"Twitterperlen" aus Nürnberg:Mal schnippisch, mal ironisch, oft nur albern

Lesezeit: 4 min

Dali Ivkovic (l.) gründete vor sieben Jahren die "Twitterperlen". Julian Kaufmann (r.) kam erst als Urlaubsvertretung dazu und wurde später Partner. (Foto: Clara Lipkowski)

Dali Ivkovic und Julian Kaufmann haben es zu ihrem Beruf gemacht, Tweets von anderen aufzugreifen und sie unter dem Namen "Twitterperlen" zu vervielfältigen. Jan Böhmermann hat sie dafür geadelt.

Von Clara Lipkowski, Nürnberg

Den Moment, in dem ein Post in sozialen Kanälen viral geht, wenn auf dem Handy im Sekundentakt Benachrichtigungen blinken, Kommentare und Retweets aufploppen und Herzchen über den Bildschirm fliegen - Dali Ivkovic kennt ihn gut. "Übertrieben gesagt, ist das wie ein Rausch, boah, wieder mehr Likes und wieder mehr Likes!", sagt er. Seit er vor sieben Jahren die "Twitterperlen" gegründet hat, hat er das oft erlebt. Abermillionen Menschen haben seither gesehen, was er postet, 580 000 folgen der Seite auf Facebook, auf Twitter 67 000, 310 000 auf Instagram. Ständig wird kommentiert und geteilt.

Ivkovic, 39, grinst, wenn er sich an solche Beiträge im Netz erinnert. Er sitzt neben Co-Chef Julian Kaufmann, 33, in einem großen Büro in Nürnberg. Die Mediengestalter haben es zu ihrem Beruf gemacht, Menschen im Netz zu unterhalten, mit griffigen Tweets, die sie unter dem Namen "Twitterperlen" vervielfältigen. Dabei haben sie genau verstanden, wie die Leute im Netz ticken. Was gut läuft, können sie relativ präzise vorhersagen, welche Posts eher nicht zu "overperformern" taugen, ebenfalls. Daten liefern ihnen vor allem die sozialen Plattformen.

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Besonders originell ist das Prinzip der Perlen eigentlich nicht, sie greifen auf, was andere posten. Was den Machern aber gelingt, ist, den Humor ihrer Zielgruppe zu treffen, Menschen Mitte 20 und aufwärts. Und sie tragen Beiträge aus Twitter, das besonders Menschen aus Journalismus und Politik nutzen, in andere Kanäle: Facebook, Instagram, auf die eigene Webseite.

Die Beiträge gibt es einzeln oder zu Themen zusammengefasst und sind mal schnippisch, mal sarkastisch oder ironisch, sehr oft aber auch einfach nur albern. Zwei Beispiele: Am 30. Januar 2021 reposten sie, was der Comedian Shahak Shapira twittert: "Finde jemanden der dich so behandelt wie der Vodafone Kundenservice im Zeitraum zwischen Kündigung und Vertragsverlängerung." Am 11. Januar 2021 zitieren sie den Account @felltomate: "Wenn der Chef im Homeoffice anruft, ist ,Kann ich Sie gleich zurückrufen, mir wird sonst der Fliesenkleber hart.' die falsche Antwort." Zwei Beiträge dafür gedacht, schnell gelesen zu werden, für den Moment aufzuheitern.

"Reihenweise junge Leute sind gar nicht mehr auf Facebook"

Mit Tweets dieser Art fing es vor etwa sieben Jahren an. Ivkovic rezitierte Beiträge vor seinen Kolleginnen und Kollegen in der Agentur, in der er arbeitete. "Die fanden das lustig und wollten mehr", sagt er. Sein damaliger Chef tolerierte das, fand es selbst witzig. Ivkovic legte eine Facebookseite an, der Name "Twitterperlen" lag nahe, und begann zu posten. Der Moment war gut: Facebook war noch extrem wichtig, ermöglichte ihm, schnell Reichweite zu machen. Heute auf Facebook sowas zu starten, könne man vergessen, sagt Co-Chef Kaufmann. "Reihenweise junge Leute sind gar nicht mehr auf Facebook. Die sagen: Was soll ich da, da sind meine Eltern."

Mit Kaufmann hat Ivkovic vor gut drei Jahren die Digitalagentur "dijk" gegründet. Zwar verdienen sie Geld mit Werbung, die sie schalten, aber vor allem beraten sie Firmen in digitalen Auftritten. Kaufmann war als Urlaubsvertretung zu den Twitterperlen gekommen und später Partner geworden. In Nürnberg-Gostenhof machten sie dann gemeinsam das Büro auf. In jenem Stadtteil also, der als "hip" und "im Kommen" gilt und kreative Köpfe anzieht. Wo auch Ateliers und Bars eröffnen und Bodenständigkeit herrscht zwischen Dönerläden und Bio-Supermarkt, aber auch vor Gentrifizierung gewarnt wird.

"Hierher zu ziehen war kein politisches Statement", sagt Kaufmann. Sie hätten Glück gehabt, sich eigentlich eine Wohnung mit 80 Quadratmetern angesehen, dann aber die doppelt so große nebenan genommen, weil sie als Agentur wachsen wollten. Das Büro jedenfalls ist hip, Stil Industrieloft. An den Wänden ist der Backstein teils freigelegt, es gibt eine vertikale Grünfläche. Ein goldener Gartenzwerg steht in einer Fensterecke und zeigt einem den Mittelfinger. Wäre nicht Corona, könnten hier fünf Leute arbeiten, so viele Redakteurinnen und Redakteure haben sie inzwischen. Die sind aber ohnehin verstreut, in Berlin, Leipzig, einer hat kürzlich noch aus den USA gearbeitet. Teils sind sie selbst sehr aktive Twitterer, wollen aber in diesem Artikel anonym bleiben. Per Chat-Tool stimmen sie sich ab, was als Beitrag laufen könnte, was es schon einmal gab.

Mit Quatsch Geld verdienen, könnte man das nennen, was sie tun. Ivkovic aber sagt: "Mit einer gewissen Reichweite kommt auch Verantwortung." Deshalb posten sie auch Tweets über den belastenden Corona-Alltag von Pflegekräften. Oder den Brand von Moria, wirft Kaufmann ein. Die beiden fallen sich manchmal ins Wort, grinsen, entschuldigen sich. Über Moria hätten die Leute oft gelesen, sagt Kaufmann, aber "sowas ist uns ein Anliegen, weil wir finden, das geht so nicht." Wenn dann ein Beitrag ein Problem gut zusammenfasst, brächten sie ihn auch im Wissen, dass er kaum Klicks bringe.

Ihr bislang erfolgreichster Post allerdings war humoristisch und hochpolitisch. Er griff den Putsch in der Türkei 2016 auf: "Pro-Erdogan-Demo in Köln. Als demonstrierten Freilandhühner für die Käfighaltung" postete damals Autor Patrick Stenzel unter @rock_galore. "Der Beitrag ist explodiert", sagt Kaufmann, zehn Millionen Menschen hätten ihn gesehen. "Da haben wir verstanden, dass es wichtig ist, politisch Relevantes zu bringen."

Verarbeiten sie Tweets zu eigenen Beiträgen, fragen sie vorher die Verfasserin oder den Verfasser, obwohl sie es nicht müssen. Die meisten freuen sich über mehr Reichweite, manche kritisieren, dass ihre eigene Reichweite von Ivkovic und Kaufmann ausgenutzt werde. Über den Punkt seien sie aber längst hinaus, sagt Kaufmann. Das Thema kommentierte Jan Böhmermann schon 2016 auf Twitter, was einem Ritterschlag gleichkam: "Twitterperlen ist eine verwichste Scheißfickseite, die mit geklauten Tweets Clicks macht. Hoffentlich wird das eine Twitterperle." Der Tweet steht heute aufgedruckt auf einer Tasse im Büro.

© SZ vom 05.02.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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