Ausstellung:Schwebendes Gleichgewicht

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Rolf Cavael in den 50er-Jahren in seinem Atelier in Garmisch-Partenkirchen. (Foto: ©Albrecht Cropp/VG Bild-Kunst, Bonn 2023)

Das Museum Aschenbrenner spürt den Jahren nach, in denen der Maler Rolf Cavael nicht ganz freiwillig in Garmisch-Partenkirchen lebte.

Von Sabine Reithmaier, Garmisch-Partenkirchen

Rolf Cavael war ein mutiger Mann. Der Künstler wagte es 1932 auf einer Versammlung des "Kampfbundes für deutsche Kultur" Joseph Goebbels öffentlich zu widersprechen, als dieser gegen den "jüdischen Kulturbolschewismus" hetzte. So viel Sympathie für moderne Kunst zu bekunden und einen mächtigen Nationalsozialisten zu brüskieren, konnte schnell lebensgefährlich werden. Daher blieb dem Künstler (1898-1979), der später zu einem der wichtigsten Vertreter der ungegenständlichen Malerei in Deutschland werden sollte, nach der Machtergreifung nichts anderes übrig, als mit seiner Familie Berlin zu verlassen und ins Werdenfelser Land zu ziehen. 21 Jahre sollte der spätere Mitbegründer der Gruppe ZEN 49 hier leben, künstlerisch meist völlig isoliert, doch ohne je einen Millimeter von seinen Positionen abzuweichen.

Eine Sonderausstellung im privaten Museum Aschenbrenner spürt diesen einsamen Jahren nach. Es ist die erste Ausstellung, die dem langjährigen Mitbürger in Garmisch-Partenkirchen gewidmet wird, und sie kommt wahrlich nicht zu früh. Doch sie lohnt den Besuch, denn Museumsleiterin Karin Teufl ist es gelungen, herausragende Werke in ihr kleines Haus zu holen, die einen guten Überblick über das Schaffen des Künstlers geben. Nicht nur Ölgemälde und Papierarbeiten erlauben eine Annäherung an den Zeichner und Maler, sondern auch Grafiken, Fotos, Dokumente und teils erschütternde Briefe.

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Kurze Zeit vor seinem Umzug hatte die Zukunft des in Königsberg geborenen Malers noch vielversprechend ausgesehen. Eine Doppelschau im Braunschweiger Schloss mit dem Bauhaus-Lehrer Josef Albers wurde im Februar 1933 sogar noch eröffnet, aber sofort wieder geschlossen. Eine geplante Schau in der renommierten Berliner Galerie Moeller musste abgesagt werden. Die Nazis belegten Cavael, als entartet gebrandmarkt, sofort mit einem Mal- und Ausstellungsverbot.

Cavael hatte bis dahin schon etliche Schicksalsschläge verkraftet, er war neun Jahre alt, als seine Mutter starb. Der ältere Bruder fiel zu Beginn des Ersten Weltkriegs, er selbst wurde an der Westfront verschüttet. In den ersten Jahren nach dem Krieg jobbt er als Fotograf, arbeitet als Hilfsregisseur, Kameramann und Schauspieler. Erst 1924 ermöglicht ihm ein Stipendium ein Studium an "Frankfurter Kunstschule." Er konzentriert sich auf Grafik und Typografie, experimentiert mit Fotogrammen, gestaltet eigenwillige Werbeanzeigen, auch für BMW oder Junghans und arbeitet als Lehrer an der Frankfurter Berufshandelsschule. 1931 wird ihm aufgrund der rigorosen Sparpolitik von Reichskanzler Heinrich Brüning gekündigt, er zieht nach Berlin.

Eine Collage auf Leinwand von 1976. (Foto: Galerie Maulberger/VG Bild-Kunst, Bonn 2023)

Punkt, Linie und Fläche bilden nicht nur die Grundlage seiner Grafiken, sondern sind zunächst auch Basis seiner künstlerischen Arbeit. Seine geometrische Formensprache erweitert sich schnell. In der Ausstellung lässt sich gut verfolgen, wie er sich von den konstruktivistischen Motiven der Anfangszeit löst; schon im ersten Ölgemälde von 1930 tauchen organische Formen und fließende Linien auf.

Dass er von Anfang an abstrakt arbeitet, sich nie für das Gegenständliche interessiert, unterscheidet ihn von vielen seiner Kollegen. Schon früh begeistert er sich für die Formenvielfalt der Natur, entdeckt mit dem Mikroskop abstrakte Strukturen, ist fasziniert von dieser verborgenen Welt. Intensiv setzt er sich mit Kandinsky auseinander, die beiden lernen sich 1931 im Bauhaus in Dessau kennen. Sie bleiben in Kontakt, schreiben sich auch noch, als Cavael als entarteter Künstler in Partenkirchen lebt. Dort hat seine Frau, eine Diätassistentin, ein "vegetarisch-diätetisches Erholungsheim" eröffnet. Er baut sich im Speicher ein Atelier aus, malt und zeichnet im Verborgenen, meist kleinere Arbeiten auf Papier, um sie möglichst schnell verstecken zu können.

Diese Werbeanzeige ist eine Arbeit aus frühen Studienjahren. (Foto: Museum Aschenbrenner/VG-Bild-Kunst Bonn 2023)

Das nutzt nichts. Am 6.Dezember 1936 wird das Haus der Familie durchsucht. Ein Maurer hatte Cavael denunziert, nicht wegen seiner Kunst, sondern aufgrund angeblicher kommunistischer Agitation. Verhaftung, Gefängnis und kurz vor Weihnachten die Überstellung ins Konzentrationslager Dachau. Briefe an seine mit dem zweiten Kind hochschwangere Frau zeugen von tiefen Schuldgefühlen. Er zeichnet eisern weiter, teilweise nur briefmarkengroße Bilder.

Im August 1937 wird er freigesprochen. Doch jetzt steht er auf der Liste der Staatsfeinde, darf keine Briefe ins Ausland schreiben. So erhält der in die USA emigrierte Josef Albers keine Antwort mehr auf seine dringliche Empfehlung, "dass es sich lohnt, die alte Welt aufzugeben". An Kandinsky in Paris schmuggelt ein Freund 1937 noch einen Brief, in dem Cavael berichtet, ihm sei "das grösste unglück im leben passiert, was einem menschen meiner veranlagung überhaupt zugefügt werden kann". Cavael ist, was seine Kunst betrifft, auf sich allein gestellt. Auch als Grafiker darf er nicht arbeiten, da er nicht der Reichskulturkammer angehört.

Von 1954 ist diese in Mischtechnik auf Papier ausgeführte Arbeit. (Foto: Galerie Maulberger/VG Bild-Kunst Bonn 2023)

Erst nach Kriegsende gelingt es ihm, Anschluss zu finden. In seinen Bildern erhält die Farbe immer größeren Stellenwert. Großartig sind die "Amöbenbilder", die er von 1949 an malt: organische Formen, die zu schweben scheinen. In diesem Jahr hat er die erste Einzelausstellung in der Münchner Modernen Galerie Otto Stangl. Unmittelbar nach deren Eröffnung gründet er mit Willi Baumeister, Gerhard Fietz, Rupprecht Geiger, Willy Hempel, Brigitte Meier-Denninghoff und Fritz Winter die "Gruppe der Gegenstandslosen", wenig später in "ZEN 49" umbenannt.

Zusehends folgt Cavael in seinen informellen Bildern den Gesetzen der Musik, setzt seine Linien, die für ihn den Charakter von Melodien haben, weder zufällig noch willkürlich. Alles ist in Bewegung, nichts statisch und starr, perfekt das schwebende Gleichgewicht.

1954 klappt endlich der Umzug nach München, eine Befreiung für die ganze Familie. Und endlich setzt, wenn auch mit großer Verspätung, der internationale Erfolg ein.

Rolf Cavael: Malen aus innerer Notwendigkeit, bis 5.11., Museum Aschenbrenner, Loisachstraße 44, Garmisch-Partenkirchen

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