Freisitze in Regensburger Gastronomie:Alle wollen sie, doch keiner kriegt sie

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Die Gesandtenstraße in der Regensburger Altstadt, Freisitze eines Cafés an der Mauer der Dreieinigkeitskirche. (Foto: Joachim Roller)

Eine Mehrheit in Regensburg will die während der Pandemie entstandenen Freisitze behalten, trotzdem wird ein Antrag im Stadtrat abgelehnt. Was das mit Ex-OB Wolbergs und Entlassungen am Stadttheater zu tun hat.

Von Deniz Aykanat, Regensburg

Wenn eine Kirche und eine Bar gemeinsame Sache machen, dann ist das vielleicht einen Blick wert. Die Gesandtenstraße in Regensburg ist eigentlich einer dieser typischen Orte in der mittelalterlichen Altstadt: Krumme Häuser, Katzenkopfpflaster, Kirche. Es gibt hier viele Orte, da herrscht geradezu italienisches Flair, wie etwa in Stadtamhof auf der anderen Seite der Donau. Da ist der Aperol-Verbrauch im Sommer eventuell sogar höher als in München. Die Gesandtenstraße aber ist eigentlich vor allem eines: mittelalterlich. Mittelalterlich dunkel. Der Touristenbus quetscht sich auch noch mehrmals am Tag hindurch. Dabei könnte es so schön sein, direkt gegenüber der Kirche liegen mehrere Cafés, eine Bar, ein Weinladen am Eck. Und schön, das ist es seit Mai 2020 auch. Nach dem ersten harten Lockdown genehmigte die Stadt dort Freisitze, seitdem stehen Cafétische, Stühle, Sonnenschirme, Kübel mit Blumen direkt an der massiven Kirchenmauer.

Und die Kirchengemeinde akzeptiert die Freisitze nicht nur, sie will sie ausdrücklich behalten. "Früher mussten unsere Mesner fast jeden Morgen erst mal die Hinterlassenschaften der Partynacht an der Kirchenmauer mit dem Wasserschlauch wegspritzen", sagt Joachim Roller. Er ist Mitarbeiter der Pfarrei der Dreieinigkeitskirche und hat im Sommer eine Petition zum Erhalt der Freisitze gestartet, weil er fürchtete, die Stadt könnte stattdessen Steinbänke dort aufstellen. Mehr als 2500 Unterschriften kamen schon zusammen. Überall in der Altstadt hoffen Gastronomen, dass das Rathaus ihren während der Pandemie entdeckten Pragmatismus nicht wieder verliert und die Freisitze dauerhaft bleiben dürfen.

"In die Gasse ist Leben reingekommen"

"Seit es die Freisitze gibt, fahren weniger Autos durch die Straße, sie fahren langsamer und es ist viel sauberer." In seiner Petition geht es zwar namentlich nur um die Freisitze in der Gesandtenstraße und am Ölberg, aber er will sie als Aufruf für eine neue Gestaltung oder Beibehaltung in der ganzen Altstadt verstanden wissen. Roller kommt aus Freiburg. Das ist auch so eine Stadt wie Regensburg, postkartenschön. Aber eine Stadt ohne reges Treiben, Menschen, die nicht nur durch die Gassen hetzen, sondern auch mal verweilen, verkommt schnell zur Kulisse für Touristen. "In Freiburg läuft das besser", sagt Roller, und er wünscht sich das auch für Regensburg.

Das gefällt auch Jürgen Wittmann, der gegenüber der Kirche ein kleines Hotel und die Tagesbar "Chin-Chin" betreibt, eine Regensburger Institution. "In die Gasse ist Leben reingekommen", sagt er. Tagsüber. Und abends und nachts herrschen weniger Lärm und Randale, "weil meine Gäste und Mitarbeiter sind ja da". So wie er sehen es viele Gastronomen in der Stadt. Corona hat die Leute nach draußen getrieben und da wollen sie jetzt auch bleiben.

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Klar, man muss noch über Parkplätze diskutieren, aber so gut wie jeder in dieser Stadt will die Freisitze behalten. Warum aber wurde dann jüngst ein entsprechender Antrag der Brücke-Fraktion im Stadtrat abgelehnt? Das könnte damit zusammenhängen, dass der Chef der Brücke Joachim Wolbergs ist, der frühere, in zwei Korruptionsprozessen - noch nicht rechtskräftig - verurteilte Oberbürgermeister der Stadt.

Er spricht von parteipolitischen Reflexen - so wie Politiker der anderen Parteien übrigens auch: "Einem Antrag der Brücke darf man nicht zustimmen, die würden sich eher eine Hand abhacken", erklärt Wolbergs das Scheitern seines Antrags. "Die" - das ist die Koalition der SPD-Oberbürgermeisterin Gertrud Maltz-Schwarzfischer. Wolbergs nennt sie auch gerne "graue Koalition". Das ist natürlich garstig, wobei sich bei einem Zusammenschluss aus SPD, CSU, FDP, Freien Wählern und CSB durchaus die Frage aufdrängen könnte, wofür dieses Sammelbecken eigentlich steht.

Brücke macht was, die anderen reagieren

Ähnlich sieht das Bild im Streit um den Intendantenwechsel beim Stadttheater aus. Da sind eigentlich auch alle gleichermaßen entsetzt. 40 Beschäftigte sollen bis August 2022 ihre Stellen verlieren, dann übernimmt der neue Intendant Sebastian Ritschel das Theater. Man nennt das in der Branche auch euphemistisch "Nichtverlängerung". Die Verträge der Mitarbeiter werden in der Regel für die Zeit einer Intendanz ausgestellt. Und endet diese, werden sie oft nicht verlängert. Rechtlich ist das in der Theaterwelt korrekt, üblich ist es auch. Die Brücke spricht aber von "Existenzzerstörungsmacht" und kritisiert Stadt und Intendant.

Der Brücke wird vorgeworfen, sich politisch profilieren zu wollen mit Vorgängen, die an jedem Theater in Deutschland stattfinden. SPD-Stadtrat Burger findet, dass so "Fronten hochgezogen" würden, man müsse das "mit Fingerspitzengefühl" behandeln. Andererseits: Von den Künstlern heißt es, nur die Brücke habe auf ihren Hilferuf reagiert. "Die haben sich an uns gewandt", sagt Wolbergs. "Ich sitze nicht da und überlege mir, worüber ich eine Pressemitteilung schreiben könnte."

Wolbergs will mit aller Macht im Gespräch bleiben und bereitet seine nächste OB-Kandidatur vor, hört man es in der Stadt raunen. Indem er die anderen Parteien vor sich hertreibt und sich auf die populären Themen setzt. Die Brücke und Wolbergs machen ganz einfach das, was man von einer Partei in der Opposition erwarten kann und wollen das Beste für die Stadt, sagen andere. Die Grünen etwa stimmten für den Brücke-Antrag zu den Freisitzen. "Aus unserer Sicht hätte man den schon annehmen können", sagt Fraktionsvorsitzender Stefan Christoph. Das, was zu dem Thema bisher aus der Koalition zu hören ist, war ihm zu unkonkret. Aus seiner Sicht ist es auch nicht unbedingt die Brücke, über die man sich bei der Stadt den Kopf zerbrechen sollte, sondern die CSU. "Die verhält sich gerade so, als sei sie in der Opposition."

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