Prozessauftakt:Angreifer gesteht Messerattacke von Würzburg

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Der Angreifer steht inzwischen wegen Mordes und versuchten Mordes vor Gericht. Der Prozess dauert an. (Foto: Karl-Josef Hildenbrand/dpa)

An Tag eins im Mammutprozess ist die Aufmerksamkeit groß, viele Zuschauer verfolgen das Verfahren. Der Mann aus Somalia lässt seinen Anwalt ein Geständnis vortragen. Ob er schuldfähig war, muss nun geklärt werden.

Von Clara Lipkowski, Veitshöchheim/Würzburg

Abdirahman J. kommt mit einer Fußfessel in den Saal, zwei Polizisten führen ihn. Die Kette klirrt leise. Steif nimmt er zwischen einem seiner Verteidiger und seiner Übersetzerin Platz, den Rücken durchgestreckt, der Kopf hängt. Er sitzt fast regungslos. Ab und zu dreht er seinen Kopf langsam zu der Dolmetscherin, die in die somalische Sprache übersetzt, was ihm vorgeworfen wird. Drei Morde und elf Mordversuche. Die Oberstaatsanwältin liest langsam alle 14 Taten vor.

Es ist Tag eins im Verfahren gegen J., jenen Mann aus Somalia, der am 25. Juni 2021 mit einem Messer auf Menschen losging, mitten in Würzburg. Die Staatsanwältin verliest die Taten mit all den erschütternden Details, den Messerhieben, wie Körper zusammensackten. Sie spricht in der Halle in Veitshöchheim nahe Würzburg, die das Landgericht Würzburg extra gemietet hat, langsam ins Mikrofon. So, dass alle alles hören können. Man weiß hier um die Bedeutung dieses Prozesses. Obwohl an der Täterschaft nicht gezweifelt wird. Doch man will Aufarbeitung leisten. J. lässt seinen Anwalt nach der Verlesung ein Geständnis vortragen.

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Im Zentrum des Prozesses steht dennoch die Frage, ob J. schuldfähig war, als er drei Menschen tötete und neun verletzte. Denn darum geht es in diesem sogenannten Sicherungsverfahren: Ob er wegen Schuldunfähigkeit von den drei Berufsrichtern und zwei Schöffen nicht zu einer Haftstrafe verurteilt wird, sondern am Ende in einer psychiatrischen Einrichtung untergebracht wird, womöglich lebenslang. Mit regelmäßiger Prüfung seines Gesundheitszustands.

Die Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass J. eine "Gefahr für die Allgemeinheit" ist. Die Staatsanwältin wirft ihm "Hass" vor, seine Opfer seien völlig arg- und wehrlos gewesen, willkürlich ausgewählt. In möglichst kurzer Zeit habe er möglichst viele Menschen töten wollen, sagt die Staatsanwältin. "Stimmen" in seinem Kopf, hätte ihn angewiesen.

Am 25. Juni war am Barbarossaplatz, im Zentrum zwischen Hauptbahnhof und Main-Ufer, Chaos ausgebrochen. Alle in Würzburg kennen den Ort, viele erinnern sich, wo sie waren, an diesem Abend. Wohl auch deshalb ist das Interesse am Prozess groß. Im Zuschauerraum nehmen am Freitagmorgen etwa 20 Würzburgerinnen und Würzburger Platz. Unter ihnen ist eine Mutter, deren Tochter damals 13 Jahre alt war und im Kaufhaus in einem Versteck ausharrte, während J. mit dem Messer auf Menschen losging.

Sie sei hier, sagt die Mutter, weil sie den Mann sehen wolle, begreifen wolle, was das für ein Mensch sei. Und sie wolle besser verstehen, was passiert ist. Ihre Tochter, sagt die Mutter, habe sie noch aus dem Kaufhaus in Todesangst angerufen. "Wir waren die ganze Zeit am Handy." Neben ihr im Saal sitzt eine Schülerin. Sie ist gekommen, weil sie den Messerangriff in der Schule besprochen haben. Auch sie will verstehen.

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J. attackiert kurz nach 17 Uhr zunächst im Kaufhaus Woolworth mit einem etwa 30 Zentimeter langen Messer eine Frau, 39. Das Messer hatte er sich zuvor zeigen lassen. Er sticht auf sie ein, "mit voller Wucht", verliest die Staatsanwältin, "in den Nacken, um sie zu töten." Als sie schwerverletzt am Boden liegt, lässt er von ihr ab, im Glauben, sie sei tot oder sterbe. Er greift eine 26-Jährige an, fährt die Staatsanwältin fort, sticht mehrmals zu. Sie versucht zu fliehen, doch ein Seitenausgang ist verschlossen. Sie bekommt Stiche an Schulter und Stirn ab, wehrt sich mit einem Korb, irgendwann lässt J. sie in Ruhe. Sein nächstes Opfer, eine 24-Jährige überlebt die Attacke nicht. So wie eine 49-jährige Mutter, die mit ihrer elfjährigen Tochter im Geschäft ist. Die Tochter kann sich retten. Für eine weitere Frau, eine 82-Jährige, die J. in der Damenwäscheabteilung angreift, kommt jede Hilfe zu spät.

J. geht anschließend ins Freie, auf den Barbarossaplatz. Er greift weitere Menschen an, unter ihnen einen 16-Jährigen mit Kapuze auf dem Kopf, Kopfhörer im Ohr, der das Geschehen nicht mitbekommen hatte. "Der Beschuldigte zog dem Geschädigten die Kapuze herunter", sagt die Staatsanwältin. Am Ende erleidet der Jugendliche zehn Stiche in Hals und Kopf, mit lebensgefährlichen Verletzungen kommt er ins Krankenhaus. Der Tag ist ein schwer erträglicher Auftakt zu dem Verfahren, das sich nun über Monate hinziehen wird.

Mit Spannung war erwartet worden, ob sich J. selbst äußert. Er bestätigt nur einmal kurz sein Geburtsjahr, 1989. Sein genaues Geburtsdatum kennt er nicht. "Ich meine mich zu erinnern, dass meine Mutter gesagt hat, im Dezember." Dann ergreift einer seiner Anwälte das Wort für ihn. J. gestehe die Taten, sagt Hans-Jochen Schrepfer. "Er bedauert das Leid sehr." Und: "Innere Stimmen haben ihn zu diesen grausamen Taten veranlasst." Sein Mandant sei nun aber medikamentös gut eingestellt. Zuvor war J. eine paranoide Schizophrenie diagnostiziert worden. Die wenigen Worte lassen die Mutter im Zuschauerraum etwas ratlos zurück. "Ich weiß jetzt nicht einmal, ob ich erleichtert bin."

Der Prozesstag ist kurz, auch, weil schwer vorhersehbar war, wie der Beschuldigte reagieren würde. Erst im Spätsommer wird mit einem Urteil gerechnet, am Montag werden erste Zeugen gehört.

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