Wahlkampf:Große Werte, kleiner Zuspruch

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SPD-Parteichefin Andreas Nahles (links) kam zur Verstärkung der Spitzenkandidatin für die Landtagswahl Natascha Kohnen nach Abensberg. (Foto: Matthias Balk/dpa)

Wie es SPD, Freie Wähler und FDP schaffen wollen, bei der Landtagswahl besser abzuschneiden als auf Platz vier, fünf und sechs.

Von Isabel Bernstein, Elisa Britzelmeier und Camilla Kohrs

Die SPD hat Ministerpräsident Markus Söder (CSU) auf dem Gillamoos-Volksfest vorgeworfen, beim Thema Familiengeld verantwortungslos zu handeln. "Wer Sachen verspricht, die nicht zu halten sind, handelt absolut unseriös", sagte die SPD-Bundesvorsitzende Andrea Nahles vor mehr als 1000 Zuhörern.

Spitzenkandidatin Natascha Kohnen nannte Söders Vorgehen "unanständig". Er habe im April das Familiengeld versprochen, obwohl er da schon gewusst habe, dass dieses auf Hartz IV angerechnet werden müsse: "Söder wusste das! Und was macht der Ministerpräsident Schamloses? Er treibt sein Familiengeld voran." Das Familiengeld werde ein Bumerang für Hartz-IV-Familien, sie müssten das Geld dann kurz vor Weihnachten wieder zurückgegeben, warnte Nahles: "Diese Weihnachtsbescherung ist übel."

Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) hatte der Staatsregierung in der vergangenen Woche mit rechtlichen Schritten gedroht, sollte Bayern die Zahlung nicht mit anderen Sozialleistungen verrechnen. Das Familiengeld beträgt 250 Euro für ein- und zweijährige Kinder, ab dem dritten Kind sind es sogar 300 Euro. Eltern älterer Kinder bekämen dagegen nichts vom Freistaat, kritisierte Natascha Kohnen: "Von uns bekommen sie eine freie Kita."

Nicht nur Söders Verhalten beim Familiengeld, sondern auch das gegenüber der AfD kritisierten die Rednerinnen scharf. Nahles warf Söder vor, nicht Kante gegenüber den Rechtspopulisten zu zeigen: "Wer die Sprache und Position der AfD übernimmt, der reißt die Linie ein, die wir so dringend in diesem Land brauchen." Söder hatte Flüchtlinge unter anderem als "Asyltouristen" bezeichnet. Eine Koalition mit der AfD hat er allerdings klar ausgeschlossen - aus Sicht der Rednerin anscheinend aber nicht deutlich genug.

"Legen Sie endlich die Karten auf den Tisch, was Sie wollen", rief Nahles dem Ministerpräsidenten zu, der zu diesem Zeitpunkt keine 50 Meter entfernt im benachbarten Bierzelt redete. Die AfD sei weder bürgerlich noch patriotisch, "das ist eine Partei, die vom Verfassungsschutz beobachtet werden muss". Entsprechende Forderungen waren am Wochenende nach den Vorfällen in Chemnitz laut geworden. Die Rechtspopulisten sind für Nahles mit ihren Äußerungen und Verstrickungen in die rechte Szene eine Gefahr für die Demokratie, "und das sind die, mit denen sich die CSU ins Bett legt".

Kohnen kritisierte die CSU für ihre Forderungen nach mehr Abschottung: "Europa ist ein Friedensprojekt, und niemand darf dieses Friedensprojekt gefährden." Die Grenzpolizei betrachtet sie ohnehin als reinen Populismus: In den vergangenen Wochen hätten die 500 an der Grenze eingesetzten Polizisten vier Flüchtlinge aufgegriffen, das sei alle zwei Wochen ein Flüchtling - und auf den Straßen, wo sie Präsenz zeigen sollten, fehlten die Beamten dann. Die Polizei in Bayern schiebe zwei Millionen Überstunden, viele Beamte hätten nur ein Wochenende im Monat frei, so Kohnen: "Das sind nicht die Arbeitsbedingungen, die wir unseren Polizisten zumuten wollen." Mit Blick auf Söders Pläne, wonach jede bayerische Großstadt eine Reiterstaffel bekommen soll, meinte die SPD-Landesvorsitzende: "Die Polizei braucht Zweibeiner und keine Vierbeiner, verdammt noch mal!"

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Bei der kommenden Landtagswahl müsse der deutsche "Way of Life" verteidigt werden, schwor Andrea Nahles die Zuhörer ein. Ein "Way of Life", bei dem Demokratie, Friede und ein gemeinsames Europa im Mittelpunkt stünden - und nicht Hass, Spaltung und Abschottung.

Die Bayern-SPD hofft, dass sie bis dahin noch ein paar Prozentpunkte zulegt. Derzeit sehen Prognosen sie nur als viertstärkste Partei im Landtag. Mit wie viel Prozent die Sozialdemokraten rechnen, dazu ließen weder Nahles noch Kohnen am Montag etwas verlauten.

Zwei Sachen scheinen bei den Freien Wählern (FW) klar zu sein: Die CSU gehört korrigiert und der Hubert ist der Mann dafür. Bevor FW-Chef Aiwanger überhaupt beginnt mit seiner Rede, schallen die "Hubert-, Hubert-, Hubert-Rufe" durch den Weißbierstadl. Atmosphärisch ist der irgendwo zwischen klassischem Bierzelt und Almhütte zu verorten. Recht holzlastig alles, aber vor der Bühne glitzern fünf Diskokugeln. Es ist warm und voll, man rückt unter Wagenrädern und Geweihen zusammen.

Inhaltlich geht es vor allem gegen die Staatsregierung. Wer mit Blick auf eine mögliche Koalition nach der Wahl versöhnliche Töne erwartet hat, wird enttäuscht. Mitregieren wollen die Freien Wähler trotzdem, Aiwanger lässt daran keinen Zweifel: "Wir gehen nicht in einen Wahlkampf, um zuzuschauen." Bisher habe man alles immer erreicht, indem man Unterschriften für Volksbegehren in der Januarkälte gesammelt habe - davon hat Aiwanger genug.

In einem möglichen Koalitionsszenario sieht er die Rollen klar verteilt: "Ich lege keinen Wert darauf, Stiefelknecht der CSU zu sein. Wenn, dann geben wir ihnen die Sporen!" Der CSU ebenso wie der SPD wirft er vor, das Land in den vergangenen Jahren "rückentwickelt" zu haben. Kaputte Straßen, innere Sicherheit, Pflegenotstand, fehlende Wohnungen: "Die Probleme werden mehr, weil ihr regiert!" Die CSU stellt Aiwanger als Partei der Großkopferten dar, die nur in Berlin hockten, vom Leben auf dem Land keine Ahnung hätten und mit der Autoindustrie unter einer Decke steckten. In Richtung Ministerpräsident wettert er: "Lieber Herr Söder, du bist kein Master, du bist ein Master of Desaster!" Der Stadl jubelt.

Aiwanger ist in der komfortablen Position, über alles und jeden lästern zu können, und so nimmt er sich die Konkurrenzparteien eine nach der anderen vor. Auch die Versprechen fehlen nicht: die FW seien "die Bildungspartei schlechthin", Aiwanger fordert mehr Lehrer und kostenfreie Kinderbetreuung, er verspricht, gegen den Hebammenmangel vorzugehen, gegen die Privatisierung von kommunalen Kliniken, für die Anliegen von Landwirten, für schnelleres Internet. Beim Thema Flüchtlingspolitik seien die Freien Wähler falsch verstanden und zu unrecht als "rechts" abgestempelt worden, sagt Aiwanger. Zugleich aber wirft er Kanzlerin Angela Merkel vor, sie habe mit ihrer Politik geltendes Recht gebrochen.

Auch die Ausschreitungen im sächsischen Chemnitz sind Thema, Vorredner Alexander Hold führt ein Rezept dagegen an: den Rechtsstaat. Auf den beruft sich Hubert Aiwanger laufend. Er schließt mit Bayern- und Deutschlandhymne und der Berufung auf "unsere Heimat Bayern" - denn die sei immer schon Thema der Freien Wähler, und das lasse man sich nicht nehmen.

Der Kranz, den Bayerns FPD-Spitzenkandidat Martin Hagen am Ende seiner Rede überreicht bekommt, ist ein Siegerkranz - zumindest wenn es nach dem Abensberger Stadtrat Heinz Kroiss geht. Die FDP habe schließlich etwas zu feiern, nicht so wie die CSU. "Da müsste der Kranz einen Trauerflor tragen", sagt Kroiss. Es ist nicht die einzige Spitze gegen die CSU an diesem Vormittag im Zelt der FDP. Auch Hauptredner Martin Hagen kritisiert die Partei unter Ministerpräsident Markus Söder ausführlich: Die schwarze Alleinregierung sei gescheitert und das liege auch an der Arroganz ihrer Führung. Die bestehe aus "Scharfmachern, Geisterfahrern und breitbeinigen Alphamännchen".

Viele Zuhörer sind nicht gekommen, um den 36 Jahre alten Spitzenkandidaten zu unterstützen. Etwa 40 Menschen sitzen zwischen pinkfarbenen, blauen und gelben Luftballons auf Bierbänken. Dass nicht viele Menschen kommen würden, war den Organisatoren schon vorher klar. Die Sitzplätze reichten genau, nur ein paar Stehtische im hinteren Teil des Zeltes blieben leer.

Dafür hat man keine Probleme, einen Teller mit Brezn und Weißwurst zu bekommen, die der Wirt lautstark auf großen Tabletts durch das Zelt trägt - auch noch, als Hagen schon längst angefangen hat, zu reden. Der reagiert auf die Störung mit einem Lachen. Wie schon bei Auftritten zuvor, betont Hagen seine drei T: Talent, Technologie, Toleranz. Bevor man auf den Mond fliege, müsse es überall in Bayern endlich schnelles Internet geben. Die Bildung von Kindern dürfe nicht vom Geldbeutel der Eltern abhängen, dafür sollen Ganztagsangebote sorgen. "Die Entwicklung der Welt macht vor Bayern nicht halt und auch nicht vor der Grenzpolizei."

Besonders beim Thema Toleranz wird Hagen deutlich: "Mir kommt das Kotzen, wenn ich sehe, wie in Chemnitz ein brauner Mob Menschen, die anders aussehen, angreift." Die Migrationspolitik brauche endlich einen "Weg der Mitte". "Es kann doch nicht sein, dass wir uns entscheiden müssen: Sind wir Gutbürger oder Wutbürger." Dabei teilt er vor allem gegen die CSU und die Grünen aus: Die Konservativen seien zu restriktiv, blockierten seit Jahrzehnten ein Einwanderungsgesetz. Und die Grünen hätten Wunschträume, wenn sie meinten, Europa sei nicht auf Abkommen mit nordafrikanischen Staaten angewiesen.

Hagen geht auf der Bühne auf und ab, hält das Mikro in der Hand, erzählt Anekdoten. Ganz wie Parteichef Christian Lindner. Ob das auch in Bayern funktioniert? "Acht Prozent!", ruft Hagen am Ende seiner Rede in das Stadl-Zelt. So viel könne seine Partei am 14. Oktober erreichen. Trotz aller Kritik würde die FDP gern mit der CSU koalieren: "Dafür fehlen noch 2,5 Prozentpunkte, das ist in sechs Wochen machbar." Da sind sich nicht alle Zuhörer sicher. "Reden kann er", sagt ein Mann. "Aber acht Prozent ist wohl etwas übertrieben", sagt sein Sitznachbar.

© SZ vom 04.09.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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