Artenschutz:Das Paradies der Luchse

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Im Steinwald in der Oberpfalz wurden in den vergangenen Jahren junge Luchse ausgewildert. (Foto: Bayerische Staatsforsten)

Dem Förster Carsten Klöble sind Aufnahmen gelungen, um die ihn viele Naturschützer beneiden: Sie zeigen, dass im Steinwald in der Oberpfalz ein Weibchen drei Junge bekommen hat.

Von Christian Sebald, Friedenfels

Es war eigentlich ein ganz gewöhnlicher Tag im Wald. Der Förster Carsten Klöble wollte Plätze auswählen, wo seine Waldarbeiter junge Bäume pflanzen sollten. Klöble war schon einige Stunden unterwegs. Jetzt war er bei einer wuchtigen Felsengruppe angelangt. "Da sehe ich, wie oben auf dem Felsen zwei kleine, bräunliche Tiere aufstehen", berichtet Klöble. "Im ersten Moment hab ich an Rehkitze gedacht." Rehkitze auf einem Felsen? Das kann nicht sein. Rehe klettern nicht auf Felsen.

Also ist Klöble neugierig geworden. Er hat sich an den Felsen herangepirscht, ist auf ihn gestiegen. "Ich war noch nicht oben, da sehe ich in einer Nische vor mir einen jungen Luchs kauern", sagt Klöble. "Er war wie erstarrt." Klöble fingerte sein Handy aus der Hosentasche und drückte auf den Auslöser der Kamera. "Dann hat der Luchs einen Satz den Felsen hinab gemacht und war verschwunden." Und Klöble hat sein Glück nicht fassen können, dass ihm das Foto gelungen ist.

Förster Carsten Klöble hat die Wildkameras aufgestellt. (Foto: Bayerische Staatsforsten)

Damit nicht genug. Der Förster ist nach Hause geeilt und hat eine Wildkamera geholt. Die hat er nah an dem Felsen aufgestellt, falls der oder die beiden jungen Luchse zurückkehren. Die Hoffnung hat sich erfüllt. In den Stunden darauf hat die Kamera sogar Fotos und Filmsequenzen von drei jungen Luchsen aufgenommen. Auch das Muttertier ist auf den Bildern zu sehen. Es ist Fee, eine fünfeinhalbjährige Luchsin.

Für Luchs-Experten wie die Biologin Sybille Wölfl oder Eberhard Freiherr von Gemmingen-Hornberg sind die Aufnahmen, die Mitte September in Steinwald in der nördlichen Oberpfalz entstanden sind, eine Sensation. Denn sie belegen, dass erstmals in Bayern wieder eine Luchsin außerhalb des Bayerischen Walds Junge bekommen hat. Damit wächst die Hoffnung, dass sich in der nördlichen Oberpfalz und in Oberfranken wieder Luchse ausbreiten.

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Der Steinwald ist ein stiller Mittelgebirgsrücken mit dunklen Fichtenwäldern, gluckernden Bächen und mächtigen Felspartien, die Zipfeltannenfelsen oder Katzentrögel heißen. Die höchste Erhebung ist die 946 Meter hohe Platte mit dem Oberpfalzturm. Von ihm reicht der Blick weit nach Norden ins Fichtelgebirge und nach Süden in den Oberpfälzer Wald. Östlich der Platte ragt die Burgruine Weißenstein aus dem Fichtenmeer. Wer Abgeschiedenheit sucht, der ist hier richtig.

Frei lebende Luchse, die Nachwuchs bekommen, gab es im Freistaat bisher nur im Bayerischen Wald. Die Tiere dort sind Abkömmlinge von einigen Raubkatzen, die dort vor 40, 50 Jahren ausgewildert wurden. Der Bayerische Wald liegt 120 Kilometer Luftlinie vom Steinwald entfernt. Auch die Steinwald-Luchsin Fee wurde im Bayerwald geboren. Sie war ein verwaistes Jungtier, das aufgepäppelt und im Sommer 2016 in der nördlichen Oberpfalz frei gelassen worden ist.

Aufs Jahr gesehen jagt und vertilgt ein Luchs etwa 50 Rehe

Luchse waren einst weit verbreitet in Bayern. Doch die Raubtiere sind seit alters her wenig gelitten. Die Jäger betrachteten sie als Konkurrenten um Rehe und andere Beute, die Bauern fürchteten um ihre Nutztiere. Also wurde rücksichtslos Jagd auf sie gemacht, Mitte des 19. Jahrhunderts waren sie ausgerottet in ganz Bayern. Obwohl Luchse längst streng geschützt sind, wollen viele Jäger und Bauern sie nach wie vor nicht dulden. Im Bayerischen Wald stellten in den vergangenen Jahren Wilderer den Raubkatzen nach, sowie sie das Umfeld des Nationalparks dort verließen - mit Gewehren, Gift und Fallen.

Im Steinwald dagegen sind Luchse willkommen. Das hat sehr viel mit Gemmingen-Hornberg zu tun. Die Familie des Freiherrn kam Anfang des 20. Jahrhunderts in den Steinwald-Ort Friedenfels und bewirtschaftet dort einen weitläufigen Besitz mit 3000 Hektar Wald, sie zählt zu den großen Waldbesitzern in der Region. Wie es sich für einen Adeligen gehört, ist Gemmingen-Hornberg leidenschaftlicher Jäger. Seit kurzem ist er sogar Vize-Präsident des bayerischen Jagdverbands.

Allerdings hat der Freiherr für einen Jäger außergewöhnliche Grundsätze. "Wer Wald besitzt, hat die soziale Pflicht, ihn robust und intakt an künftige Generationen weiterzugeben", sagt er. "Das betrifft nicht nur den Wald selbst, sondern auch die Wildtiere." Zu ihnen zählt er natürlich Wildschweine, Hirsche und Rehe, so wie das alle Jäger tun. Aber auch Eulen, Uhus, Raufußkäuze und andere streng geschützte Tierarten. Und vor allem Luchse.

"Sie wiegen acht bis zehn Kilo und sind ungefähr so groß wie ein Spaniel"

Gemmingen-Hornberg ist seit jeher fasziniert von den Raubkatzen. Sie sind aber auch besondere Tiere. Jeder Luchs trägt ein individuell geflecktes Pelzkleid, an dem er erkennbar ist. Luchse können mit Tempo 70 durch den Wald sprinten, sie hören eine Maus, wenn sie noch 50 Meter entfernt ist, und sehen so gut, dass ihnen auch nachts kein Beutetier entgeht. Selbst dass so ein Luchs aufs Jahr gesehen ungefähr 50 Rehe jagt und vertilgt, stört Gemmingen-Hornberg nicht. Er lässt die Jäger in seinem Wald weniger Rehe schießen, damit Fee ausreichend Rehe jagen kann.

Der Luchsin und ihren drei Jungen geht es denn auch ausgezeichnet. Das zeigen die vielen Bilder von ihnen, welche die Wildkameras überall im Steinwald inzwischen aufgenommen haben. "Die Jungen sind jetzt sechs bis sieben Monate alt", berichtet die Biologin Wölfl, "sie wiegen acht bis zehn Kilo und sind ungefähr so groß wie ein Spaniel, wenn auch viel zierlicher." Vor allem aber sind sie sehr vital und lebhaft. "Zwar sind sie noch nicht selbständig", sagt Wölfl, "aber sie sind mit ihrer Mutter im ganzen Steinwald unterwegs." Mit etwa 16 000 Hektar Gesamtfläche ist der ziemlich groß.

Für Fee ist es eine anstrengende Zeit. "Luchsmütter sind alleinerziehend", sagt Wölfl. "Luchsmännchen und -weibchen finden nur in der Paarungszeit zusammen. Die Väter spielen bei der Aufzucht der Jungen keine Rolle." Vater der drei Luchsjungen ist Iwan, das Luchsmännchen ist vor zwei Jahren aus dem Harz in die nördliche Oberpfalz gewandert. Iwan war nicht nur im Steinwald unterwegs, sondern auch viel im Fichtelgebirge. Auf einem seiner Streifzüge dort ist er im Oktober abgeschossen worden. Der Schütze war ein Jäger. Der Mann, der sich bei der Polizei angezeigt hat, gibt an, er sei auf Wildschwein-Jagd gewesen und habe in dem Glauben auf Iwan geschossen, dass es sich um eine Wildsau handle.

Der Tag einer Luchs-Familie läuft immer ungefähr gleich ab. "Nachts sind Mutter und Nachwuchs unterwegs", sagt Wölfl, "untertags wird geruht." In der Nacht macht Fee Jagd auf Rehe. "Sie ist da ziemlich gefordert", sagt Wölfl. "Ihre drei Jungen haben viel Hunger, sie vertilgen alle zwei Tage ein Reh." Die Rehe muss die Mutter ranschaffen. Denn so weit, dass er selbst eines erlegen könnte, ist der Nachwuchs noch nicht. "Die Jungen sind noch sehr verspielt, sie üben vielleicht schon das Ranpirschen, das Lauern und das Springen, außerdem trainieren sie ihre Muskeln", sagt Wölfl. "Dabei fangen sie aber höchstens mal eine Maus."

Wie so ein Luchs-Tag aussieht? Spielen, kuscheln, dösen

Was mit den Jungen ist, während das Muttertier auf Jagd ist, weiß man noch nicht so genau. "Aber man vermutet, dass es den Nachwuchs an einem Platz absetzt, wo er sicher ist", sagt Wölfl. "Sobald Fee ein Reh erlegt hat, holt sie die Jungen an dem Platz ab und führt sie zu der Stelle, an der die Beute liegt." Dort wird dann gemeinsam an dem Kadaver gefressen - über mehrere Mahlzeiten hinweg, bis nichts mehr da ist und Fee ein neues Reh ranschaffen muss.

Tagsüber hält sich die Luchsfamilie an einem geschützten Platz auf, an dem sie sicher vor Überraschungen ist. "So ein Platz ist meist ein wenig erhöht, damit Muttertier und Junge einen guten Überblick haben, er selbst ist aber nicht von außen einsehbar", erklärt Wölfl. "Außerdem ist er geschützt vor Wind und Wetter, zugleich aber zumindest etwas sonnig." Und was macht die Luchsfamilie den ganzen Tag? Sie spielt miteinander, bisweilen necken sich die Jungen, dann wird gekuschelt, "nebeneinander, aufeinander und übereinander", wie Wölfl sagt. Und natürlich wird viel gedöst und geruht.

Die Felsengruppe, auf die der Förster Klöble bei seinem Gang durch den Steinwald gestoßen ist, ist genau so ein Platz. Sie ist so abgelegen, dass für gewöhnlich kein Mensch dort anzutreffen ist. Für Klöble, der ein eher wortkarger Mensch ist, war es denn auch ein "großer Moment", als er plötzlich den jungen Luchs entdeckt hat. Klöble ist der einzige Mensch bisher, der ein Luchsjunges von Fee in freier Wildbahn zu Gesicht bekommen hat.

© SZ vom 05.01.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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