Zwei Experten sitzen am Dienstag in Saal 104 des Regensburger Landgerichts. Links ein Rechtsmediziner, rechts ein Infektiologe. Doch wie schwer sich selbst Experten mit diesem Fall tun, das merkt man an den Sätzen, die beide immer wieder fallen lassen. Es gebe "keinen Beleg", sagt der eine. Und dass "vieles im Bereich der Spekulation" liege. "Wir können es nicht beweisen", sagt der andere. Und dass die Dinge "objektiv problematisch" seien. Es geht am zwölften Verhandlungstag im Prozess um verseuchte Eier der Firma Bayern-Ei um einen Todesfall. Um Wahrscheinlichkeiten, nicht um Gewissheiten. Und darum, ob Wahrscheinlichkeiten reichen, um den Mann im grünen Pullover der Körperverletzung mit Todesfolge zu überführen.
Der Mann im grünen Pullover heißt Stefan Pohlmann. Er sitzt auf der Anklagebank, weil er für einen der schlimmsten Lebensmittelskandale der vergangenen Jahre in Deutschland verantwortlich sein soll. Im Sommer 2014 erkrankten in Österreich, Frankreich, England und Deutschland Hunderte Menschen an schweren Brechdurchfällen. Alle Patienten hatten sich mit Salmonella enteritidis PT14b infiziert, einem ebenso gefährlichen wie seltenen Salmonellenstamm. Die europäischen Lebensmittelbehörden ermittelten, dass sich die Patienten durch Speisen aus kontaminierten Eiern angesteckt hatten. Die Eier stammten von der Firma Bayern-Ei, dessen Geschäftsführer Pohlmann zum Zeitpunkt des europaweiten Salmonellenausbruchs war.
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Die Bakterien wurden in abgepackten Fertig-Frikadellen gefunden, mit denen Supermärkte von Rewe und Norma beliefert wurden. Wie die Listerien in den Betrieb gelangt sind, ist bisher nicht bekannt.
Nun also steht im Bayern-Ei-Prozess der schwerste Vorwurf gegen Pohlmann auf dem Programm: der Fall eines 94-jährigen Österreichers, der an den Folgen einer Salmonelleninfektion durch kontaminierte Bayern-Ei-Eier gestorben sein soll. Die Staatsanwaltschaft ist davon überzeugt, die Pohlmann-Verteidigung nicht. Sie beruft sich auf ein Gutachten des Rechtsmediziners Wolfgang Keil. Das Gericht hat ein eigenes Gutachten in Auftrag gegeben, bei Infektiologe Gerd Fätkenheuer. Zwei Experten, zwei Theorien. Und vorne sitzt Richter Michael Hammer, der immer wieder die Stirn in Falten legt. Man kann ihm ansehen, wie es ihn anstrengt, die Aussagen der Experten einzuordnen.
Zuerst spricht Gerd Fätkenheuer, 64, Leiter der Infektiologie am Kölner Universitätsklinikum. Wie seine Klinik arbeitet, beschreibt er so: "Wir versuchen, die Puzzleteile so zusammenzusetzen, dass wir ein eindeutiges klinisches Bild haben." Da der Bayern-Ei-Prozess in Regensburg stattfindet, nimmt Fätkenheuer den Regensburger Dom als Puzzle-Beispiel. "Manchmal fehlen einige Teile, aber trotzdem können wir klar erkennen: Das Bild ist der Regensburger Dom." Im Fall des toten Österreichers könne er den Dom deutlich erkennen, sagt Fätkenheuer - und wird konkret: "Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit" sei der Tod durch die Salmonelleninfektion mitverursacht.
Wer das verstehen will, muss die Krankheitsgeschichte des toten Österreichers kennen. Der 94-Jährige bekam sein Essen über einen Innsbrucker Catering-Service nach Hause geliefert. Der Caterer soll seine Speisen mit Eiern aus der Bayern-Ei-Anlage in Niederharthausen (Kreis Straubing-Bogen) zubereitet haben, die mit Salmonellen belastet waren. Im Juli 2014 stellten Ärzte am Innsbrucker Klinikum die Salmonelleninfektion bei dem 94-Jährigen fest. Zwar ging es dem Mann nach einer Weile besser, sodass er in eine andere Klinik verlegt und nach sechs Wochen entlassen werden konnte. Doch musste er im September 2014 wieder ins Krankenhaus, wo er letztlich starb. Staatsanwaltschaft und Gutachter Fätkenheuer gehen davon aus, dass der 94-Jährige an einer Clostridium-difficilen-Infektion (CDI) starb - ausgelöst durch die Behandlung der Salmonellenerkrankung mit Antibiotika.
Die Pohlmann-Verteidiger wiederum argumentieren, dass es dem Mann zunächst ja wieder besser ging, dass er also nach dem ersten Klinikaufenthalt wieder salmonellenfrei gewesen sein könnte - und sich vor dem zweiten Klinikaufenthalt womöglich erneut mit Salmonellenerregern infizierte, die nichts mehr mit der Firma Bayern-Ei zu tun hatten, sondern anderswoher stammten. Auch für Rechtsmediziner Keil ist es zwar relativ unwahrscheinlich, aber eben "nicht auszuschließen", dass sich der Mann binnen weniger Wochen zweimal mit Salmonellen unterschiedlicher Herkunft infiziert haben könnte. "Unrealistisch", findet das dagegen Infektiologe Fätkenheuer und stützt sich auf Statistiken. Die Wahrscheinlichkeit einer Salmonelleninfektion liege bei 17:100 000. Gleich zwei Infektionen? Das sei ungefähr so realistisch, als ob "jemand ein zweites Mal einen Sechser im Lotto bekommt", sagt Fätkenheuer.
Dem Lotto-Vergleich hält Rechtsmediziner Keil unter anderem entgegen, dass der Tote 94 Jahre alt war - und die Wahrscheinlichkeit bei älteren Menschen viel höher sei, an den Folgen einer Salmonelleninfektion zu sterben als bei jüngeren. Außerdem, sagt Keil, habe der Österreicher vor 20 Jahren einen Herzinfarkt gehabt und danach an einer chronischen Herzkrankheit gelitten. Inwiefern dies eine Rolle für seinen Tod gespielt hat, ist auch deshalb schwer zu bestimmen, weil die Leiche des Mannes nicht obduziert wurde. "Wäre er seziert worden", sagt Keil, wäre das Herzleiden "auch auf die Todesbescheinigung geschrieben worden". Man dürfe "nicht aus den Augen verlieren", dass gerade bei älteren Menschen oft mehrere Faktoren todesursächlich seien.
Während die Experten reden, hört Pohlmann still zu. Er muss sich wegen weiterer 40 Fälle der Körperverletzung verantworten - wenn auch ohne Todesfolgen. Auch bei diesen Fällen sei ein Bezug zu Bayern-Ei nicht zweifelsfrei nachweisbar, sagt sein Verteidiger Ulrich Ziegert. Die Firma habe ihre Eier über Zwischenhändler vertrieben, "die werden von einer ganzen Reihe von Betrieben beliefert". Aus Sicht des Verteidigers könnten die kontaminierten Eier also auch aus anderen Betrieben gekommen sein. Ob das wirklich sein kann, wird das Gericht von diesem Mittwoch an erörtern. Dann treten die ersten Zwischenhändler als Zeugen auf.