In der Stadtbibliothek in Kempten kennen sie diese Situationen. Sie haben hier viele Schulklassen und auch sonst oft junge Frauen zu Besuch. "Da mussten wir schon öfter mal aushelfen", sagt Andrea Graf. Die Leiterin der Einrichtung ist deshalb froh, dass künftig Menstruationsartikel in der Toilette der Stadtbibliothek ausliegen.
Aus einer kleinen Box können sich alle Besucherinnen bei Bedarf Binden oder Tampons nehmen, kostenlos. Die Stadt stellt den Service künftig in Schulen, Jugendhäusern und im Zumstein-Haus, in dem das Kempten-Museum beherbergt ist, zur Verfügung - und ist damit Vorreiterin in ganz Bayern. "Wir hoffen, dass sich das gute Beispiel Kemptens herumspricht und auch andere Städte nachziehen werden", sagt Dritte Bürgermeisterin Erna-Kathrein Groll von den Grünen.
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In Schottland ist erst vor Kurzem ein Gesetz in Kraft getreten, wonach alle öffentlichen Einrichtungen kostenlos Menstruationsartikel auslegen müssen. In Bayern gibt es solche Angebote bereits an einigen Universitäten und teils an anderen Einrichtungen. Die Stadt Rosenheim ist ebenfalls schon länger an dem Thema dran, vereinzelt werden Hygieneartikel dort kostenlos angeboten. "Für junge Frauen ist das ganz wichtig", sagt Groll über das Kemptener Pilotprojekt. "Es ist eine Frage des Geldes, der Gleichberechtigung und Gleichstellung."
Das Thema soll enttabuisiert werden
Tatsächlich gibt es sogar einen Begriff dafür, wenn sich Frauen mit geringem Einkommen Binden oder Tampons nicht ohne Weiteres leisten können: "period poverty", "Perioden-Armut". In Kempten geht es allerdings auch darum, dass "schambehaftete Situationen" für junge Frauen durch das Angebot entschärft werden sollen. "Wir wollen helfen, dieses Tabuthema in die Öffentlichkeit zu bringen und zur Selbstverständlichkeit zu machen", sagt Groll.
Im Februar dieses Jahres hatten die Stadträtinnen in Kempten fraktionsübergreifend gemeinsam den Antrag gestellt, in kommunalen Einrichtungen ein niederschwelliges Angebot für kostenlose Menstruationsartikel anzubieten - ein Novum in der Stadt, dass sich alle Politikerinnen unterschiedlicher Parteien komplett einig waren.
"Wir alle kennen diese Situationen selbst oder wir haben Töchter", sagt Groll. Da gebe es in Schulen etwa die Situationen, dass Klassenkameradinnen der Freundin rasch eine Jacke über den Rock werfen, damit ein Fleck verborgen wird. Die Stadträtinnen seien auch vielfach angesprochen worden auf das Thema, weshalb die Idee aufgekommen sei. Andreas Hummel vom Amt für Gebäudewirtschaft hat sich schließlich an die Umsetzung gemacht und dabei auch mit den Stadtverwaltungen etwa in Heidelberg und Dresden gesprochen, wo solche Angebote inzwischen bestehen.
"Der Bedarf ist sehr schwer abzuschätzen"
"Es war gar nicht so einfach, Hersteller zu finden, die die Produkte einzeln verpacken", sagt Hummel. Dies allerdings sei Voraussetzung gewesen, um die Produkte öffentlich auslegen zu können. Die Stadt hat nun kleine weiße Boxen angeschafft, die in Toilettenräumen angebracht werden können. In den Boxen liegen Tampons und Binden in Standardgrößen. Dabei ist den Verantwortlichen natürlich bewusst, dass es bei diesen Produkten unterschiedliche Größen gibt. "Der Bedarf ist sehr schwer abzuschätzen", sagt jedoch Hummel. Kempten startet deshalb nun mit diesem Angebot, zum Jahreswechsel hofft die Verwaltung auf die ersten Rückmeldungen. Spätestens in einem Jahr soll dann umfassend evaluiert werden, ob das Angebot angenommen wird, ob es eventuell ausgebaut werden und ob die Produktpalette angepasst werden muss.
Mit Kosten von lediglich 2500 bis 3000 Euro rechnet die Stadt im ersten Jahr für die 50 angeschafften Boxen, die in 50 Toiletten ausgehängt werden. Ein Preis, der für andere Städte ebenfalls im Budget sein dürfte, auch wenn es aufwendigere und damit teurere Spendersysteme als die einfachen weißen Boxen gibt, die Kempten nun verwendet. Die Reinigungskräfte in den Schulen oder in der Stadtbibliothek sollen die Boxen auffüllen, wie sie es mit Seifen oder anderen Hygieneartikeln auch machen. "Menstruationsartikel sollen so selbstverständlich werden wie Toilettenpapier", sagt Groll.
Allerdings mussten Hummel und die Verwaltung bei dem einen oder anderen Hausmeister in den Schulen Überzeugungsarbeit leisten. "Die haben etwas Sorge vor Vandalismus", sagt Hummel. Jedes Teil, das zusätzlich in Toiletten oder sonst irgendwo auf dem Gelände steht, könne beschmiert oder zerstört werden. "Aber da vertrauen wir auf die Vernunft der Schüler."