Passionsspiele Oberammergau:Es ist vollbracht

Lesezeit: 4 min

Das Premierenpublikum im Passionstheater. Die größte überdachte Freiluftbühne der Welt war mit 4500 Zuschauern ausverkauft - und ausnahmsweise angenehm temperiert. (Foto: Sebastian Beck)

Nach Pandemie, Verschiebung und Herzinfarkt: In Oberammergau beginnen die 42. Passionsspiele bei schönstem Wetter und vor gut gelaunter Prominenz.

Von Christiane Lutz

Eine lange Skiunterhose müsse auf jeden Fall sein, Wintermantel auch, sicherheitshalber noch eine Decke, die man um sich herumwickeln könnte, wenn der Wind eisig durchs Passionstheater pfeift. So gaben Kundige in den vergangenen Wochen Auskunft auf die Frage, was "man denn eigentlich anziehe" bei der endlich nachgeholten Premiere der 42. Oberammergauer Passionsspiele.

Vermutlich eine Erkenntnis aus 2010, als die Hälfte des Publikums bei der Premiere Kälteschocks erlitt. Vielleicht aber wird auch aus einer erlernten Habachtstellung gemahnt, die sich die Oberammergauer angeeignet hatten. Denn, zur Erinnerung, die Spiele wurden 2020 wegen der Pandemie verschoben, dann erlitt Spielleiter Christian Stückl einen Herzinfarkt an dem Tag, als russische Soldaten in die Ukraine einmarschierten. Es war also sehr lang sehr unklar, was wie würde stattfinden können. Da ist man besser auch auf kalte Füße vorbereitet.

Passionsspiele in Oberammergau
:Viel mehr als ein Historienspiel

Mit zweijähriger Corona-Verspätung haben am Samstag in Oberammergau die weltberühmten Passionsspiele begonnen. Die Premiere in Bildern.

Umso bemerkenswerter, dass absolutes Traumwetter über Oberammergau liegt, am 14. Mai, dem Tag der nachgeholten Premiere. Ein Wetter, das nicht mal nach Socken verlangt, sondern nach Aperol Spritz. Und als um halb elf dann, nach insgesamt fünf Spielstunden der letzte Ton verklingt, nur noch eine Feuerschale das leere Kreuz und den riesigen Raum erleuchtet, ist es, als stiegen gleich mehrere Erleichterungsseufzer aus dem Theater in den klaren Nachthimmel. Es ist vollbracht, endlich.

Der Erzbischof von München, Reinhard Kardinal Marx (vorne links), und der evangelische Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm leiteten den ökumenischen Gottesdienst vor der Premiere der 42. Passionsspiele auf der Bühne im Passionstheater. (Foto: Angelika Warmuth/dpa)

Der Tag begann mit dem traditionellen Gottesdienst, inzwischen ökumenisch, den Kardinal Reinhard Marx mit dem evangelischen Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm leitete und bei dem man nicht mal dabei gewesen sein muss, um zu erfahren, dass der Meister Christian Stückl persönlich eine Kerze auf der Bühne umgeworfen hat. Die Kirchenvertreter mahnten zum Frieden, vor einer überdimensionierten Dornenkrone stehend, die am Nachmittag vors Theater gebracht wurde und sich dort zum begehrten Foto-Spot entwickelte.

Charlotte Knobloch, Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, und Josef Schuster, Präsident des Zentralrates der Juden in Deutschland, nahmen am Staatsempfang teil. (Foto: Peter Kneffel/AFP)

4400 Gäste waren zur Premiere geladen, darunter Wegbegleiter und Freunde der Spieler, etwa das gesamte "Brandner Kaspar"- Ensemble aus Stückls Münchner Inszenierung, die Schauspieler Burghart Klaußner, Ben Becker, Dieter Hallervorden, Tatort-Kommissar Udo Wachtveitl. TV-Prominenz wie Moderator Eckart von Hirschhausen und Collien Ulmen-Fernandes waren da, der Präsident des Zentralrates der Juden in Deutschland, Josef Schuster, und seine Vorgängerin Charlotte Knobloch.

Die Schauspieler Udo Wachtveitl und Burghart Klaußner mit Landtagspräsidentin Ilse Aigner. (Foto: Peter Kneffel/AFP)

Medienmenschen wie Dunja Hayali und Mathias Döpfner waren da, Polit-Prominenz wie Münchens Bürgermeisterin Katrin Habenschaden, die ehemalige Kulturstaatsministerin Monika Grütters, Landtagspräsidentin Ilse Aigner (CSU) und Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU). Unübersehbar in seiner Präsenz war das halbe bayerische Kabinett, allen voran Ministerpräsident Markus Söder (CSU), der in der Pause ein paar Auserwählte zum Staatsempfang im Zelt neben dem Passionstheater lud. Für den Rest der Gäste zur Anschauung schritt er gleich mehrere Male mit Oberammergaus Bürgermeister Andreas Rödl (CSU) ums Passionstheater.

Oberammergaus CSU-Bürgermeister Andreas Rödl (links) mit Ministerpräsident Markus Söder und Spielleiter Christian Stückl. (Foto: Daniel Kopatsch/Getty Images)

Söder habe sich, munkelten die Spieler, dann noch in der Garderobe von Hohepriester Kaiphas frisch gemacht. Der Garderobenbesuch hat nicht nur bei der Nationalmannschaft Tradition, sondern auch in Oberammergau. Schon 2010, so berichtet der damalige und aktuelle Jesus-Darsteller Frederik Mayet, sei Angela Merkel in seine Garderobe zum Telefonieren gekommen, während er sich umzog. Selbstverständlich habe sie sich höflich weggedreht.

Trotz der täglich rund 4000 Passionsbesuchern geht es in Oberammergau erstaunlich unaufgeregt zu. (Foto: Angelika Warmuth/dpa)

Das Spektakel der Passionsspiele beginnt aber schon im Moment der Ankunft in Oberammergau. Fast so viele Besucher wie Bewohner kommen an einem normalen Passionstag ins Dorf, es liegt ein erwartungsfrohes Flimmern in der Luft. Menschen in Festtagsgarderobe (die Skiunterhose erst mal im Hotel geparkt) und Tracht sitzen in den Eisdielen und Restaurants, vor dem Hotel "Alte Post", eines der ersten Häuser am Platze, gibt Hotelier Anton Preisinger Junior gerade einem Fernsehteam ein letztes Interview, bevor er Richtung Theater flitzt, für seinen anderen Beruf als Jünger Johannes.

Cengiz Görür steht als Judas besonders im Fokus der Aufmerksamkeit. (Foto: Sebastian Beck)

Im Theater- oder Fernsehgeschäft wäre es undenkbar, dass die Stars Minuten vor Vorstellungsbeginn noch draußen herumlungern, Freunde begrüßen oder eben Gäste bewirten. In Oberammergau wäre es undenkbar, das nicht zu tun. So radelt auch Judas-Darsteller Cengiz Görür noch kurz bevor es ernst wird entspannt durchs Dorf und nimmt sich Zeit für einen kurzen Plausch. Als Moslem steht er neben den Marien- und Jesus-Darstellern diesmal besonders im Fokus der Aufmerksamkeit. Vor allem aber, das wird dann kurz darauf zu sehen sein, ist er ein fantastischer Schauspieler in dem Spiel, das traditionell von Laien gespielt wird.

Keine Corona-Testpflicht, kein Abstand, nicht mal Maskenpflicht besteht noch an diesem Tag, womit noch vor zwei Monaten kaum jemand gerechnet hätte. Die Zuschauerränge der größten überdachten Freilichtbühne der Welt sind voll besetzt, als um 14. 30 Uhr der Engel (David Bender) an den Bühnenrand tritt und einmal mehr die Geschichte erzählt, die eigentlich jeder kennt, der nach Oberammergau kommt: Wie das Dorf 1633 von Krieg und Pest gebeutelt war, wie man gelobte, alle zehn Jahre ein Passionsspiel von den letzten Tagen Jesus' auszurichten, wenn der Herrgott nur ein Einsehen mit dem Dorf habe. Laut Legende starb danach niemand mehr an der Pest, der Rest ist - sehr lebendige - Geschichte.

Frisch frisiert nach dem Letzten Abendmahl gibt Jesus-Darsteller Frederik Mayet in der Pause Interviews. (Foto: Sebastian Beck)

"Es fühlt sich so an, als sei jetzt was vollendet", sagt Jesus-Darsteller Frederik Mayet nach der Vorstellung, jetzt wieder in Tracht und von Theaterblut reingewaschen. Er hat sich quälen und ans Kreuz hängen lassen, die Dornenkrone, lacht er, habe man ihm aus Versehen falsch herum auf den Kopf gedrückt, also Dornen nach unten, sehr schmerzhaft. Jetzt erst einmal Pause, ein Bier gegen all das Adrenalin. Vollendet ist es für den Tag vielleicht, aber bis 2. Oktober werden er und seine Spielerkolleginnen im Wechsel wöchentlich fünf mal auf der riesigen Bühne stehen bei insgesamt 109 Vorstellungen. Jetzt geht es erst richtig los.

Reportagen und Fotos zur Entstehung der Passionsspiele 2022 finden Sie unter sz.de/passionsdossier oder im digitalen Kiosk der SZ.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusPassionsspiele in Oberammergau
:"Mein Jesus soll nicht über den anderen schweben"

Halb Oberammergau steht auf der Bühne - und spielt biblische Superstars. Jesus, Judas und andere Darsteller über ihre Passion - und wer am frühesten Feierabend hat.

Von Christiane Lutz (Interviews) und Sebastian Beck (Fotos)

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: