nicht aus, um juristisch vertretbar für eine Scheinselbständigkeit von Youtubern zu argumentieren. Zwar sehe auch sie die wirtschaftliche Abhängigkeit von der Plattform sowie das große Machtungleichgewicht. Aber das wichtigste Abgrenzungsmerkmal - Weisungsgebundenheit der Youtuber durch Youtube - sei nicht gegeben. Schließlich gebe es keinerlei inhaltliche Vorgaben für Videos und keinen Auftrag der Plattform, Videos zu erstellen, sagt Oechslen. Außerdem könne sich jeder dort anmelden und Videos erstellen.

Es geht um die Zukunft des Arbeitnehmerbegriffs

Das sei zum Beispiel beim Fahrdienstvermittler Uber anders. Auch bei Uber-Fahrern, die derzeit als Selbstständige gelten, wird das Thema diskutiert. "Uber ist darauf ausgerichtet, den Fahrern eine Einkommensquelle zu verschaffen - dies ist bei Youtube nicht der Fall ", sagt Oechslen. "Wo aber soll die Schwelle zum schutzbedürftigen Youtuber liegen?" Oechslen sieht Scheinselbständigkeit vor allem als Schlagwort, um Aufmerksamkeit zu generieren.

Die IG Metall weist das zurück. "Ich habe selten gesehen, dass Arbeitsrechtler so eindeutig sagen: Es handelt sich hier klar um Scheinselbständigkeit", sagt Vanessa Barth, als Bereichsleiterin auch zuständig für das Projekt Crowdsourcing. Youtuber Sprave habe geschildert, wie sein Arbeitsalltag aussehe, eine Weisungsgebundenheit sei da sehr wohl vorhanden. Sprave sagt: "Es gibt seit 2017 einen unheimlich starken Einfluss auf Inhalte und sehr genaue Vorgaben, was erwartet wird und was nicht."

Sowohl Sprave als auch Barth betonen trotzdem, dass es zunächst darum gehe, mit Youtube ins Gespräch zu kommen. Dazu hat die IG Metall neben dem Video auch ein formelles Schreiben an Google geschickt. Man hoffe, das Unternehmen lasse sich auf die Forderungen ein, dann würden die Druckmittel hinfällig. Auf SZ-Nachfrage wollte sich Youtube nicht äußern.

Rechtsanwältin Oechslen bezweifelt, dass der angedrohte Rechtsstreit den Konzernverantwortlichen Angst mache. Sie sieht das Thema eher als gesellschaftliches denn als rechtliches Problem an: Wird durch Plattformen wie Youtube eine neue Generation prekärer Erwerbstätigkeit geschaffen? Ein politisches Erdbeben wie das Rezo-Video kurz vor den Europawahlen Ende Mai werden Sprave und die IG Metall mit ihrem Film vermutlich nicht auslösen. Aber sie zeigen, dass der Arbeitnehmerbegriff im Plattformzeitalter neu diskutiert wird.

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