Schule:Welche Fächer braucht das Kind?

Konsequenzen für die Schüler, die an den Klimademos teilnehmen

Wenn Tausende Schüler für Umweltschutz demonstrieren, lässt die Forderung nach dem Fach Klimawandel nicht lange auf sich warten.

(Foto: Klaus-Dietmar Gabbert/dpa)

Ernährung, Benehmen, Klimawandel: Für fast jedes Anliegen wird irgendwann ein eigenes Schulfach gefordert. Die erhofften Effekte sind aber eine Illusion.

Von Cornelius Pollmer

Die Schule muss sich seit je vieler Schlaumeiereien von außen erwehren, und was unter diesen immer mehr in Mode zu kommen scheint, das ist die Forderung nach neuen Unterrichtsfächern. Allein mit den im vergangenen Jahr aktenkundig gewordenen Vorschlägen ließe sich eine so progressive wie zweifelhafte Stundentafel gut füllen.

Darin enthalten wäre das Schulfach Ernährung, das die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten im vergangenen Herbst nicht zum ersten Mal forderte. Enthalten wäre das Schulfach Datenkunde, das ein Verband aus dem Feld künstliche Intelligenz sich wünschte, und zwar ab der dritten Klasse. Aus dem Sommer noch in Erinnerung ist der Satz "Wir brauchen ein Schulfach Wirtschaft", er stammt zur geringen Überraschung selbst natürlicher Intelligenzen: von einem Bildungsökonomen. Dieser Sommer war übrigens sehr dürr und heiß, und als die von Greta Thunberg initiierten Proteste sich internationalisierten, sagte der Meteorologe und Moderator Sven Plöger in einem Interview, "eigentlich müsste es ein eigenes Fach 'Klimawandel' geben".

Teils noch kurioser werden die Funde von Forderungen, geht man weiter zurück. Julia Klöckner, die jetzige Bundeslandwirtschaftsministerin, griff vor einigen Jahren die Forderung nach einem Schulfach "Alltagswissen" auf; gerade veröffentlicht worden war da eine Umfrage, der zufolge 75 Prozent der Leute sich das Unterrichtsfach "Benehmen" wünschten. Das Deutsche Rote Kreuz sprach sich für "Erste Hilfe" als Fach aus, anderen Interessenvertretern stand der Sinn nach "Dialektförderung" oder "Familienkunde". Und wenn sie irgendwo über solche Wünsche nur müde lächeln, dann ja vielleicht an der Emil-Barth-Realschule in Haan, denn dort gibt es bereits das Wahlpflichtfach "Feuerwehr".

Die Argumentation: Kein Fach, keine Professoren

Tim Engartner, Professor für Didaktik der Sozialwissenschaften an der Frankfurter Goethe-Universität, hat mit Kollegen Forderungen nach neuen Fächern vor einiger Zeit gesichtet. Etwa 120 solcher Wünsche zählten die Forscher. "Fakt ist, dass es kaum eine Disziplin gibt, die nicht den Anspruch erhebt, in Form eines eigenen Faches an der Schule präsent zu sein", sagt Engartner. Argumentiert würde dabei häufig mit einem "fachdidaktischen Armutskreislauf": Kein Fach hieße keine Vorbildung, ohne Vorbildung kein Interesse, auch nicht im Studium, in der Folge keine Professuren für diese Fächer, und so fort.

Engartner hält die Anliegen der Fordernden für nachvollziehbar, aber nicht zielführend. Eine "Atomisierung der Stundentafel" würde niemandem helfen, und aus seiner Schulzeit könne er nicht mal ein Fach nennen, das sich ohne Weiteres hätte opfern lassen. Zudem verweist Engartner auf die Möglichkeit, dass sich mit vermeintlichen Innovationen in der Stundentafel Akzente problematisch verschieben könnten.

Zu beobachten sei dies in Nordrhein-Westfalen, wo die FDP gerade ein Wahlkampfversprechen umsetze: Aus dem Fach "Politik/Wirtschaft" soll das Fach "Wirtschaft-Politik" werden. Engartner, der in seiner Arbeit einen Schwerpunkt auf politische Bildung legt, sieht darin eine Gefahr für selbige und fürchtet "die Inthronisierung der ökonomischen Ausrichtung". Angesichts der angespannten gesellschaftlichen Lage sei dies eine schwierige Veränderung.

So nachvollziehbar diese Argumente sind, so sehr stellt sich die Frage, ob und wie es Schulen denn überhaupt möglich sein soll, auf Veränderungen in der Welt um sie zu reagieren. Der Bildungshistoriker Heinz-Elmar Tenorth merkt dazu gelassen an, das Missverständnis bestehe darin, "dass die Leute in ihren Forderungen Prämissen mit Ergebnissen verwechseln". Die Annahme, über den Unterricht ließe sich das nachschulische Verhalten von Schülern gewissermaßen steuern, sei längst widerlegt.

Lehrer können Freiheiten bei der Gestaltung des Unterrichts nutzen

Wozu Schule in der Lage und wofür sie auch zuständig sei, das sei die Generalisierung des Bewusstseins. Schüler sollten wissen, was wichtig ist, und generalisiert werden sollten über die Schule auch kognitive, moralische, ästhetische und andere Prämissen, "von denen wir wollen, dass jeder in der Gesellschaft sie kennt, sich idealerweise sogar danach richtet". Darin liege die legitime Erwartung an Schule als den nach wie vor einzigen Ort, den alle Bürger in ihrem Leben besuchten.

Über diesen Grundsatz hinaus müsse man festhalten, sagt Tenorth, dass das System Schule durchaus anpassungsfähig an die Zeiten sei, und dass er selbst zum Beispiel heute "grandios durchs Abitur fallen" würde, "aber ich könnte immer noch passabel studieren". Die Voraussetzungen und Fähigkeiten, die Schule in jungen Menschen bildet, sind also stabil - aber wie vieles sich konkret in den Unterrichtsinhalten ändere, zeige schon ein Blick in die Lehrpläne, sagt Tenorth.

Der Tatsache, dass die Menschen auf der Welt nicht mehr allein in ihren Muttersprachen miteinander kommunizierten, wurde irgendwann durch den Fremdsprachenunterricht Rechnung getragen. Auch der Lehrplan für Biologie habe sich "in den vergangenen 100 Jahren enorm entwickelt". Und oft genug gebe es große Freiheiten in der konkreten Ausgestaltung des Unterrichts. So könne einer Lehrerin zwar Demokratie als Inhalt vorgegeben sein - ob sie aber im Rahmen dessen Texte von Aristoteles lesen oder die Verfassungsentwicklung in der modernen Türkei betrachten lasse, liege bei ihr.

Solch thematisch Aktuelles brauche man durchaus, damit Schülern nicht langweilig werde, sagt Tenorth. Die Forderungen nach neuen Fächern aber seien auch deswegen in gewisser Weise falsch, weil Vollständigkeit natürlich eine Illusion bleibe und immer werde bleiben müssen.

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