SPD-Krise:"Wir brauchen einen kompletten Neuanfang"

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  • Angesichts ihrer desolaten politischen Lage ist in der SPD in Bayern eine Personaldebatte entbrannt.
  • Besonders der Landesvorsitzende Florian Pronold wird für das schlechte Erscheinungsbild der Partei verantwortlich gemacht.
  • Als mögliche Nachfolgerin wird Generalsekretärin Natascha Kohnen gehandelt. Gegen sie gibt es jedoch auch starke Vorbehalte.

Von Christian Rost, Christian Sebald, Olaf Przybilla, Wolfgang Wittl, München/Irsee

Angesichts ihrer desolaten politischen Lage ist in der bayerischen SPD eine Personaldebatte entbrannt. Sie richtet sich vor allem gegen den Landesvorsitzenden Florian Pronold, der für das schlechte Erscheinungsbild der Partei verantwortlich gemacht wird. "Wenn er beim nächsten Landesparteitag einen Gegenkandidaten hat, wird er durchfallen", sagte am Donnerstag ein Abgeordneter am Rande der SPD-Fraktionsklausur in Kloster Irsee. "Egal, wie dieser Gegenkandidat heißt." Als mögliche Nachfolgerin Pronolds wird Generalsekretärin Natascha Kohnen gehandelt. Gegen sie gibt es jedoch auch starke Vorbehalte.

Tagelang hat das Führungspersonal der bayerischen SPD versucht, die Krise der Partei wegzulächeln. Zum Ende der Klausur der Landtagsfraktion machten jedoch immer mehr Abgeordnete ihrem Ärger Luft - insbesondere über den Landesvorsitzenden Pronold. Die Verhaftung des Regensburger SPD-Oberbürgermeisters Joachim Wolbergs am Mittwoch hatte das Fass zum Überlaufen gebracht. Während Pronold darauf pocht, der Landesverband habe "in dieser Affäre alles richtig gemacht", weil er gewarnt und die Aufklärung vorangetrieben habe, nehmen es ihm Parteifreunde übel, dass die SPD allenfalls noch Negativschlagzeilen produziert und aus den Umfragetiefs nicht mehr heraus kommt. Zuletzt waren laut einer Befragung nur noch 14 Prozent der Wähler im Freistaat dazu bereit, bei der SPD ihr Kreuz zu machen.

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"Ich spiele gerne eine tragende Rolle", sagte Pronold in Kloster Irsee, was halb scherzend, halb als Signal gemeint war, denn er spürt in diesen Tagen, dass es an der Basis gärt. Bisher hat sich jedoch noch kein Kandidat gefunden, der bereit wäre, gegen ihn auf dem SPD-Landesparteitag am 20. und 21. Mai in Schweinfurt anzutreten. "Als ernsthafte Alternative hat sich bislang noch niemand gemeldet", sagte Pronold.

Wenn sie über die Inhalte ihrer Politik sprechen, demonstrieren Parteichef Pronold und der Vorsitzende der Landtagsfraktion, Markus Rinderspacher, stets Einigkeit: Das Mantra, die SPD stehe für soziale Gerechtigkeit, zieht bei den Wählern aber nicht. Der Nürnberger SPD-Landtagsabgeordnete Arif Tasdelen sagte dazu: "Wir haben die besten Themen, können sie aber nicht verpacken und verständlich machen." Die Bayern-SPD könne sich nicht damit trösten, dass es nur Umfragen seien, bei denen sie schlecht abschneide. "Wir sprechen nicht die Sprache der Menschen."

Abseits der Mikrofone wurden die Abgeordneten in Irsee noch wesentlich deutlicher. An der fehlenden Außenwirkung der Partei stören sich etliche Fraktionsmitglieder. "Der Köder muss dem Fisch schmecken und nicht dem Angler", sagte einer, der Pronold wanken sieht. Derzeit sei der radikale Wille der Basis für einen Wechsel noch nicht da, "das kann sich aber binnen weniger Tage ändern", lautete seine Prognose. "Wir sind mitten in der Existenzkrise, es geht ums politische Überleben", klagte ein weiterer Abgeordneter. "Das ist inzwischen jedem bewusst." Noch deutlicher wurde ein anderes Fraktionsmitglied: "Mit Pronold werden wir keinen Blumentopf mehr gewinnen. Das sage nicht nur ich, das sagen inzwischen viele in der Fraktion."

Als mögliche Alternative an der Parteispitze gilt Generalsekretärin Natascha Kohnen. Die 49-jährige gebürtige Münchnerin hält sich selbst bedeckt. Zur Frage, ob sie beim Landesparteitag im Mai ihren Hut in den Ring werfen werde, gab sie keinen Kommentar ab: "Dazu sage ich jetzt nichts", sagte sie und lächelte. In der SPD zweifelt kaum einer daran, dass Kohnen zur Macht greifen möchte. "Egal ob Landesvorsitz, Fraktionsvorsitz oder Spitzenkandidatur bei der Landtagswahl", sagte ein Mitglied der Berliner Landesgruppe.

"Kohnen traut sich alle Funktionen zu, am liebsten alle auf einmal." Sowohl in der Fraktion als auch in der Berliner Landesgruppe rechnet man spätestens nach Ostern mit einer "mörderischen" Personaldebatte. Allerdings wird bezweifelt, dass Kohnen die offene Auseinandersetzung mit Pronold suchen werde. "Das ist nicht ihr Stil", heißt es aus der Berliner Landesgruppe. "Sie arbeitet lieber im Hintergrund, knüpft Netzwerke und kommt nur aus der Deckung, wenn sie sicher gewinnen wird."

Zugleich formiert sich bereits heftiger Widerstand gegen Kohnen. "Sie ist seit 2009 unsere Generalsekretärin. Sie hat seither Pronolds Politik bis in die jetzigen Niederungen widerspruchslos mitgetragen", heißt es von einem Mitglied der Berliner Landesgruppe. "Wie so jemand jetzt die neue Hoffnungsträgerin sein will, ist mir völlig schleierhaft." Nach seiner Meinung gehört der gesamte SPD-Landesvorstand in Bayern ausgetauscht: "Wir brauchen einen kompletten Neuanfang." Auch in der Landtagsfraktion ist Kohnen nicht ganz unumstritten. Kohnen bleibe gerne "im Ungefähren, im Sowohl-als-auch", heißt es hier. "Mit so jemand an der Spitze wird ein tatsächlicher Neuanfang sehr schwer werden."

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Völlig frustriert ist auch der SPD-Kreisvorsitzende von Roth, Sven Ehrhardt. Nach dem SPD-Parteitag in Hirschaid, auf dem der Landesvorsitzende Florian Pronold ganze 63,3 Prozent gegen einen zuvor völlig unbekannten Gegenkandidaten bekam, "hätte es eine ehrliche Bestandsaufnahme" geben müssen, sagt er. Nichts dergleichen sei passiert. Und inzwischen, sagt er, "ist der Unmut an der Basis schon sehr groß". Das liege an der extremen "Abfolge von Tiefschlägen", die selbst für leidgeplagte bayerische Sozialdemokraten einzigartig sind. Das liege aber auch daran, dass es zu einer "schonungslosen innerparteilichen Aufarbeitung" nach den jeweiligen Debakeln nie gekommen sei.

Seine Alternative? Beim Neujahrsempfang der Rother SPD sprach kürzlich Natascha Kohnen. Danach habe es "großes Gemurmel unter den Genossen gegeben", berichtet Ehrhardt. "Tiefsinnig, charismatisch, kompetent", habe Kohnen auf die Mitglieder gewirkt. Wenn der Nürnberger Oberbürgermeister Ulrich Maly tatsächlich nicht als Spitzenkandidat antrete, dann wäre für Ehrhardt die Generalsekretärin Kohnen diejenige, die es machen sollte - und möglichst auch den Parteivorsitz übernehmen sollte. Wenn nötig, sagt er, per Urwahl. "Damit wir den Ruf als Funktionärspartei loswerden."

Für Klaus Barthel, den scheidenden SPD-Bundestagsabgeordneten aus dem oberbayerischen Kochel am See und Präsidiumsmitglied aus dem linken Arbeitnehmerflügel, ist es mit einem bloßen Auswechseln des Vorsitzenden aber nicht getan. "Das haben wir schon zu oft gemacht, und wir haben ja auch nicht so viele Köpfe, dass wird dauernd Vorsitzende verschleißen können", sagte Barthel. Im Präsidium und in der SPD-Vorstandsklausur am ersten Februarwochenende müsse über Inhalte, aber natürlich auch über notwendige Änderungen "im gesamten Personaltableau" gesprochen werden. "Auch Frau Kohnen trägt ja an wesentlicher Stellung Verantwortung für die Bayern-SPD", sagte Barthel.

© SZ vom 20.01.2017 / chro,cws, prz, wiw - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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