SZ-Serie: Dem Schnabel nach:Es muss etwas Entscheidendes passiert sein

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  • Nachdem vermutlich ein Fuchs einen jungen Großen Brachvogel gefressen hat, den wir in den Süden und wieder zurückbegleiten wollten, setzte die SZ ihre ganze Hoffnung auf den Nachfolge-Vogel Schnepfinger.
  • Und der überraschte die Experten: Ein Gentest zeigte, dass Schnepfinger weiblich ist.
  • Nun haben die Experten vom Vogelschutzbund indirekte Hinweise, dass die Jungen der Schnepfingerin geschlüpft sind.

Von Christian Sebald, München

Markus Erlwein ist sich nicht hundertprozentig sicher. Schließlich war in den letzten Tagen kein Experte des Landesbunds für Vogelschutz (LBV) direkt am Nest von Schnepfingerin und hat nachgesehen. Deshalb verkündet Erlwein die sensationelle Nachricht in recht nüchternen Worten. "Alle Daten, die das GPS-Gerät von Schnepfingerin in diesen Tagen sendet, lassen nur den einen Schluss zu", sagt Erlwein also: "Schnepfingerin und ihr Partner haben Nachwuchs bekommen. Und so wie es aussieht, geht es Schnepfingerin und den Jungen gut."

Man muss Erlweins Zurückhaltung verstehen. Es sind einfach noch zu viele Unsicherheitsfaktoren, als dass er und seine Kollegen ihrer Freude über den Nachwuchs einfach freien Lauf lassen wollen. Denn bisher haben sie ausschließlich indirekte Hinweise darauf, dass die Jungen geschlüpft sind und nun mit Schnepfingerin im Königsauer Moos nahe Dingolfing herumstapfen. Außerdem ist völlig offen, wie lange die Jungvögel überleben.

SZ-Serie: Dem Schnabel nach
:Schnepfinger wartet

Der Große Brachvogel, den die SZ begleitet, ist wieder in der Heimat. Tagsüber hält er sich in seinem alten Brutrevier nahe dem früheren Gelege auf. Er will die Ankunft seines Partners nicht verpassen.

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Es gibt ein zentrales Indiz, dass Schnefingerin und ihr Partner erfolgreich gebrütet haben: Das Brachvogel-Weibchen ist von einem Abend auf den anderen auch über Nacht in ihrem Revier geblieben. Und sie bleibt seither mit der selben Konsequenz an ihrem Nest, mit der sie es zuvor jeden Abend verlassen hat und zu ihrem elf Kilometer entfernten Übernachtungsplatz geflogen ist. "Diese Verhaltensänderung ist so abrupt, dass etwas Entscheidendes passiert sein muss", sagt Erlwein. "Das kann nach Lage der Dinge nur der Schlupf der Jungen gewesen sein. Denn dann muss auch Schnepfingerin permanent am Nest sein." Und das ist das Vogelweibchen, das können die LBV-Leute beinahe zentimetergenau an den Computern in der LBV-Zentrale in Hilpoltstein nachvollziehen. Auf ihnen gehen die Signale des GPS-Senders auf dem Rücken von Schnepfingerin ein.

Der Sender liefert noch weitere Indizien dafür, dass Schnepfingerin Nachwuchs bekommen hat. Zwar sind Brachvogel-Junge gleich nach der Geburt und in der ersten Lebenswoche sehr zart. Sie wiegen nur gut 50 Gramm, ihr später markanter langer und nach unten gebogener Schnabel misst gerade mal zwei Zentimeter. Ein ausgewachsener Brachvogel wiegt bis zu einem Kilo, sein Schnabel misst bis zu 19 Zentimeter. Aber obwohl die Jungen so leicht und so zart sind, werden sie schon wenige Stunden nach der Geburt von den Elterntieren durchs Revier geführt. Erst nur direkt ums Nest herum, schon bald immer weiter davon entfernt. "Die GPS-Daten von Schnepfingerin entsprechen den Bewegungsmustern, die wir von Brachvögeln mit Nachwuchs kennen", sagt Erlwein. "Sie deuten stark darauf hin, dass sie munter mit ihren Jungen unterwegs ist."

Völlig unklar ist, wie viele Junge Schnepfingerin bekommen hat

Brachvogel-Junge entwickeln sich sehr schnell. Schon wenige Stunden nach dem Schlupf machen sie die ersten Pickversuche - nach Steinchen zum Beispiel. Alsbald sind sie zielsicher und schnappen sich kleine Insekten und Tautropfen. Außerdem kriegen sie rasch mit, dass sich nicht nur am Boden, sondern auch auf Halmen Insekten tummeln, und üben sich darin, sie zu erwischen. Allerdings brauchen sie noch viel Ruhe. Schnepfingerin lässt sie dann unter ihre Flügel schlüpfen. Dort sind sie nicht nur vor Wind und Wetter geschützt, sondern können sich auch an ihrem Gefieder wärmen. Das Fachwort dafür lautet "Hudern". Gerade Anfang letzter Woche, als es auch im Königsauer Moos wie aus allen Kübeln schüttete, dürften die Jungen viel Zeit unter dem Gefieder von Schnepfingerin verbracht haben. Ab dem fünften Lebenstag beginnen Brachvogel-Junge mit den Flügeln zu schlagen. Und ab dem siebten trainieren sie, auf einem Bein zu ruhen. Bis sie das längere Zeit durchhalten, vergehen allerdings einige Wochen. "Wirklich perfekt sind sie darin erst, wenn sie flügge sind", sagt Erlwein. "Das sind sie frühestens mit fünf Wochen."

Völlig unklar ist, wie viele Junge Schnepfingerin bekommen hat. Fest steht nur, dass es maximal vier waren. Wie bei Brachvögeln üblich, hatte der SZ-Brachvogel vier Eier in ihre Nestmulde gelegt. Da das GPS-Gerät nur Bewegungsdaten von Schnepfingerin liefert, kann Erlwein die Frage nicht beantworten, ob aus allen Junge geschlüpft sind. Und er kann auch nicht sagen, ob noch alle geschlüpften Jungen am Leben sind. Wie in der Tierwelt insgesamt ist auch bei Brachvögeln die Mortalität in den ersten Lebenstagen und -wochen am höchsten. Die extremen Regenfälle der vergangenen Woche etwa haben im oberen Altmühltal drei Brachvogel-Gelege, die kurz vor dem Schlupf oder mitten im Schlupf waren, regelrecht absaufen lassen. Die Jungvögel haben nicht überlebt.

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Viele Jungvögel fallen auch Mardern, Wieseln oder Füchsen zum Opfer. "Es gibt Berichte von Füchsinnen, die exakt den Zeitpunkt abgepasst haben, an dem Brachvögel-Küken geschlüpft sind", sagt Erlwein. "Als es so weit war, sind sie samt ihren Jungfüchsen zu den Nestern gezogen, damit diese an den Brachvogel-Küken Jagen üben konnten." Und dann sind da noch Spaziergänger und Radler, aber auch Hobby-Ornithologen, die immer wieder Brachvögel und ihre Jungen stören. So berichten LBV-Leute, die im Königsauer Moos Brachvögel betreuen, dass sie dieses Frühjahr dort wiederholt von Spaziergängern gefragt worden seien, wo denn Schnepfingerin zu finden sei.

Dabei muss man sich gerade jetzt von den Brachvögeln und ihren Revieren fernhalten. Denn bei der Aufzucht des Nachwuchses brauchen sie Ruhe. Eine jede Störung steigert das Risiko, dass die Aufzucht scheitert. Statistisch gesehen hat ein Brachvogelpaar-Brutpaar einen Bruterfolg von nur 0,31 flüggen Jungvögeln. Auf Schnepfingerin und ihren Partner gemünzt heißt das, dass sie mindestens drei Jahre hintereinander jeweils vier Eier ausbrüten müssen, bis ein Jungvogel aus ihren Gelegen so weit heranwächst, dass er sich auf den Flug ins Winterquartier machen kann. Das ist der Grund, warum die Großen Brachvögel in Bayern zu den am meisten bedrohten Arten zählen.

© SZ vom 27.05.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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