Unter Bayern:Wissen ist Ohnmacht

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In Zeiten des Krieges und der Krisen sind Gefühle viel wichtiger als Nachdenken über den richtigen Weg.

Von Franz Kotteder

Sätze, die man so gut wie gar nicht mehr hört: "Frog mi wos Leichteres" oder: "I woaß doch aa net!" Gibt es nicht mehr. Heute weiß nämlich jeder immer alles. Oder er ergoogelt es sich schnell und kann sofort mitreden. Ja, das ist sogar in Bayern so, ob Seuche oder Gaspreise, ob Atomkraft oder Kriegsführung.

Im Fernsehen sagte Ministerpräsident Markus Söder neulich, man solle Atomkraftwerke vielleicht doch länger laufen lassen, 70 Prozent seiner Mitbürger sähen das genauso. Wurscht ist, dass die Betreiber sagen, das gehe nicht, weil man so ein AKW halt nicht einfach aus- und einschalten kann. Da ist man direkt froh, dass Söder bisher wenig Ratschläge zum Krieg gegeben hat. Obwohl Bayern sich besser mit der Ukraine auskennen dürfte als jedes andere Bundesland: Seit 1991 gibt es ein bayerisches Haus in Odessa, seit 2018 gar ein offizielles Büro des Freistaats in Kiew. So ein Hintergrundwissen wäre ja prinzipiell gut: Was derzeit so gefühlt und gemeint wird, ist oft beängstigend.

Erstaunlich viele Menschen krähen und röhren lauthals drauflos, fordern Heldenmut und Draufgängertum, würden am liebsten sofort die Bundeswehr an die Front schicken. Selbst professionelle Zeitungen twittern Fragen wie: "Sind wir bereit, einen Atomkrieg zu führen?" Das ist eine Debatte, die es vor 40 Jahren schon so ähnlich gab. Allerdings war man sich damals einig, ein Atomkrieg sei unbedingt zu verhindern. Vielleicht, weil es damals noch Menschen gab, die Kriege buchstäblich am eigenen Leib erlebt hatten oder zusehen mussten, wie andere elend verreckten (das Wort "sterben" ist zu banal dafür). Heute hingegen staunt der Kriegsdienstverweigerer aus dem 20. Jahrhundert: Die wenigen, die einen Krieg noch schlimm zu finden scheinen, sind jetzt hohe Militärs und die Nato.

Aber wer hört noch auf Experten? Es genügt, ein Besserwisser, ach was: Bestwisser!, zu sein. Dabei haben d0ch alle monatelang zugeschaut, wie an der Grenze zur Ukraine Hunderttausend Soldaten aufmarschierten, und alle sagten sich nur: Er wird doch nicht etwa...? Jetzt reden wir allesamt gescheit daher. Da ist es fast schon wieder beruhigend, dass auf der Homepage des bayerischen Büros in Kiew seit einigen Tagen der Satz steht: "Diese Seite wird aufgrund der aktuellen Situation derzeit überarbeitet." Im Grunde heißt das auch nichts anderes als: "I woaß doch aa net!"

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